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Dietzsch

© dpa

Franka Dietzsch: Den doppelten Hüpfer wiederfinden

Diskus-Weltmeisterin Franka Dietzsch sucht ihre Form für Olympia. Ein Trainingsbesuch.

Wie gewinnt man eigentlich eine olympische Medaille? Mit Talent, Glück – und vor allem Training. Wir haben einige der besten deutschen Sportler vor den Olympischen Spielen in ihrem Training besucht. Heute Folge 1: Diskuswerferin Franka Dietzsch.

Training ist für Franka Dietzsch ein Naturereignis. Aus dem Werferhaus schleudert sie den Diskus auf eine Lichtung, und bis er nach seinem Flug auf die Wiese plumpst, ist nichts zu hören als Vogelgezwitscher und der Wind, der sich durch die Bäume schlängelt. Wenn Franka Dietzsch hier einen Wettkampf simulieren wollte, müsste sie sich schon vorstellen, dass jedes Blatt der Kopf eines Zuschauers ist und das Rauschen der Blätter das Tuscheln des Publikums vor dem entscheidenden letzten Wurf.

In der Natur von Kienbaum, östlich vor Berlin, will Franka Dietzsch sich gleichzeitig erholen und stärken für die Olympischen Spiele. Trainieren, wo andere Naherholung suchen, so ist das im Bundesleistungszentrum. Das Werferhaus, in dem auch noch Kugelstoßer, Speerwerfer, Hammerwerfer trainieren können, liegt am Ende der Anlage, und das einzige, was an diesem Morgen unnatürlich aussieht, ist Franka Dietzschs knallorangenes Trikot. Hier ist sie heute ganz alleine, alleine mit sich und ihren Sorgen, dass diese Saison vielleicht schon vorzeitig enden könnte, weil ihr Körper zurzeit mit einer bösen Überraschung nach der nächsten kommt. Darüber reden kann sie allenfalls mit ihrem Trainer Dieter Kollark.

Mit Olympia hat Franka Dietzsch noch eine Rechnung offen, und die Spiele in Peking werden die letzte Gelegenheit sein, sie zu begleichen. Ein vierter Platz 1996 in Atlanta war ihr bisher bestes olympisches Ergebnis, in Athen vor vier Jahren scheiterte sie schon in der Qualifikation. Weil sie die vergangenen beiden Weltmeisterschaften gewann und inzwischen auf drei Titel kommt, schien für Peking eine besondere Geschichte möglich: mit ihren 40 Jahren die älteste Olympiasiegerin in einer Einzeldisziplin der Leichtathletik zu werden. Doch im Moment scheint das fast unerreichbar.

Sie hat sich erst eine Viertelstunde lang warm gemacht mit dem Lauf-ABC, das sind verschiedene Lauftechniken, Laufen mit angehobenen Knien, Anfersen, Hopserlauf. Dann holt sie Kollark ab. Es ist 10.30 Uhr. Gemeinsam schlendern sie zum Werferhaus. Dort trennen sich ihre Wege, Dietzsch geht zum Werfen in den Ring, Kollark stellt sich in sechzig Metern Entfernung auf die Wiese. Bevor es losgeht, rupft er ein Grasbüschel heraus und lässt es durch die Luft fliegen. „Guck mal, Franka!“, ruft er ihr zu. Dadurch weiß sie, aus welcher Richtung der Wind weht und wohin er gleich auch ihren Diskus tragen wird.

Jetzt muss Franka Dietzsch nur noch zugreifen. Neben dem Ring liegen sechs Disken wie auf einem Beistelltisch drapiert. Außerdem steht noch ein Topf mit Magnesium neben ihr, damit reibt sie jede Scheibe ein, bevor sie sich in den Ring begibt. Die ersten Würfe macht sie nur aus dem Stand.

Zweimal Wurftraining und einmal Krafttraining stehen heute auf dem Programm, Krafttraining bedeutet vor allem Bankdrücken. Franka Dietzsch ist noch in der Aufbauphase, sie hat noch nicht genügend Kraft für eine Höchstleistung, ihre Technik will sie noch stabilisieren. Doch etwas stimmt heute nicht. Ihr Gesichtsausdruck nach dem Abwurf ist mürrisch, und von der Wiese ruft Kollark die erste Analyse herüber: „Da war kein Druck nach vorne.“ Er sammelt die Scheiben ein. Während er sie zurückträgt zum Werferhaus, gibt er die nächsten Eindrücke durch: „Da ist überhaupt kein Schuss dahinter.“ Zweimal führt Franka Dietzsch nun die Bewegung ohne Diskus aus, wie um sich zu vergewissern, ob ihre Technik noch stimmt.

Es ist im Moment so, dass ihr Körper die Trainingspläne schreibt. Er sagt ihr schon am Morgen, was heute geht und was ihm zu viel ist.

In dieser Saison hat er sie oft gebremst, denn diese Saison ist eine Chronik von Krankheiten und Verletzungen. Es sind einige Rätsel aufgetaucht. Morgens hatte Franka Dietzsch auf einmal einen Blutdruck von 180 – im Ruhezustand. Außerdem fühlte sie sich unheimlich schlapp. Probleme mit der Schilddrüse hatte sie auch noch. „Ich erhole mich einfach nicht“, sagte sie. Ein Arzt riet ihr daraufhin, es mit dem Leistungssport lieber bleiben zu lassen. Sie spiele mit ihrer Gesundheit, vielleicht sogar mit ihrem Leben. Andere Ärzte machten ihr dagegen Mut. Inzwischen hat sie ihren Blutdruck und ihre Schilddrüse mit Medikamenten wieder unter Kontrolle gebracht. Aber sie hat auf dem Weg dahin einige Wochen verloren.

Die nächste Trainingsstufe steht an: Werfen mit Anlauf – wie im Wettkampf. Weil ihr auch noch ihr linker Fuß Schmerzen bereitet hat, kann sie an manchen Tagen nur aus dem Stand werfen. Heute versucht sie es aus der Drehung. Sie scheint sofort zu merken, ob ein Wurf gelungen ist oder nicht. Ein doppelter Hüpfer nach dem Abwurf, das sind die Versuche, in die sie große Hoffnungen setzt. Und ihr entfährt dabei ein kleiner Schrei in einer hohen Tonlage, die man einer so kräftigen Frau gar nicht zutrauen würde.

Die meisten Scheiben drehen weit nach rechts raus, und dafür hat sie eine Erklärung: Muskelkater in den Beinen. Deshalb kann sie sich nicht so schnell drehen, Arm und Oberkörper sind schneller als die Hüfte. „Dass ich nicht so weit werfe wie im Januar oder im Februar, macht mich schon nervös“, sagt sie. Bei 55 Metern fallen die meisten Würfe herunter. Im Wettkampf bräuchte sie zehn Meter mehr, um eine gute Platzierung zu erreichen. „Ich wache jeden Morgen auf und denke, heute wird es besser“, sagt sie. Der Deutsche Olympische Sportbund hat bei ihr dennoch eine Ausnahme gemacht und sie für Peking nominiert, obwohl sie keine einziges Mal in dieser Saison die geforderte Qualifikationsweite von 61 Metern erreicht hat. Eine Weltmeisterin zu Hause lassen? Niemals.

Die letzte Runde in dieser Trainingseinheit. Kollark kommt nun auf sie zu und schaut sie eindringlich an: „Du gibst jetzt nochmal alles, Franka. Mundwinkel nach oben!“ Sie greift nach einem Diskus, dreht sich, wirft und seufzt, „nee, der nicht, der ist Scheiße.“

Der nächste Wurf. Konzentration. Schwingen. Drehen. Werfen. „War der nicht besser?“, fragt sie. Doch auf Kollarks Bestätigung wartet sie vergeblich. „Franka lebt von ihrer Schnelligkeit“, sagt er. Aber mit Muskelkater in den Beinen keine Beschleunigung und keine weiten Würfe.

An manchen Tagen trainiert sie als Ergänzung mit einem Ring, der ist 3 Kilo schwer, oder einer Scheibe, die 2,4 Kilogramm wiegt. Der Diskus wiegt nur 1 Kilo. 59 Meter ist die maximale Weite, die sie in diesen Tagen erreicht.

Franka Dietzschs Training ist vor allem ein Kampf um kleinste Verbesserungen, ein Ringen um Hoffnung, dass etwas passiert, dass sie – wie die Werfer sagen – einen raushaut, ganz weit und damit sich und ihrem Trainer zeigt, dass sie es noch kann.

20 Würfe hat sie in einer Stunde gemacht. 30 bis 40 wären für eine Einheit normal. In der Haupttrainingsphase schickt sie bis zu 100 mal den Diskus auf die Reise. Aber so viel schafft sie heute nicht. Kollark setzt sich im Werferhaus neben sie und bespricht das weitere Vorgehen: „Auf Muskelkater Bankdrücken bringt nichts“, sagt er. „Samstag lockeres Reißen bis 65 Kilogramm und allgemeines Werfen.“

Franka Dietzsch macht noch einige Medizinballwürfe und ein bisschen Dehnprogramm. Dann ist diese Einheit zu Ende, das Mittagessen in der Kantine des Leistungszentrums wartet.

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