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Das Runde im Eckigen. 90 000 Besucher werden täglich in der Fanzone am Eiffelturm erwartet. Allein auf dem Marsfeld will die Stadt 1000 Sicherheitskräfte einsetzen.

© dpa

Fußball-EM in Zeiten des Terrors: Paris will feiern - und keine Angst zeigen

In ein paar Stunden startet die EM. Paris ist im Ausnahmezustand. Anmerken lassen wollen sich die Franzosen das nicht - Fußballfans und auch andere.

Zurück nach Saint-Denis. Ein halbes Jahr danach, mit dem Vorortzug hinaus in die Betonwüste bei Paris. Vom Bahnhof über die Avenue du Stade de France, vorbei an den Schnellstraßen, Bürotürmen und Wohnsilos bis zu dem Imbiss, wo sich damals einer der drei Terroristen in die Luft gejagt hat. Wohl in der Hoffnung, er könnte in einer Massenpanik hunderte von Fußballfans mit in den Tod reißen. Weiter zum Stadion, das zwei weitere Terroristen stürmen wollten an jenem 13. November des vergangenen Jahres. Vor einem halben Jahr, als beim Spiel zwischen Frankreich und Deutschland der Terror über den Fußball kam und 130 Tote forderte, dazu mehr als 350 Verletzte.

Heute beginnt in Saint-Denis die Europameisterschaft. Frankreich spielt zur Eröffnung gegen Rumänien, aber in den Bars und Bistros zwischen Montmartre und Montparnasse ist davon noch wenig zu spüren. An den Champs-Élysées hat ein Autohaus seine Fassade groß mit dem Tennisspieler Novak Djokovic plakatiert, dem Sieger der am Sonntag zu Ende gegangenen French Open. Plakate zur Fußball-EM finden sich nur in der Fanzone am Eiffelturm oder den Straßen rund um den Prinzenpark im Süden der Stadt und am Stade de France in der Banlieue von Saint-Denis. „Die Begeisterung kommt schon noch“, sagt Eva und dass fast alle ihre Freunde große Fußballfans sind, „jedenfalls die Männer. Wissen Sie, bei uns geht es im Stadion noch ziemlich chauvinistisch zu.“

Ihre Freundin wurde bei den Anschlägen im November getötet

Eva Bernard, 30 Jahre alt, langes schwarzes Haar, ist vor ein paar Jahren aus der Provinz nach Paris gezogen. Sie arbeitet als Modedesignerin und hat für das Gespräch ein Bistro im ersten Arrondissement ausgesucht. Gleich um die Ecke ist die Wohnung von Staatspräsident François Hollande, „deswegen stehen hier auch so viele Polizisten rum. Sie müssen nicht denken, dass es hier überall so aussieht“. Sie will nicht, dass Paris als eine Stadt im Belagerungszustand wahrgenommen wird. Eva Bernard verweist auf Hemingway: „Wir sind die Stadt der Liebe und des Lebens.“ Was sie sich für die kommenden Wochen wünscht? „Dass das Wetter endlich besser wird.“

Paris hat schwere Tage hinter sich: mit Dauerregen, einem Streik und der ständigen Terrorgefahr. Nun hoffen alle auf ihr eigenes Sommermärchen 2016.
Paris hat schwere Tage hinter sich: mit Dauerregen, einem Streik und der ständigen Terrorgefahr. Nun hoffen alle auf ihr eigenes Sommermärchen 2016.

© AFP

Es sind ungemütliche Tage in Paris. Die Seine führt nach den Regenfällen der vergangenen Wochen bedenklich hohes und gelbbraunes Wasser. In den Straßen stapelt sich in Tüten, Säcken und Tonnen der Müll, Folge eines Streiks der Gewerkschaft gegen das von der Regierung vorgelegte neue Arbeitsgesetz. Die Restaurants sind tagsüber nicht ganz so voll wie sonst, „aber das liegt am Ramadan, der am Montag begonnen hat“, sagt Eva. Dazu überzieht der Frühling Paris mit Wolken – wie ein Schleier über der hier traditionell ausgelebten Unbeschwertheit. Oder ist das nur eine Einbildung von außen? Leidet diese Stadt wirklich oder steht sie über den Niederungen des Tagesgeschäfts, auch wenn es dabei um die Bedrohung durch Terroristen geht?

Nicolas findet, man dürfe das nicht verallgemeinern. Natürlich gebe es eine latente Terrorgefahr, „die darf man nicht ignorieren. Aber es bringt doch nichts, sich davon verrückt machen zu lassen.“ Nicolas wohnt in der Rue Ramey in Montmartre, dem Künstlerviertel mit der berühmten Basilika Sacré-Cœur. Mit einer Handbewegung deutet er auf die Rue Ramey, ein verschlafenes Idyll mit Bistros und Bars und Tischen vor den Wohnhäusern. „Glauben Sie ernsthaft, dass hier ein Terrorkommando mit Bomben vorbeikommt?“

Er ist gerade 17 geworden und wird natürlich „Les Bleus“, die blau gekleidete Mannschaft Frankreichs, anfeuern. Und was ist mit der Angst? Nicolas erzählt, dass er im vergangenen Oktober im Bataclan war, jenem Konzertsaal, in dem die Terroristen des selbst ernannten „Islamischen Staates“ ihr mörderisches Werk verrichteten. Die Mutter hat sich im Nachhinein große Sorgen gemacht – „Junge, du warst verdammt nah am Terror dran!“ Nicolas lächelt milde. „Ich war zwei Wochen entfernt vom Terror – ist doch ganz schön weit weg, oder?“

15 Anschläge waren angeblich geplant

Natürlich haben sie in Paris registriert, was da am Dienstag aus der Ukraine vermeldet wurde. Die Verhaftung eines Franzosen, der angeblich 15 Anschläge auf die Europameisterschaft geplant hatte und ein ganzes Waffenarsenal nach Polen schmuggeln wollte. Frankreichs Staatspräsident François Hollande hat seine Bürger schon mal darauf vorbereitet, dass es unangenehme Festtage werden könnten. Ja, Anschläge während der EM seien durchaus möglich, es gehe um „eine Bedrohung, die es noch für eine lange Zeit geben wird. Aber wir werden alles dafür tun, dass dieses Turnier ein Erfolg wird.“

Was ist ein Erfolg?

Das Runde im Eckigen. Vor dem Eiffelturm wird gefeiert
Das Runde im Eckigen. Vor dem Eiffelturm wird gefeiert

© dpa

Wenn es keine Anschläge gibt? Keine Verletzten? Keine Toten? „Ich glaube, dass gar nichts passiert“, sagt die Modedesignerin Eva. „Das Teuflische an diesen Leuten ist doch, dass sie immer für Überraschungen sorgen wollen. Und so eine große Überraschung wäre ein neuer Anschlag auf Paris ja nun wirklich nicht.“ Paris hat der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg getrotzt, in den 80ern die Terrorakte der „Action Directe“ überstanden und später die Anschläge algerischer Islamisten. So einfach lässt sich diese Stadt nicht ihrer Lebensfreude berauben. Und doch hat die Regierung gerade erst den Ausnahmezustand im Land verlängert. „Wir sind im Krieg“, hat Staatspräsident Hollande gleich nach dem 13. November gesagt und das bis heute nicht zurückgenommen.

Feldstudie am Marsfeld, der riesigen Freifläche hinter dem Eiffelturm, wo der Fußballverband Uefa gerade seine Fanzone aufbaut. Auf einem Sandweg stehen sieben Polizisten mit ihren Fahrrädern, sie wollen gerade Mittagspause machen und kommen nicht dazu, weil einfach zu viel zu tun ist. Nein, kein Terror-Einsatz, die Damen und Herren von der Gendarmerie dienen als Touristenführer mit Maschinenpistolen in der Hand. Zum Arc de Triomphe? Am besten nach links und dann immer geradeaus, dauert aber ein bisschen. Toiletten? Weiter hinten. Einer der Uniformierten schert kurz aus und weist eine sehr dicke, vergnügte und laute Amerikanerin darauf hin, dass sie ihr Plastik-Champagnerglas doch bitte nicht auf der Wiese, sondern im Müllkorb entsorgen möge, es sind ja nur zehn Meter. Die dicke Amerikanerin holt darauf gleich mal eine neue Runde. „Great City“, ruft sie ihren Freundinnen zu, und eigentlich könnten sie jetzt doch mal auf den Turm fahren.

Der Eiffelturm ist 127 Jahre nach seiner Eröffnung immer noch das erste Anlaufziel aller Parisbesucher, aber auch ihm macht der wolkenverhangene Frühling schwer zu schaffen. Ein wenig enttäuscht blinzeln die Touristen nach oben, wo der Turm kurz nach der mittleren Aussichtsplattform im Nebel verschwindet. Es reicht gerade noch für ein Foto von dem riesigen Fußball, der unter der Plattform hängt und von der morgen beginnenden Europameisterschaft kündet.

Die Fanzone: ein buntes Dorf mit Bühne und Leinwand

Gleich hinter dem Turm, auf dem Marsfeld, baut der europäische Fußballverband Uefa seine Fanzone auf, ein buntes Dorf mit Fanshop, Musikbühne und Leinwand für das obligatorische Public Viewing. Die Wege sind zugekleistert mit Plakaten, auf denen „Wow!“, „Goal!“ oder „Eh!“ steht. Wie sich Fußballfunktionäre halt gute Laune vorstellen. Echte Fußballfans? Gibt es auch. Sie liegen auf dem Rasen, haben am frühen Nachmittag schon einen halben Bierkasten geleert, tragen die Trikots von Arsenal, Barcelona und Real Madrid und kommen allesamt aus Polen. Weiter hinten läuft ein Mädchen im blau-weiß-roten Leibchen von Paris Saint-Germain, jenem Klub, den der Schwede Zlatan Ibrahimovic nahezu im Alleingang zu einem der erfolgreichsten europäischen Vereine gemacht hat.

Nie waren die Sicherheitsvorkehrungen bei einer EM intensiver als nun in Paris.
Nie waren die Sicherheitsvorkehrungen bei einer EM intensiver als nun in Paris.

© dpa

„Vous aimez le foot, Madame?“ Kurzes Räuspern. Die junge Frau kommt aus Portugal und macht gerade Urlaub mit ihren Eltern, „die haben mir das Trikot von Ibrahimovic gekauft, ist schon ein cooler Typ, aber natürlich lange nicht so gut wie Cristiano Ronaldo“. Selbstverständlich werde Portugal diese Europameisterschaft gewinnen, deswegen sei sie ja gekommen. Und der Terror? Haben Sie keine Angst? „Nein.“ Es werde schon alles gut gehen.

Im elften Arrondissement findet sich eine Andeutung dafür, dass es auch die eigenen Leute treffen kann. Wie eine Freundin der Modedesignerin Eva, „sie war nur für ein paar Tage aus Amerika zu Besuch, zum Shopping und für das Konzert. Jetzt ist sie tot.“ Die Andeutung des Terrors verbirgt sich hinter grau-grünen Blechlamellen. Die für Paris so typischen Bauzäune prägen alle hundert Meter das Stadtbild, aber nirgendwo sind sie ein so begehrtes Fotomotiv wie am Boulevard Voltaire. Das Blech versperrt den Blick auf das Bataclan, das Vergnügungsetablissement mit der orientalisch-bunten Fassade, von der jetzt nichts mehr zu sehen ist.

Das Stade de France hatten die islamistischen Terroristen als symbolischen Ort für ihre Anschläge ausgesucht. Aber ihren ganzen Hass gegen die westliche Welt und ihre Werte lebten sie bei einem Konzert im Bataclan aus. Sie waren zu dritt und kamen abends um kurz vor zehn, mit Kalaschnikows und Handgranaten. Am Ende gab es allein im Bataclan 89 Todesopfer, in den Feuerpausen spielten die Terroristen auf dem Xylophon.

Pete Doherty spielt bald im Bataclan

Der Terror hätte es ganz gern gehabt, wenn er denn ein bisschen fortleben hätte können, doch nicht mal am Boulevard Voltaire bekommt er eine echte Chance. Paris wickelt seine Trauer geschäftsmäßig ab. Vor der Fassade des Bataclan vermischen sich Blumen mit Regenwasser und den Kippen der Partygänger. Zwei Japaner fotografieren sich mit mit den Kameras auf ihren Selfiesticks. Rechts in der Ecke steckt, noch originalverschweißt, eine CD der Eagles of Death Metal, jener amerikanischen Band, die am 13. November im Bataclan spielte. Bis die Terroristen mit ihren Kalaschnikows und Handgranaten kamen.

Das Bataclan wird erst im November wieder öffnen. Ein Jahr und drei Tage nach den Mordanschlägen. Es gastiert Pete Doherty, der dem Bataclan am Montag einen eigenen Song gewidmet hat. Der Song heißt „Hell To Pay At The Gates Of Heaven“, was man nicht mal den am englischen Idiom eher uninteressierten Franzosen übersetzen muss. „Kommt schon, Jungs!“, singt Doherty, „wählt eure Waffen: J-45 oder AK 47?“ Das letzte Kürzel steht für eine Kalaschnikow und das erste für eine Gitarre der Marke Gibson.

Da die deutsche Mannschaft in der Vorrunde zweimal in Paris und einmal im benachbarten Lens spielt, orientiert sich auch ihre Anhängerschaft Richtung Eiffelturm. Aber wie viele werden wirklich kommen? Dass Paris keine Angst hat, bedeutet ja nicht automatisch, dass es allen anderen genauso geht. Zum Beispiel den Deutschen. Nach einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage des Erfurter Insa-Instituts wollen 6,7 Prozent aller Befragten aus Angst vor Terroranschlägen auf eine ursprünglich geplante Reise zur EM nach Frankreich verzichten, und sogar jeder Vierte will auch die heimischen Fanmeilen meiden.

Wer mag sich da schon guten Gewissens auf dem Pariser Marsfeld vergnügen? Gut 90.000 Menschen werden täglich erwartet zu dem, was die Uefa „Le Rendezvous des Fans“ nennt und der konservative Abgeordnete Philippe Goujon eine „Versuchung für Terroristen jeglicher Couleur“. Paris will auf dem Marsfeld täglich knapp 1000 Sicherheitskräfte einsetzen, was einer Totalüberwachung doch sehr nahe kommt. Alle Taschen werden durchsucht, Rucksäcke sind verboten. „Kein Sportereignis war so sicher, wie es diese Europameisterschaft sein wird“, verspricht Frankreichs Sportminister Patrick Kanner, und wenn Frankreich dann noch das Finale am 10. Juli gewinnen sollte, werde das ganze Land jubeln „und wir haben einen Ansturm auf die Champs-Élysées“.

Die Modedesignerin Eva will dann auch dabei sein, „obwohl ich mich gar nicht besonders für Fußball interessiere“, nicht mal für Paris Saint-Germain und Zlatan Ibrahimovic. Bei der Europameisterschaft macht sie mal eine Ausnahme. „Das Großartige dabei ist, dass jetzt so viele Menschen aus so vielen Ländern bei uns zusammenkommen. Das ist es, wofür Paris steht, dafür liebe ich diese Stadt.“

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