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Sport: Fußball, ungezähmt

Alemannia Aachen besiegt die Bayern mit Leidenschaft und spielerischer Leichtigkeit

Aachen. Ganz am Ende zeigte Willy Sagnol doch noch ungeahnten Kampfgeist. Der Verteidiger des FC Bayern München attackierte seinen Gegner, wich ihm nicht mehr von der Seite und beharkte ihn mit allen halbwegs legalen Mitteln. Doch Schiedsrichter Michael Weiner ließ sich von Sagnols Eifer nicht beirren. Das Spiel blieb abgepfiffen und Bayern München gegen Alemannia Aachen mit 1:2 der Verlierer im Viertelfinale des DFB-Pokals.

Vielleicht war der Schlusspfiff tatsächlich ein paar Sekunden zu früh gekommen. Und dass Sagnol Weiner am liebsten fast die Uhr vom Arm gerissen hätte, um das zu beweisen, kann man sogar verstehen. Manchmal nämlich reichen den Münchnern schon ein paar Sekunden, um ein ganzes Stadion ins Unglück zu stürzen. In der ersten Halbzeit war die Uhr an der Anzeigetafel bereits bei 45:00 Minuten stehen geblieben, als eine Flanke von der linken Seite in Alemannias Strafraum segelte und Michael Ballack das 1:1 erzielte. Es war der erste Ball, der auf das Tor der Aachener gekommen war.

„Die erste Halbzeit war bis auf die letzte halbe Minute grandios“, sagte Alemannias Torhüter Stephan Straub hinterher. Fünf klare Chancen hatte sich der Zweitligist erarbeitet, und teilweise kamen die Münchner gar nicht aus ihrer Hälfte, weil die Aachener nicht nur aggressiv und leidenschaftlich spielten, sondern auch klug und zielstrebig. „Heute ist hier wirklich was machbar“, merkte Aachens Verteidiger Alexander Klitzpera. Und Erik Meijer hatte von Anfang an das Gefühl: „Hier kannst du nicht verlieren.“ Mit einer solchen Gewissheit spielt man gegen die Bayern nur ganz selten.

Dass Meijer in der 81. Minute, als die Zuschauer den entscheidenden Schlag der Münchner befürchteten, das 2:1 erzielte, war die passende Pointe für dieses Spiel. Auf dem Tivoli scheint der holländische Stürmer zum Abschluss seiner Karriere noch einmal zu seiner eigentlichen Bestimmung zu finden. Als Meijer Bayerns Verteidiger Samuel Kuffour mit gestrecktem Bein entgegenrutschte und einen Einwurf für den Gegner herausholte, jubelte das ganze Stadion.

Auf dem Tivoli, der Heimstätte des ungezähmten Fußballs, werden Grätscher und Renner schon aus Tradition geschätzt. Einer der Helden der Achtzigerjahre trug den Namen Günther Delzepich – und genauso hat er gespielt. Sein legitimer Nachfolger in der Jetztzeit ist Willi Landgraf, ein 1,66 Meter großes Arbeitstier aus Bottrop. Gegen die Bayern rettete „der kleine Willi“ (Torwart Straub) nach einem Kopfball von Ballack auf der Torlinie, und vermutlich war es für Landgraf das Spiel seines Lebens. Hinterher sagte er: „Wir haben das gut runtergespielt, ganz locker.“ Man sah, wie viel Selbstbeherrschung ihm diese Aussage abnötigte.

Andere reagierten weniger kontrolliert. „Das muss man erst mal verarbeiten“, sagte Torwart Straub, und Trainer Jörg Berger freute sich gleich „für die ganze Region“, in der das Viertelfinale zum „Spiel des Jahrzehnts“ ausgerufen worden war. Die lokalen Zeitungen hatten eine Sonderbeilage herausgegeben, und Alemannia hätte das Stadion auch fünfmal voll bekommen. Der Andrang war so groß, dass sogar ZDF- Sportchef Wolf-Dieter Poschmann seine Familienangehörigen nur noch auf der Pressetribüne hatte unterbringen können.

„Wir wussten, dass das eine sehr heiße Atmosphäre ist“, sagte Bayerns Mittelfeldspieler Hasan Salihamidzic. Auf dem Tivoli kommen die Sprechchöre direkt aus der Gosse, und bisher hat das Niveau auf den Rängen immer bestens mit den Darbietungen auf dem Rasen korreliert. Doch von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, hat sich bei der Alemannia ein spielerischer Wandel zum Besseren vollzogen. Gegen die Bayern hatte Trainer Berger in seiner Mannschaft nicht nur Herz und Leidenschaft geortet, sondern auch spielerische Akzente. Vor einigen Jahren noch hätte man die auf dem Tivoli genauso wenig vermutet wie Kaviar in der Pommesbude. Doch Berger hat mit Sportdirektor Jörg Schmadtke in Aachen eine richtig feine Zweitligamannschaft konstruiert.

„Wenn die so weiter spielen“, sagte Bayerns Trainer Ottmar Hitzfeld, „werden wir sie nächstes Jahr auch in der Bundesliga sehen.“ An diesem Abend konnte man das fast als Drohung verstehen.

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