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Flüssige Frustbewältigung. Ersatzspieler Mario Basler trinkt sich 2003 Kaiserslauterns Niederlage im Pokalfinale gegen Bayern München schön.

© IMAGO

Fußball: Einer geht noch

Der Deutsche Fußball-Bund überdenkt seine Bier-Werbung – doch Alkohol gehört auch für Spieler schon immer dazu.

Es war eine überraschende Beichte. Vor einer Woche erzählte der Politiker Andreas Schockenhoff in der Talkshow von Günther Jauch von seiner Alkoholkrankheit. Ein Gast mit Aids wäre weniger spektakulär gewesen, ein Burn- Out-Syndrom gilt in der Medienwelt inzwischen fast schon als Trophäe. Über die Volksdroge Alkohol aber wird nur selten als Problem geredet. Auch Martin Fenin, der tschechische Fußballprofi von Energie Cottbus, hätte sich und der Öffentlichkeit wahrscheinlich gern die Geschichte seiner Flucht aus der Depression in den Alkohol erspart. Aber der Boulevard war schneller. Und der Stürmer trat am Dienstag die nächste Flucht an, diesmal nach vorn. Nachdem er betrunken aus dem Fenster seines Cottbuser Hotels gestürzt war, bekannte Martin Fenin: „Ja, ich habe ein Alkoholproblem.“

Fußball und Alkohol, das ist ein weites und in Deutschland immer noch weitgehend unbeachtetes Feld. Offen über ihre Sucht geredet haben nach der Karriere und dem Entzug nur wenige mittelbekannte Profis wie Michel Mazingu-Dinzey (früher Hertha BSC und FC St. Pauli) oder der ehemalige Bremer und Gladbacher Uli Borowka. Die größte Anti-Werbung für Alkohol und auch Tabak machte zuletzt Socrates, in den achtziger Jahren Kapitän der brasilianischen Nationalmannschaft. Vor ein paar Wochen wäre er beinahe an einer Leberzirrhose gestorben. Schon während seiner aktiven Zeit feierte Socrates gerne, er trank viel und rauchte eine Packung Zigaretten am Tag.

Es waren die Großen des Weltfußballs, die am Suff zugrunde gingen. Zum Beispiel José Leandro Andrade. Der Dandy aus Uruguay war der erste Weltstar des Fußballs, bei den Olympischen Spielen 1924 in Paris trat er nebenbei als Tänzer auf, an der Seite von Josephine Baker. Er starb, dem Alkoholismus verfallen, in einem Armenhaus von Montevideo. Auch Garrincha, der begnadete Dribbler, den sie in Brasilien mehr lieben als Pelé, soff sich zu Tode. George Best, der beste Fußballspieler, der nie bei einer WM spielte, war schon als Teenager Alkoholiker. In feucht-fröhlichen Kneipenrunden wird der Nordire noch heute zitiert mit Sprüchen wie: „Ich habe viel Geld für Alkohol, Frauen und Autos ausgegeben, den Rest habe ich einfach verprasst.“ Oder: „1969 habe ich das mit den Frauen und dem Alkohol aufgegeben. Das waren die schlimmsten zwanzig Minuten meines Lebens.“ Seine letzten Worte vor dem Tod durch allgemeines Organversagen waren: „Don’t die like me“ – sterbt nicht wie ich!

Der Engländer Paul Gascoigne hat gerade mal wieder eine Entziehungskur hinter sich und ein Buch über sein Leben zwischen Tor und Tresen veröffentlicht. Zu seiner aktiven Zeit schwärmte er für sein Vorbild Bryan Robson: „Er ist der einzige Spieler, den ich je traf, der 16 Pints trinken und immer noch am nächsten Tag Fußball spielen konnte.“ Später war Robson beim FC Middlesbrough Gascoignes Trainer – und schickte ihn nach einem mehrtägigen Saufgelage in den Entzug. In England wird das Problemfeld Alkohol und Fußball schon länger offen und zunehmend kritischer diskutiert. Tony Adams hat über seine Sucht schon zu aktiven Zeiten ein viel gerühmtes Buch geschrieben. Es erschien 1998, als der frühere Nationalspieler gerade 32 war, und trägt den Titel „Addicted“ – abhängig. Dazu gründete Adams die „Sporting Chance Clinic“, die eine Einrichtung zur Unterstützung von suchtkranken Sportlern ist. Als bekennender trockener Alkoholiker führte er den FC Arsenal noch 2002 zum Meistertitel.

In Deutschland hingegen bewegten sich Profis und Promille lange Zeit in einer Grauzone irgendwo zwischen Getuschel und Folklore. Der frühere Bundesligatrainer Max Merkel steht dafür mit seiner berühmten Anekdote: „Im Training habe ich mal die Alkoholiker meiner Mannschaft gegen die Anti-Alkoholiker spielen lassen. Die Alkoholiker gewannen 7:1. Da hab ich gesagt: Sauft’s weiter.“ Oder Wolf Dieter Ahlenfelder, der 1975 sein sechstes Spiel als Bundesligaschiedsrichter leitete und, gestärkt von ein paar Bieren und Schnäpsen, die Mannschaften von Werder Bremen und Hannover 96 schon nach einer halben Stunde in die Halbzeitpause schicken wollte. Er rechtfertigte sich mit dem Hinweis: „Wir sind Männer und trinken keine Fanta.“ Seiner Karriere schadete das nicht. 13 Jahre und 100 Bundesligaspiele später trat Ahlenfelder in allen Ehren zurück.

Es gehört einfach dazu. Schon die A-Jugend bringt beim Auswärtsspiel den obligatorischen Kasten Bier zusammen mit dem Trikotkoffer in die Kabine. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn die Nationalmannschaft nicht mehr für Bier wirbt. Darüber denkt jedenfalls der Deutsche Fußball-Bund (DFB) in Person seines Präsidenten Theo Zwanziger nach. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) hält das für übertrieben. „Ein Fußball-Verband sollte sich auf sein Kerngeschäft konzentrieren und nicht versuchen, der Komplett-Reparaturbetrieb unserer Gesellschaft zu sein“, sagt DFL-Präsident Reinhard Rauball. Bratwurst, Bier und Fußball seien seit Jahrzehnten „eine Einheit, ein Kulturgut, gerade auch im Amateurfußball“. Das Ganze sei eine grundsätzliche Frage, man müsse sonst auch über Cola, Nutella und Fast-Food nachdenken. Bier gehört für Rauball in dieselbe Kategorie.

Die Liste der Alkoholeskapaden deutscher Fußballspieler ist lang und beginnt gewiss nicht erst mit Helmut Rahn, aber der war der erste richtig prominente. 1957 steuerte der Held von Bern sein Auto in eine Baustelle und riss dem zu Hilfe kommenden Polizisten die Mütze vom Kopf. Das brachte ihm eine 14-tägige Haftstrafe ein. Rahn saß sie im Frühling 1958 ab, was den sonst so strengen Bundestrainer Sepp Herberger nicht daran hinderte, ihn auf Bewährung und Ehrenwort aus der Zelle zur Nationalmannschaft anreisen zu lassen. Die Weltmeisterschaft in Schweden ging vor, und Rahn bedankte sich auf seine Weise. Gleich im ersten Spiel gegen Argentinien schoss er zwei Tore und war mit insgesamt sechs Treffern der erfolgreichste deutsche Schütze.

Als die deutsche Nationalmannschaft sich 1982 auf die WM in Spanien vorbereitete, trug das Trainingsquartier am Schluchsee den inoffiziellen Namen Schlucksee. Es gibt auch lustige Geschichten, etwa die von Karl-Heinz Rummenigge. Er erzählt heute noch gern, wie er 1976 vor dem Europapokalfinale gegen AS St. Etienne so aufgeregt war, dass ihm Bayern Münchens Trainer Dettmar Cramer einen Kognak zu trinken gab und später noch einen zum Nachspülen.

Für gewöhnlich aber überwiegt das tragische Moment. Andreas Sassen ist ein Kind des Kohlenpotts wie Helmut Rahn, gesegnet mit außergewöhnlichem Talent und geschlagen mit der unheilvollen Neigung zum Absturz. Dass er 1989 nach einer Sauftour mit Mario Basler aus dem Auto gewinkt wurde und später erzählte, er könne seinen Führerschein gar nicht verlieren, fand die Öffentlichkeit noch komisch. Vier Jahre später herrschte Sassen volltrunken einen türkischen Taxifahrer an: „Fahr schneller, Ali!“ In der HSV- Fankurve sangen sie fortan „Taxifahr’n mit Sassen.“ 1996 aber war Schluss mit lustig: Aus einem Trainingslager an der Algarve setzte Sassen sich mit einer Bardame ab und war zehn Tage lang verschollen, während zu Hause seine Frau mit dem neugeborenen Kind wartete. Das war das Ende seiner Profikarriere. Mit 36 Jahren starb Andreas Sassen verarmt an den Folgen eines Hirnschlags.

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