zum Hauptinhalt
Frankreichs Dimitri Payet (2L) feiert das 3:0 beim Viertelfinale gegen Island.

© dpa

Halbfinale gegen Deutschland: Frankreich spielt endlich wie ein EM-Favorit

Frankreich hat von Tag zu Tag an Selbstwertgefühl gewonnen. Da kommen die Deutschen im Halbfinale gerade recht.

Mitternacht war schon passé und das Stade de France menschenleer. Es begann die Vorbereitung für die große Party, die Frankreich noch feiern will. Mit Rasenmähern schritten die emsigen Helfer über das Grün von Saint-Denis, auf dem am kommenden Sonntag das Finale der Europameisterschaft ausgespielt wird. Der Dauerregen hatte ein wenig nachgelassen, er störte die Männer und Frauen ohnehin nur am Rande, denn in der Luft lag immer noch der jüngste Triumph der Equipe Tricolore, jenes 5:2 im Viertelfinale gegen den Favoritenschreck Island. Es war das torreichste Spiel eines Turniers, das wahrscheinlich nicht als Offensivspektakel in die Geschichte des Fußballs eingehen wird. Aber wen interessiert schon die Vergangenheit, wenn die Zukunft so hell strahlen kann?

Frankreich freut sich auf Deutschland

„Diese fünf Tore helfen uns“, spricht Paul Pogba, der französische Antreiber mit den raumgreifenden Schritten, er hat wie seine Kollegen in Blau-Weiß-Rot endlich so aufgespielt, wie es die Nation verlangt. Dominant, schön und erfolgreich. Frankreich verlangt nach einer Rückkehr ins Stade de France, und dass dieser Weg nur über den Weltmeister führt, beflügelt die Grande Nation eher, als dass es sie hemmen könnte. Frankreich freut sich auf Deutschland.

Frankreichs Selbstwertgefühl ist in diesen europäischen Wochen von Tag zu Tag gewachsen. „Das ist keine einfache Zeit für unser Land“, konstatiert der Trainer Didier Deschamps, „deswegen ist es für uns sehr wichtig, dass wir den Leuten hier Freude bereiten können.“ Ist die Europameisterschaft, ist die Equipe endlich angekommen bei den Landsleuten? Ein französischer Reporter konstatiert, mit der Qualifikation für das Halbfinale sei das Ziel doch schon erreicht. „Ist es das?“, entgegnet Deschamps. – „So hat es der Verbandspräsident doch vorher gesagt!“ – „So, hat er das? Na, dann ist ja gut!“

Die Grande Nation ist angriffbereit

Der Mittelfeldspieler Deschamps hat mit Frankreich 1998 die Weltmeisterschaft gewonnen und zwei Jahre später die Europameisterschaft. „Ist schon lange her, ich kann mich gar nicht mehr genau daran erinnern“, sagt der graumelierte Trainer. Dass er nun als Verantwortlicher auf der Bank ein Da Capo hinlegen kann, hat er vor allem der wieder belebten Angriffslust seiner Mannschaft zu verdanken. Die Geschichte des französischen Fußballs ist eine Geschichte von Offensivbegabungen. Raymond Kopa, Just Fontaine, Michael Platini, Thierry Henry, Zinedine Zidane – die Liste ist lang. Die Bereitschaft zur Offensive ist ein französischer Mythos, und er erfährt seine Bestätigung im Sommer 2016. Frankreich kann wieder attackieren, und wie!

Nouvel Amour. Selbst der zuvor ungeliebte Olivier Giroud wird plötzlich wertvoll für die Franzosen und Trainer Didier Deschamps.
Nouvel Amour. Selbst der zuvor ungeliebte Olivier Giroud wird plötzlich wertvoll für die Franzosen und Trainer Didier Deschamps.

© REUTERS

Die unbedingte Angriffsbereitschaft der Grande Nation bei dieser Europameisterschaft spiegelt sich in vier Interpreten, die in der Heimat schon die Galaktischen genannt werden. Die Wucht dieses Quartetts trat am Sonntag gegen Island so deutlich zutage, wie sie von keiner anderen Mannschaft bisher zu sehen war. Es handelt sich dabei um:

Antoine Griezmann, den Windhund mit dem blonden Haarschopf, der seine Torchancen so gnadenlos nutzt wie früher das deutsche Strafraum-Phänomen Gerd Müller. Dazu ist Griezmann schnell, perfekt am Ball und robuster, als es seine filigrane Gestalt vermuten lässt. Am Sonntag schoss er das schönste der vier Tore, mit einem Chip aus vollem Lauf über den isländischen Torhüter. Anschließend verbeugte sich der Künstler Dimitri Payet vor ihm und küsste symbolisch Griezmanns goldenen Fuß, der im konkreten Fall in einem rosa-schwarz-weißem Schuh steckte.

Der Künstler Dimitri Payet verbeugt sich vor Griezmann und küsste symbolisch seinen goldenen Fuß.
Der Künstler Dimitri Payet verbeugt sich vor Griezmann und küsste symbolisch seinen goldenen Fuß.

© AFP

Die vier französischen Galaktischen

Eben jener Payet, der so schön und zielorientiert dribbeln kann wie kaum ein anderer. Auf sein Konto ging natürlich auch ein Tor, das zwischenzeitliche 3:0, das alle Zweifel am Einzug ins Halbfinale beseitigte.

Dann ist da noch Paul Pogba, die französische Antilope. Pogba war zuletzt häufig und schwer kritisiert worden, als einer, der zuvorderst auf seine wechselnden Frisuren bedacht sei. Gegen Island brachte er seinen Speed so gewinnbringend ein, dass ihm das Stade de France Ovationen widmete. Sein ganzer Willen kulminierte in jenem 2:0, als er den Ball mit dem Kopf ins Tor rammte und der neben ihm hoch springende Verteidiger hilflos von Pogba abprallte. Im zentralen Mittelfeld ist er von einem Wert wie bei den Deutschen Sami Khedira oder Bastian Schweinsteiger, beide werden den Deutschen am Donnerstag wohl nicht zur Verfügung stehen.

Und, viertens, Olivier Giroud. Der Stürmer vom FC Arsenal ist in Frankreich nicht immer geliebt worden. Er wirkt ein bisschen hölzern, Schönheit ist seinem Spiel nur bedingt zu unterstellen. Vor ein paar Wochen hat ihn das Publikum im Testspiel gegen Kamerun ausgepfiffen. Giroud war in der Heimat noch vor kurzem ungefähr so beliebt wie Mario Gomez in Deutschland nach seinem legendären Fehlschuss bei der EM 2008 gegen Österreich.

Dass viele Franzosen über die dubiose Rolle von Karim Benzema in der Erpressungsaffäre um Mathieu Benzema gern hinweggesehen hätten, lag vor allem daran, dass ihnen damit Olivier Giroud erspart geblieben wäre. Gegen Island aber zeigte der ungeliebte Stürmer, wie wertvoll er für seine Mannschaft sein kann. Giroud schoss zwei Tore und war an zwei weiteren beteiligt. Es war sein bisher bestes Spiel für Frankreich.

„Wir wollen Revanche für Brasilien“

Alle vier französischen Galaktischen trafen am Sonntag für Frankreich, und nun freuen sie sich auf Deutschland. „Wir wollen Revanche für Brasilien“, sagt Giroud – Satisfaktion für das 0:1 im Viertelfinale der WM 2014, als die Franzosen schon dicht dran waren am Triumph, aber eben nicht dicht genug. Das deutsche Siegtor schoss damals Mats Hummels, aber der wird am Donnerstag fehlen. Frankreich bietet seine Bestbesetzung auf. Giroud durfte vor zwei Jahren im Maracana von Rio de Janeiro nur die letzten fünf Minuten spielen.

Diesmal ist er gesetzt und hofft auf die symbolische Kraft seines Vollbarts, er will ihn pflegen bis zum Finale, für das die emsigen Helfer schon kurz nach dem Schützenfest gegen Island den Rasen pflegten. „Der Bart bleibt stehen“, sagt Giroud, er will ihn in einer Woche sehr gern blau-weiß-rot färben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false