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Fußball: Deutschland, deine Torhüter

Auf die fliegenden Männer zwischen den Pfosten ist immer Verlass, sagt die Legende. Mancher Fehlgriff wird dabei vergessen.

Eine Umfrage in Brasilien nach den größten deutschen Erfindungen würde wohl zu folgendem Ergebnis kommen: Erstens: der Kühlschrank. Zweitens: das Bier. Drittens: der Torwart.

Die Reihenfolge ist nicht bindend, vielleicht landet der Torwart auch vor dem Bier. Wenn die brasilianischen Fußballfans den hiesigen etwas neiden, sind es die fliegenden Männer zwischen den Pfosten. Maier, Kahn, Lehmann, Turek – großartige Leute. Da irritiert es, dass die Deutschen bei der anstehenden Europameisterschaft vielleicht einen Torwart spielen lassen, der im Alltag nicht mal seinem Vereinstrainer gut genug ist. Jens Lehmann kommt beim FC Arsenal nicht an einem Spanier vorbei, der vor einem halben Jahr noch ein besserer Clown war. Und wenn die Nummer zwei, Timo Hildebrand, in der Rückrunde für den FC Valencia spielen sollte, dann weil Trainer Ronald Koeman in der Winterpause keinen Besseren bekommen hat.

Wie verträgt sich das mit der großen Tradition?

Ganz gut. Denn über Deutschlands Torhüter wurde schon leidenschaftlich gestritten, als es noch gar keine deutsche Torhütertradition gab. Das war bei der Weltmeisterschaft 1934, als die Deutschen vor jedem Spiel die Hand zum Hitlergruß hoben und Reichstrainer Otto Nerz seinem Führer gern ein Finale gegen Mussolinis gastgebende Italiener geschenkt hätte. Dazu fehlte nur noch ein Sieg im Halbfinale gegen die Tschechoslowakei.

Im deutschen Tor stand Willibald Kreß vom Dresdner SC. Er zählte neben dem Spanier Ricardo Zamora und dem Italiener Gianpiero Combi zu den besten Torleuten der Welt. Aber nach dem Halbfinale sprachen alle über den Tschechen Frantisek Planicka, die „Katze von Prag“. Planicka verdarb den überlegenen Deutschen fast im Alleingang den Weg ins Finale. Kreß hingegen legte den Tschechen zwei Tore zum 3:1-Sieg auf. Der „Kicker“ titelte: „Mit vertauschten Torhütern hätten wir gewonnen.“ Für Kreß war sein 16. Länderspiel auch das letzte.

Im Spiel um Platz drei durfte Hans Jakob spielen. Der Regensburger machte seiner Sache gut, die Deutschen siegten 3:2 gegen Österreich. Kurioserweise war es auch für Jakob das letzte WM-Spiel. Denn beim Weltturnier 1938 in Frankreich musste Nerz’ Nachfolger Sepp Herberger auf Hitlers Befehl die Spieler des angeschlossenen Österreich integrieren. Angeordnet war eine Mischung im Verhältnis 6:5, Jakobs Planstelle im Tor ging an den Wiener Rudi Raftl. Viel Freude hatte er nicht, denn die großdeutsche Mannschaft schied in Frankreich in der ersten Runde aus. Raftl machte noch vier Länderspiele. Dann kam der Krieg, und als die Deutschen 1954 in der Schweiz wieder bei einer WM mitmachen durften, war Raftl schon wieder Österreicher.

Diese WM begründete den Ruf der Torwartnation Deutschland. Toni Turek wurde im Finale von Bern zum Helden. Das verdankt er auch der mitreißenden Rundfunkreportage vom Berner Finale gegen Ungarn. „Gehalten von Toni! Gehalten! Toni, du bist ein Teufelskerl! Toni, du bist ein Fußballgott!“ Neben Helmut Rahn war Turek der Vater des 3:2-Sieges über die Ungarn, die sich die Sache nach dem 8:3-Sieg in der Vorrunde leichter vorgestellt hatte. In diesem Spiel hatte Turek übrigens dem Dortmunder Heinrich Kwiatkowski den Vortritt gelassen.

Kwiatkowski ist so etwas wie der tragische Held der deutschen Torhüter. 1958 in Schweden gehörte er zum Aufgebot, als Nummer zwei hinter dem Essener Fritz Herkenrath. Wieder durfte er ein Spiel machen, wieder ein untergeordnetes, und wieder schlug es ein in seinem Kasten. 3:6 verloren die Deutschen das Spiel um Platz drei gegen Frankreich, so dass Kwiatkowski in seiner WM-Bilanz einen Schnitt von sieben Gegentoren aufzuweisen hat.

Vier Jahre später in Chile gab es die große Torwart-Krise. Bundestrainer Herberger löste sie aus, indem er nicht den arrivierten Hans Tilkowski aufstellte, sondern den unbekannten Ulmer Wolfgang Fahrian, der am Tag des ersten Spiels gegen Italien 21 Jahre alt wurde. Es heißt, Tilkowski habe nach Bekanntwerden der Nachricht sein Hotelzimmer zerlegt und dem greisen Trainer Prügel angedroht. Fahrian hielt gegen Italien sein Tor sauber und kassierte im Turnier nur zwei Tore, das zweite im Viertelfinale gegen Jugoslawien, womit das Aus besiegelt war. Die nächste WM erlebte er vorm Fernseher.

Herbergers Nachfolger Helmut Schön hielt nicht viel vom Luftikus Fahrian, dafür um so mehr vom in Chile so gedemütigten Tilkowski. Der Dortmunder war die Nummer eins beim WM-Turnier 1966 in England, fiel aber nicht weiter auf, bis er im Finale von Wembley spektakulär durch die Luft flog beim dritten englischen Tor, das bekanntlich keines war. Auf der Ersatzbank saß ein junger Münchner. Dieser Sepp Maier erzählt noch heute, mit ihm im Tor wäre Deutschland Weltmeister geworden, weil er eben nicht den Fehler gemacht hätte, den die Engländer zum 1:1-Ausgleich genutzt hatten. Maier hütete 1970 in Mexiko das Tor. Er hatte im Jahrhundertspiel beim 3:4 im WM-Halbfinale gegen Italien den unattraktivsten Job. In der Verlängerung war fast jeder Schuss ein Treffer – nicht, weil Maier so schlecht war, sondern weil die deutschen Verteidiger in der Hitze reihenweise umkippten.

Zwei Jahre später wurde er mit der wohl besten deutschen Mannschaft aller Zeiten in Belgien Europameister. Seine größte Zeit erlebte Maier 1974 bei der WM in Deutschland. Gegen Polen machte er das Match seines Lebens. Trotz größter polnischer Chancen hielt er sein Tor sauber; auch beim 2:1 im Endspiel gegen die Niederlande zählte er zu den Besten. Zwei Jahre später ließ Maier sich im EM-Finale von Belgrad durch den listigen Elfmeter des Tschechen Panenka übertölpeln. 1978 spielte er als 34-Jähriger in Argentinien sein viertes und letztes WM- Turnier. Es endete mit der berüchtigten 2:3-Pleite gegen Österreich in Cordoba.

Beim EM-Sieg 1980 in Italien stand schon Maiers Nachfolger Harald Schumacher im Tor. Zwei Jahre später bei der WM in Spanien hatte der Kölner die schlechtesten Popularitätswerte, die je ein deutscher Fußballer im Ausland hatte. Schumacher war das Abziehbild des unsympathischen Deutschen, als er im Halbfinale den Franzosen Patrick Battiston checkte. Als der bewusstlose Battiston behandelt wurde, lehnte Schumacher gelangweilt am Pfosten. Deutschland siegte im Elfmeterschießen – auch, weil Schumacher gegen Six und Bossis parierte. An der 1:3-Niederlage im Finale gegen Italien trug er keine Schuld. Vier Jahre später beim Finale in Mexiko war das anders. Schumacher verschätzte sich bei einer Flanke, die Brown zum 1:0 für Argentinien einköpfte. Und kurz vor Schluss verharrte er zu lange auf der Torlinie und ermöglichte Burruchaga das 3:2-Siegtor.

Deutschlands nächster Finaleinzug fand 1990 in Italien ohne Schumacher statt. Er hatte sich mit seinem Buch „Anpfiff“ den Zorn von Klub und Verband zugezogen. Sein Nachfolger in Köln wie im Nationalteam war Bodo Illgner. Er wurde berühmt, weil ihm der Engländer Stuart Pearce beim Elfmeterschießen im Halbfinale den Ball gegen das Knie schoss. Beim 1:0-Sieg im Endspiel gegen Argentinien bekam Illgner nichts zu tun. Als die Deutschen vier Jahre später bei der WM in den USA im Viertelfinale an Bulgarien scheiterten, bekannte Bundestrainer Berti Vogts, er hätte besser den Nürnberger Andreas Köpke ins Tor gestellt. Das tat er dann bei der EM 1996 in England, die Deutschland mit einem 2:1 im Finale von Wembley gegen Tschechien den bislang letzten Sieg bei einem großen Turnier bescherte. Doch auch Köpkes Karriere endete unglücklich – bei der WM 1998 in Frankreich gab es im Viertelfinale ein 0:3 gegen Kroatien.

Es folgte Oliver Kahn, und der hatte wenig Spaß bei seinem ersten großen Turnier, der völlig missratenen EM 2000 in Belgien und den Niederlanden. Deutschland schied in der Vorrunde aus. Zwei Jahre später bei der WM in Fernost erarbeite sich der Münchner den Kampfnamen Titan und boxte die Deutschen mit seinen Paraden ins Finale gegen Brasilien. Tragischerweise war es Kahn, der mit einem Fehler Brasiliens 2:0-Sieg einleitete. Vier Jahre später wollte Kahn bei der WM im eigenen Land alles wieder gutmachen, aber das Trikot mit der Nummer eins ging an Jens Lehmann. Der verdiente sich seinen Heldenstatus, als er im Viertelfinale gegen Argentinien zwei Elfmeter hielt.

Wer hätte damals schon voraussehen können, das es nur eineinhalb Jahre später so etwas wie ein deutsches Torhüter-Problem geben würde?

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