zum Hauptinhalt
Ob es am Nürburgring noch Formel-1-Rennen geben wird, ist ungewiss.

© dpa

Formel 1: War das das letzte Rennen auf dem Nürburgring?

Die Ruine am Fuße der Burg: Nach Sebastian Vettels Heimsieg beim Großen Preis von Deutschland stellt sich die Frage, ob es je wieder ein Formel-1-Rennen auf dem Nürburgring geben wird.

Von Christian Hönicke

Als die deutsche Nationalhymne erklingt, hat Norbert Vettel ein, zwei Tränen in den Augen. Oben auf dem Podest steht sein Sohn Sebastian, der gerade das Formel-1-Rennen auf dem Nürburgring gewonnen hat. Die Unterstützung der Fans habe ihn zum Sieg getragen, jubelt er ins Mikrofon. Endlich ein Heimsieg für den dreimaligen Weltmeister, ein historischer Moment. Auch deshalb, weil nicht klar ist, ob Vettel jemals wieder die Chance haben wird, auf dem Nürburgring ein Rennen zu fahren. Die Strecke ist pleite, ein Käufer wird gesucht. Nächstes Jahr fährt die Formel 1 in Hockenheim, ob der Nürburgring 2015 wie geplant wieder übernimmt, ist äußerst fraglich.

Nur ein paar Meter unter den freudetrunkenen Vettels befinden sich verstaubte Stühle, jede Menge Getränkekisten und eine abgeschlossene Tür. Bis vor kurzem war der Tunnel unter der Start-Ziel-Geraden noch ein Haupteingang ins Fahrerlager. Jetzt dient die an sich völlig funktionstüchtige Unterführung als Ablageort für überflüssiges Gerümpel. Das Wachpersonal zeigt nach oben. Der geneigte Besucher muss die neue Brücke hoch über der Geraden nutzen. Warum? Schulterzucken als Antwort. Die Logik hat am Ring schon länger Zündaussetzer.

Der einzige erkennbare Mehrwert der neuen Zuwegung liegt daran, dass man auf den Treppenstufen einen Blick die Gerade entlang und auf die daneben vor sich hinrostende Achterbahn erhaschen kann. Letztere war als Prunkstück der neuen Erlebniswelt 2009 gebaut worden, nicht weniger als die schnellste Achterbahn der Welt sollte es sein. Doch während des Grand-Prix-Wochenendes rattert kein einziges Rad über die vergilbten Schienen, weil die mehr als zehn Millionen Euro teure Bahn so unsicher ist, dass sie bis heute keine TÜV-Abnahme erhalten hat.

Besser als an der Brücke und der Achterbahn lässt sich kaum erkennen, wie planlos hier mehr als 350 Millionen Euro Steuergeld verbaut wurden. Das großspurige Prestigeprojekt „Erlebniswelt“, unter dem inzwischen zurückgetretenen Ministerpräsidenten Kurt Beck in Angriff genommen, hat den Nürburgring in die Insolvenz getrieben. Jetzt hat das Örtchen Nürburg zwei Ruinen. Oben die wuchtige Burg, unten das Geisterdorf am Ring.

Die Idee war, Menschen so auch in der rennlosen Zeit in die abgelegene Eifel zu locken. Doch Nürburgring-Events wie Konzerte der Kastlruther Spatzen oder der „Musikalische Adventssonntag mit Sissi und Ludwig“ erwiesen sich als Flops. Um die Verluste aufzufangen, fiel den privaten Betreibern nichts weiter ein, als die Preise für Touristenfahrten auf der legendären Nordschleife zu erhöhen. Initiativen wie „Save the Ring“ künden von der Anteilnahme am Bröckeln des laut Forsa-Umfrage neuntbeliebtesten nationalen Monuments der Deutschen.

Ein Parkplatzwächter erklärt, warum die Zuschauer ausbleiben.

An fast jedem Schild in der Gegend sind die Aufkleber der Sympathiebekundung zu finden. Und es ist wohl kein Wunder, dass darauf das markante Profil der Nordschleife dominiert. Die moderne, sterile Grand-Prix-Strecke weckt wenig Emotionen, auch wenn sie schon lange die Formel-1-Rennen vom großen Bruder übernommen hat. Der Zuspruch am Wochenende ließ jedenfalls zu wünschen übrig. 120.000 Menschen fasst der moderne Kurs, nur rund 50.000 wollten am Sonntag Vettels Triumph erleben. „Seit fünf Rennen wird das von Mal zu Mal weniger“, sagt ein Parkplatzwächter. „Die Leute bleiben am Sonntag zu Hause und gucken das Rennen im Fernsehen.“

Ebenfalls in die Röhre schauen seit einiger Zeit die Betreiber der privaten Nürburgring Automotive GmbH. Der Leasingvertrag wurde vor Monaten gekündigt, Insolvenzverwalter bestimmen derzeit die Geschicke des Rings. Sie waren es auch, die dem Formel-1-Chef Bernie Ecclestone den Rabatt abluchsten, der das diesjährige Rennen im deutschen Motorsportheiligtum überhaupt möglich machte.

Ecclestone war es auch, der während des Großen Preises am Wochenende als Erster öffentlich sein Interesse bekundete, den maroden Ring zu kaufen. Ab April 2014 soll die Kultstrecke in privaten Händen sein. Der Verkehrswert wird auf 120 Millionen Euro geschätzt, Verkaufsanzeigen wurden in großen deutschen Zeitungen geschaltet. Die rot-grüne Landesregierung hat ein Gesetz in die Wege geleitet, um vor allem die in aller Welt geliebte, mehr als 20 Kilometer lange Nordschleife für Freizeitraser zugänglich zu halten.

Mehrere Varianten sind möglich, Grand-Prix-Strecke und Nordschleife können gesondert erworben werden. Die Ausschreibung zeugt von der Rückkehr des Realitätssinns am Fuße der Nürburg, denn für den Erlebnispark, der wie ein notgelandetes Ufo sinnlos in der Eifel herumsteht, wird sich kaum ein gewinnorientierter Investor begeistern können.

Bernie Ecclestone jedenfalls hat sein Kaufinteresse inzwischen auch schon wieder zurückgezogen. Einstweilen bleiben nur Gerüchte und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Dem Vernehmen nach sind 200 Interessenten vorstellig geworden, der ADAC soll dazugehören. Und auch Red-Bull-Eigentümer Dietrich Mateschitz. So könnte sich Sebastian Vettels Chef darum verdient machen, dass sein Bediensteter noch häufiger über dem vermüllten Tunnel jubeln kann.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false