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Frings

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Frings-Interview: "Wir sind weiter als vor zwei Jahren“

Torsten Frings über die EM-Chancen der deutschen Elf, sein Image als Turnierspieler und die Vorteile seiner langen Verletzung.

Herr Frings, Bundestrainer Löw sagt über Sie, Sie seien ein Spieler, der sich richtig in ein Turnier reinarbeiten könne. Fühlen Sie sich treffend charakterisiert?

Ich weiß zumindest, worauf es ankommt, wenn man ein Turnier spielt: Du musst auf den Punkt voll da sein. Nicht nur körperlich, sondern auch vom Kopf her.

Wie macht man das?

Das fängt schon in der Vorbereitung an. Man muss sich selbst stark motivieren, sich immer wieder sagen: Jetzt zählt es. Es geht um einen Monat, und in diesem Monat konzentriere ich mich nur auf das Wesentliche. Alles Nebensächliche schiebe ich zur Seite.

Was ist das?

Der ganze alltägliche Kram. Als Vereinsspieler hast du ein Privatleben, du triffst dich mit Freunden. In diesem einen Monat fällt das alles komplett weg: Du lebst nur noch mit der Mannschaft zusammen.

Bewegen Sie sich in der Nationalmannschaft anders als im Klub?

Vielleicht an den ersten zwei, drei Tagen, da muss man schon ein wenig warm werden miteinander. Aber nach einer kurzen Zeit ist das gute Gefühl wieder da.

Stört es nicht, wenn jetzt in den ersten Tagen auf Mallorca die Kinder, Frauen oder Freundinnen der Spieler dabei sind?

Das ist ja kein Erholungsurlaub. Wir arbeiten auch an diesen wenigen Tagen schon hart. Trotzdem ist es schön, dass man abends noch einmal mit der Familie zusammensitzen kann, bevor man wirklich weggeschlossen wird.

Vor zwei Jahren hat Jürgen Klinsmann ein Regenerationstrainingslager mit Familienbegleitung angekündigt und dann knallhart trainieren lassen. Hat er Sie damals reingelegt?

Ein wenig überrascht waren wir schon. Wir dachten, dass es ein wenig lockerer zugehen würde. Andererseits haben wir uns alle wahnsinnig auf das Turnier gefreut, und wir waren heiß darauf, das Unmögliche wahr zu machen. Dementsprechend hat das Team von Beginn an mitgezogen. Der Erfolg hat uns recht gegeben. Wir waren mit die fitteste Mannschaft, die bei der WM rumlief.

Der Grundstein für das erfolgreiche Turnier wurde in der fast schon legendären Vorbereitung gelegt. Lässt sich dieser Effekt wiederholen?

Wir hatten im Vorfeld der WM nicht die besten Resultate. Ich sage nur Florenz. Dieses Mal ist die Vorbereitung kürzer. Aber man darf auch nicht vergessen, dass wir als Mannschaft sehr viel weiter sind als vor zwei Jahren. Wir hatten mal ein schlechteres Spiel gegen Tschechien, aber das ist mit Florenz nicht vergleichbar. Ich glaube auch nicht, dass uns so etwas noch einmal passieren wird. Wir sind als Mannschaft gereift.

Ist genügend Biss in der Mannschaft, um den Titel zu holen?

Es wird uns nicht an der Härte und Konsequenz fehlen. Ich gehe davon aus, dass jeder voll mitzieht und jedem daran gelegen ist, sich optimal vorzubereiten. Jeder von uns hat das Ziel, eine sehr gute EM zu spielen und den Titel zu holen. Aber wir müssen ja nicht am ersten Tag des Turniers den Titel gewinnen. Wir können jetzt ein paar Dinge trainieren, die wir sonst bei den Länderspielen in der kurzen Zeit gar nicht schaffen konnten. Ich bin davon überzeugt, dass wir besser spielen werden als zuletzt in Wien und Basel.

Vor zwei Jahren hieß es, die WM 2006 komme noch zu früh. Aber 2008 bei der EM sei die Mannschaft ernsthafter Titelkandidat. Ist das noch so?

Ja, das glaube ich. Wir sind weiter als vor zwei Jahren, trotzdem hätten wir den WM-Titel gern mitgenommen. Von unseren Leistungen her war der ja auch ohne weiteres drin. Wir hatten Pech im Halbfinale. Wenn wir das gewonnen hätten, wären wir auch Weltmeister geworden.

Nach dem Viertelfinale gegen Argentinien gab es auf dem Platz ein Handgemenge. Hinterher wurden Sie von der Fifa gesperrt. Trauern Sie dem verpassten Halbfinale noch nach?

Ja, ich konnte halt nicht spielen, ungerechterweise.

Sie sind ja immer noch wütend …

… was heißt wütend? Das war der traurigste Moment in meiner Karriere, weil es ungerecht war und weil ich der Mannschaft ganz sicher hätte helfen können.

Bei der WM hat Jürgen Klinsmann die Mannschaft sehr stark motiviert. Fehlt sein übersinnlicher Einfluss?

Der Jogi macht das genauso gut. Nichts gegen die Arbeit von Jürgen Klinsmann, aber man sollte jetzt nicht mehr darüber reden, was mit ihm war, sondern einfach mal anerkennen, dass die Mannschaft sich enorm entwickelt hat. Wir haben als Erste die EM-Qualifikation geschafft und sind da ohne Probleme durchmarschiert.

Wie motiviert Joachim Löw, mehr fachlich und weniger emotional?

Auch emotional. Der Jürgen hat das eben sehr extrem gemacht, der Jogi ist ein wenig ruhiger.

Sie waren zuletzt lange verletzt, andere Spieler haben Ihren Platz eingenommen und das gut gemacht. Sind Sie in der Nationalmannschaft inzwischen überflüssig?

Wenn ich fit bin, muss ich mir darüber keine Sorgen machen. Mache ich auch nicht.

Hatten Sie mal Angst um die Fortsetzung Ihrer Karriere?

Nein, ich hatte ja keine so schwere Verletzung, bei der das Karriereende gedroht hätte. Mir war immer klar: Wenn ich genügend Zeit bekomme, werde ich wieder fit.

Aber Sie mussten fürchten, dass Sie die EM verpassen.

Nein, ich stand permanent in Kontakt mit dem Bundestrainer. Er hat mir gesagt, ich solle mir Zeit lassen und in Ruhe fit werden. Ich müsste mir keine Sorgen machen. Wenn ich gemerkt hätte, die Zeit reicht nicht, hätte ich auf die EM verzichtet. Die Gesundheit ist mir wichtiger als irgendein Turnier.

Das Problem ist, dass man sich selbst nicht genügend Zeit gibt.

Deswegen hatte ich ja auch den einen oder anderen Rückschlag. Ich habe aus meinen Fehlern gelernt und mir die nötige Zeit gegeben.

Jetzt könnte die Verletzungspause Ihr Vorteil sein – Sie sind schön ausgeruht.

So war es auch geplant. Nein, natürlich nicht. Ich habe ja mit Werder in der Endphase der Meisterschaft noch einen guten Härtetest gehabt. Trotzdem könnte es ein Vorteil sein, nicht ganz so viel gespielt zu haben. Das sieht man bei Michael Ballack, der auch sehr lange ausgefallen ist. Er ist immer besser in Schwung gekommen und kann Chelsea jetzt zum Sieg in der Champions League führen, weil er noch viel Kraft hat, die andere Spieler am Ende einer langen Saison eben nicht mehr haben.

Sind die vielen Verletzungen die späte Rache für all die Jahre, in denen die Nationalspieler keine richtige Sommerpause hatten?

Jeder Nationalspieler hat sich irgendwann mal verletzt. Der Körper nimmt sich eben seine Pausen. Bei mir war das jetzt eine relativ lange. Oder nehmen Sie Bernd Schneider, der für die EM ausfällt: Der hat seit der WM 2002 quasi immer durchgespielt, jetzt hat es ihn erwischt.

Hat man als Nationalspieler eigentlich Ehrfurcht vor so einem großen Turnier wie der Europameisterschaft?

Klar, es ist ein großes Turnier, und diese Gelegenheit bekommt nicht jeder, aber in erster Linie wird nur Fußball gespielt.

Die deutschen Fans sehen das ein wenig anders. Sie erwarten den Titel von der Mannschaft. Wie gehen Sie mit diesem Erwartungsdruck um?

Ich spüre keinen Druck, der uns belastet. Das ist eher ein gutes Gefühl, dass wir die Fußballgeschichte ein bisschen weiter schreiben können. Wir waren so oft Welt- und Europameister, wir gehören immer automatisch zu den Favoriten. Ab dem Viertelfinale brauchst du natürlich auch ein bisschen Glück. Da kann es dich auch erwischen – wenn du Pech hast im Elfmeterschießen. Ich weiß nur, dass wir fit sein werden. Das weiß ich hundertprozentig.

Daraus bezieht die Mannschaft ihr Gefühl der Stärke?

Zumindest haben wir dann sehr gute Voraussetzungen, um ein starkes Turnier zu spielen. Körperliche Fitness ist bei einem solchen Turnier mit das Wichtigste, weil es am Ende der Saison noch mal viele Spiele sind und du in jedem Spiel über deine Grenze gehen musst.

Welche Mannschaft bringt diese Voraussetzung sonst noch mit?

Läuferisch sind wir schon mit die beste Mannschaft. Die Italiener sind taktisch sehr gut. Die schießen wenig Tore, kassieren aber auch fast nie eins. Spanien kommt mehr von der Technik her, aber so eine Mannschaft kannst du eben auch überrennen, wenn du topfit bist. Die darfst du nicht zum Spielen kommen lassen. Wenn du topfit bist, schaffst du das auch, und dann gewinnst du gegen solche Mannschaften.

Was passiert mit der Nationalmannschaftskarriere von Torsten Frings, wenn Deutschland Europameister wird?

Lasst uns erst mal Europameister werden, dann können wir darüber noch mal nachdenken. Wenn ich irgendwann spüre, dass ich die Belastung nicht mehr packe, würde ich zurücktreten. Aber im Moment fühle ich mich gut und fit und werde versuchen, das Niveau noch ein paar Jahre zu halten.

Um doch noch einmal ein WM-Halbfinale zu spielen.

Gerne. Vielleicht auch noch ein Endspiel. Und das dann vielleicht gewinnen.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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