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Unter sorbischer Flagge: Angehörige der slawischen Minderheit beim Spiel ihrer Nationalelf, der Wubranka.

© Sandra Dassler

Fußball-EM: Sommermärchen für Europas Minderheiten

Bei der zweiten Europeada in der Oberlausitz spielten Sorben, Waliser, Zimbern, ungarische Roma und viele andere. Am Ende gewannen wieder die Südtiroler.

Von Sandra Dassler

Sie stehen in knielangen Lederhosen auf der Bühne, singen einen Gassenhauer nach dem anderen, und die Zuschauer klatschen begeistert mit. Die Südtiroler sind halt lustig. Und froh sowieso, denn egal wie das Halbfinale zwischen Italien und Deutschland ausgeht – sie sind schon Fußball-Europameister. Haben den Pott in ihre hohen norditalienischen Berge geholt, aus dem tiefen deutschen Osten.

Obwohl – so deutsch ist der gar nicht. Wer in der vergangenen Woche die Autobahn 4 zwischen Dresden und Bautzen verließ und zehn, zwanzig Kilometer nach Norden fuhr, konnte eine Art Realitätssprung erleben: da wehten statt der schwarz-rot-goldenen plötzlich blau-rot-weiße Fahnen an Autos und Häusern. Auf gleichfarbenen Schals stand nicht Deutschland, sondern Serbja, und auf den Dorfsportplätzen feuerten sich erstaunlich gut spielende junge Fußballer in allen möglichen Sprachen an: auf Russisch, Ungarisch, Italienisch, Polnisch, Französisch, aber auch auf Walisisch oder Nordfriesisch. Und eben auf Sorbisch.

Denn hier, zwischen Bautzen, Kamenz und Hoyerswerda schlägt das Herz der zweisprachigen Oberlausitz. Hier lebt der größte Teil der kleinsten slawischen Minderheit in Europa, der Sorben, die sich in ihrer Sprache Serbja nennen, aber keine Serben sind, und etwa 60 000 Menschen zählen. Hier fand vom 16. bis zum 24. Juni die Europeada, die Europameisterschaft der sprachlichen Minderheiten, statt.

Die Idee entstand beim legendären Sommermärchen, als während der WM 2006 die FUEV, eine Dachvereinigung europäischer Volksgruppen, in der Lausitz tagte. Die erste Europeada gab es dann 2008 bei den Rätoromanen im Schweizer Kanton Graubünden statt. Auch damals gewann die deutschsprachige Volksgruppe aus Südtirol.

Diesmal nahmen 19 Mannschaften teil – von den Zimbern, einer fast ausgestorbenen Volksgruppe in der italienischen Region Trient, bis zu den Walisern und den Slowenen aus Kärnten. Die weiteste Anreise hatten die Karachay, die im Nordkaukasus leben, die kürzeste – neben den Sorben – die dänische Minderheit aus Deutschland und die deutschsprachige Minderheit aus Polen.

„Es ist toll, dass die Mannschaften aus jungen Menschen bestehen, die sich ihrer Wurzeln bewusst sind“, sagt FUEV-Präsident Hans Heinrich Hansen. Zugleich gingen aber die Spieler sehr entspannt mit ihrem Minderheitenstatus um. Das wurde oft deutlich: So marschierten die Karachay bei der Eröffnungsfeier zur sowjetischen Hymne ein, die Ungarndeutschen sangen beim Kulturtag nach der Vorrunde sowohl ungarische als auch deutsche Trinklieder, und die Russlanddeutschen tanzten begeistert zu Kalinka.

Sogar die Roma aus Ungarn machten da mit. Obwohl die meisten von ihnen deutlich jünger waren als die Spieler der anderen Mannschaften. „Manche sind erst 14“, sagt ihr Trainer Istvàn Mezei. Der 65-Jährige ist für die meisten fast wie ein Vater. Hat sie von der Straße geholt oder aus ihren Familien, die oft von Arbeitslosigkeit oder Alkoholismus zerrüttet sind. Mezei ist selbst Roma und hat vor 20 Jahren mit Unterstützung des Ungarischen Fußballverbands das Hungarian Gipsy Selected Football Team gegründet. Seither sind tausende Spieler durch seine Hände gegangen, bei der Europeada schafft es seine Elf bis ins Finale.

In Ungarn leben zwischen 400 000 und 600 000 Roma, sagt der Trainer. Viele seien auch gut integriert. Die Berichte über rechte Milizen, die in seiner Heimat Roma verfolgen, nennt er übertrieben. FUEV-Präsident Hansen bezeichnet die Situation der Roma hingegen als besorgniserregend, nicht nur in Ungarn. Bei ihnen gehe es manchmal ums Überleben, während andere Minderheiten vor allem um die Existenz ihrer Sprache und damit ihrer Kultur kämpfen müssten. Aber eigentlich will Hansen bei der Europeada einmal nicht über Probleme reden, sondern sich einfach über die Vielfalt freuen.

Die jungen Fußballspieler, die aus ganz Europa in die Oberlausitz gekommen sind, tun dies jedenfalls, „Wir haben hier nicht nur Fußball gespielt, sondern viel über andere Länder und andere Minderheiten gelernt“, sagen die Brüder Jordan und Agmenc Amiel.

Sie sind Okzitanier. Die leben in Südfrankreich und sprechen eine romanische Sprache, die auch langue d’oc genannt wird. Das heißt – eigentlich haben die Brüder ihre Sprache erst gelernt, als sie in die Elf für die Europeada berufen wurden. „Wir haben zu Hause Französisch geredet“, sagt Jordan Amiel. „Nur Großvater sprach Okzitanisch. Aber es wäre schade, wenn die Sprache verschwindet.“

Das ist auch die Befürchtung der Sorben, die immer noch viele Menschen in den alten Bundesländern gar nicht kennen oder für eine Erfindung Erich Honeckers halten. „Nee, uns gibt es wirklich“, sagt Frank Cornak. Der 33-Jährige arbeitet als Elektroingenieur in Dresden, seine Frau Katharina ist Softwareberaterin. Ihre Söhne sind zwei und drei Jahre alt, tragen T-Shirts mit blau-rot-weißem Lindenblatt, dem Symbol der Sorben. Wie viele in der sächsischen Oberlausitz sprechen die Cornaks im Alltag nur Sorbisch. „Auch mit den Kindern“, sagen sie: „Deutsch lernen sie schon durch die Nachbarn.“ Eigentlich interessieren sich die Cornaks nicht für Fußball, aber die Europeada finden sie gut: „Hier spielt schließlich unsere Wubranka.“

Wubranka heißt Auswahl, und die Spieler um Trainer Frank Rietschel, der früher auch mal für Erzgebirge Aue spielte, bezeichnen sich stolz als sorbische Nationalelf. Tausende haben sie angefeuert, nicht nur Sorben übrigens. Auch viele andere Einwohner in den Dörfern Nebelschütz, Panschwitz-Kuckau oder Radibor waren vom Niveau der Spiele und der Vielfalt der Kulturen begeistert. Das ist gut so, sagt Frank Cornak. Denn manchmal kommt es auch heute noch zu antisorbischen Äußerungen, etwa wenn sich bei Kreisklassespielen Fußballer aus sorbischen Dörfern taktische Anweisungen in ihrer Sprache zurufen.

Diesmal aber fieberte die ganze Region mit der Wubranka. Und obwohl das Team im Viertelfinale an den Roma scheiterte, war die Europeada für Gastgeber und Gäste sehr erfolgreich. Fast schon ein Sommermärchen.

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