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Der Ausblick stimmt. Bundestrainer Joachim Löw kann auf ein gutes Zwischenjahr zurückblicken. In der EM-Qualifikation gelangen der DFB-Elf sieben Siege, doch in den Testspielen konnte die Mannschaft wegen vieler Experimente nicht immer überzeugen.

© AFP

Fußball-Nationalmannschaft: Ein Herz für Talente

Ein Jahr vor der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine erhöhen die jungen deutschen Nationalspieler den Druck auf die etablierten Kräfte.

Heute vor einem Jahr begann die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika. Und mithin die Geburt einer neuen deutschen Mannschaft, die mit ihrem offensiven Spiel Emotionen weckte und nach allgemeiner Einschätzung den schönsten Fußball bei diesem Turnier zeigte. Mit dem EM-Qualifikationsspiel am Dienstagabend in Baku endete mit einem 3:1-Sieg für das Team von Joachim Löw die erste nachweltmeisterliche Länderspielsaison.

Was ist geblieben vom Schwung der WM? Was von der neuen Fußballkultur Made in Germany? Wo steht die Mannschaft heute und wie sind die Aussichten für die EM, die in genau zwölf Monaten in Polen und der Ukraine startet?

Vor wenigen Tagen erreichte uns die Nachricht, wonach Löws hellblauer Babykaschmir-Pullover, der in Südafrika zum Glücksbringer geworden war und es zu einer eigenständigen Berühmtheit gebracht hatte, im neuen deutschen Fußballmuseum ausgestellt wird. Eine Kaufhauskette hatte das gute Stück für eine Million Euro zugunsten der Aktion „Ein Herz für Kinder“ ersteigert und als Dauerleihgabe dem Museum übergeben.

Leider sind Leistungen im Kerngeschäft nicht so einfach konservierbar. Dass das Fazit des zurückliegenden Länderspieljahres positiv ausfällt, ist auf das Abschneiden der deutschen Mannschaft in der EM-Qualifikation zurückzuführen. Alle sieben Spiele hat Löws Auswahl gewonnen. Nur einmal, in der Qualifikation zur WM 1982, konnte Deutschland eine solche Serie hinlegen. Damals gab es acht Erfolge – in der EM-Qualifikation hat man jetzt schon eine Bestmarke gesetzt.

Mit der Übergangssaison zwischen den Turnieren „bin ich absolut zufrieden“, sagte Löw. „Ich bin wirklich stolz, was die Mannschaft in dieser schwierigen Saison geleistet hat, was nach einem großen Turnier nicht einfach ist. Die Mannschaft hat Großartiges geleistet.“ Einschränkend sei erwähnt, dass die deutsche Gruppe nicht die stärkste ist. Österreich und Belgien sind fußballerische Schwellenländer, Kasachstan und Aserbaidschan sind fußballerische Entwicklungsländer. Einzig die Türkei zählt zur Beletage des europäischen Fußballs. In Berlin wurde die Türkei mit 3:0 bezwungen, es war die beste Leistung, die Löws Mannschaft in der Qualifikation zeigte. In den Spielen danach ging das Tempo und der Fluss etwas verloren. Man hat gesehen, dass das Team aus dem Stegreif das WM-Niveau nicht erreichen kann.

Den insgesamt souveränen Auftritten in den Pflichtspielen stehen zum Teil durchwachsene Leistungen in den Freundschafts- bzw. Testspielen gegenüber. Als da wären die Unentschieden in Dänemark, in Schweden und gegen Italien, die Niederlage gegen Australien sowie der jüngste 2:1-Sieg über den WM-Vierten Uruguay. Doch diese Spiele standen vordergründig im Zeichen der personellen Experimentierfreude des Bundestrainers. Seit seiner Amtszeit ab 2006 debütierten knapp 50 Spieler in der Nationalelf.

Und das, obwohl in Südafrika zehn Spieler dabei waren, die gerade erst der U-21-Mannschaft entwachsen waren wie etwa Thomas Müller, Holger Badstuber oder Toni Kroos. Sie zählen inzwischen neben den jungen Manuel Neuer, Mesut Özil und Sami Khedira zum Stamm der Nationalmannschaft. Eine Erkenntnis der WM war, dass der Altersdurchschnitt relativ niedrig liegen muss, „denn die jungen Spieler sind hoch belastbar – wenn die Qualität stimmt, denn das ist die Grundvoraussetzung“, sagte Löw.

Die Aussichten dieser jungen Mannschaft werden als hervorragend eingeschätzt. Auch deshalb verlängerte Löw seinen Vertrag als Bundestrainer bis zur WM 2014. Für diese Zeit formulierte er das Ziel: „Es muss in die Köpfe, dass wir jetzt einen Titel holen wollen.“

Insbesondere nach der WM sind noch einmal eine ganze Reihe interessanter und veranlagter Spieler zur Mannschaft gestoßen. Allen voran das Quartett von Meister Borussia Dortmund: Mats Hummels, Marcel Schmelzer, Kevin Großkreutz und Mario Götze. Zudem besitzen auch Lewis Holtby (jetzt Schalke) und André Schürrle (jetzt Leverkusen), aber auch Benedikt Höwedes (Schalke 04) und Marco Reus (Mönchengladbach) Potenzial. Sie erhöhen noch einmal den Druck auf etablierte Kräfte wie Lukas Podolski oder Arne Friedrich. Die besten Aussichten, mittelfristig fester Bestandteil der Nationalmannschaft zu werden, besitzen Hummels und Höwedes als Alternative zu Friedrich, Mertesacker und Badstuber, aber auch Schürrle, der Podolski im Nacken sitzt. Mario Götze hingegen wäre die erste Alternative zu Özil.

Für das Übergangsjahr hatte Löw sich die spielerische Weiterentwicklung, gutes Zweikampfverhalten und temporeiches Spiel als Aufgaben vorgenommen. Allerdings lag die Messlatte durch die WM sehr hoch. „Wir haben auch nach der WM wieder viele junge Spieler herangeführt, auch wenn in den Freundschaftsspielen nicht alles lief, aber die Entwicklung stimmt“, sagt Löw.

Die Nationalmannschaft ist sehr durchlässig geworden – in beide Richtungen. Löw hat viele junge Spieler dazugeholt, die in der Bundesligasaison überzeugten, und einige WM-Fahrer wie Marko Marin, Serdar Tasci, Piotr Trochowski, Marcell Jansen oder Heiko Westermann mehr oder minder aussortiert. „Meine Ansprüche sind gestiegen“, sagte Löw unlängst. Wenn bei einem Spieler über einen gewissen Zeitraum kein Fortschritt zu erkennen sei, „reagiere ich“. Den vielen jungen Debütanten aber hat Löw nun auch mit auf den Weg gegeben, dass eine gute Bundesligasaison nicht ausreichen werde, um sich für das höchste Niveau beweisen zu können. „Einige werden es schaffen, andere vielleicht nicht.“ In den nächsten Tagen führt Löw mit Michael Ballack ein abschließendes Gespräch.

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