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Sport: Fußball in der Krise: Keine Klasse, keine Reife - Oliver Kahn sucht nach Gründen für das Scheitern

Es sollte für Oliver Kahn eine gedankenreiche Nacht werden auf den Tag nach dem Spiel. Der Torhüter ist ehrgeizig wie kein zweiter Nationalspieler.

Es sollte für Oliver Kahn eine gedankenreiche Nacht werden auf den Tag nach dem Spiel. Der Torhüter ist ehrgeizig wie kein zweiter Nationalspieler. Am Sonnabend hat er an Stelle des verletzt fehlenden Oliver Bierhoff die Kapitänsbinde getragen. Zum ersten Mal bei einem großen Turnier. Und jetzt das, diese dumme Niederlage gegen England. Sie macht Kahn schwer zu schaffen. "Das war ein Spiel, das wir nie und nimmer hätten verlieren dürfen."

Noch vor dem Spiel hatte er gemahnt: "Eir dürfen jetzt bloß nicht den Fehler machen, die totale typisch deutsche Selbstzerfleischungsmaschine anzuwerfen." Exakt eine Niederlage später steht Oliver Kahn selbst an eben dieser Maschine und drückt auf den Knopf. Oliver Kahn hat einen dicken Hals, weil es allzu früh nach Hause geht. Am Dienstag geben die Deutschen aller Voraussicht nach ihre Abschiedsvorstellung. Auf ein Wunder wie zum Bundesligafinale in Unterhaching mag Kahn nicht glauben. "Was heißt hier Wunder, und was heißt retten?", fragt Kahn und blinzelt in die Sonne, die am Tag danach ihren Zenit erreicht hat. "Wir müssen endlich die Realitäten sehen. Jeder hat doch gesehen, wie wir in den letzten beiden Jahren gespielt haben. Da war einfach nicht mehr zu erwarten."

Kahn sucht nach Ursachen. "Wir haben momentan einfach nicht die Klasse", sagt der Münchner. "Sieht denn irgendeiner hier einen Anlass dafür, optimistisch in die Zukunft zu blicken?" Keiner hebt die Hand. Kahn nimmt es verbittert und zufrieden zugleich zur Kenntnis. Zufrieden, weil ihm keienr widerspricht, verbittert, weil die Perspektive eben so bescheiden ist. "Der deutsche Fußball", sagt er, "befindet sich auf einer Durststrecke." Dem kickenden Personal fehle es "an Klasse und Reife". Auch deshalb sei es müßig, ausschließlich den Teamchef in Frage zu stellen. Es wirkt schon ein wenig seltsam, wie Oliver Kahn da seinen Vorgesetzten verteidigt. Noch vor ein paar Tagen hatte er auf einem Podium mit dem demonstrativem Desinteresse verfolgt, was Erich Ribbeck zur Lage vor dem Spiel gegen England referierte. Jetzt sagt er: "Am Ende ist immer entscheidend, wer auf dem Platz steht."

Da steht aber auch er. Ist nicht auch ein Oliver Kahn gescheitert mit seinem Anspruch, zu einer Führungsperson aufzusteigen? Ein wenig hilflos klingt sein Satz: "Wir haben nicht die optimale Stimmung gehabt, um den absoluten Erfolg zu haben". Erich Ribbeck habe leider sehr spät zu einer Formation gefunden, die in der Lage ist, "ein Spiel bei einer Europameisterschaft gewinnen zu können". Diese Mannschaft habe gegen England gut gespielt. "Alle waren sehr bemüht, aber wenn du Spiele auf diesem Niveau gewinnen willst, dann muss man leider feststellen, dass uns allen noch einiges fehlt." Wie lange das noch so sein wird? Kahn hebt die Schultern. In zwei, drei Jahren, wenn ein paar ältere Spieler abgetreten sind, "werden einige so weit sein". Dann aber ist auch Oliver Kahn schon 33.

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