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Sport: Fußball vom anderen Kontinent

Als sie die Tränen in den Augen der Verlierer sahen, begriffen die Profis des FC Bayern München, wie wertvoll ihr Sieg war. Der 1:0-Erfolg über den Südamerikameister Boca Juniors war nach dem Schlusspfiff in Tokio plötzlich mehr als ein lästiger Pflichttermin, an dessen Ende das schöne, aber unbedeutende Wort "Weltpokalsieger" stehen sollte.

Als sie die Tränen in den Augen der Verlierer sahen, begriffen die Profis des FC Bayern München, wie wertvoll ihr Sieg war. Der 1:0-Erfolg über den Südamerikameister Boca Juniors war nach dem Schlusspfiff in Tokio plötzlich mehr als ein lästiger Pflichttermin, an dessen Ende das schöne, aber unbedeutende Wort "Weltpokalsieger" stehen sollte. Ein Titel allein für den Briefkopf des deutschen Rekordmeisters, allein für die Optik? Nein, die verheulten Gesichter der Argentinier erzählten dem Münchner Meister-Ensemble, dass doch viel gestimmt hatte am pathetischen Appell ihres Trainers Ottmar Hitzfeld. Der hatte sein Team aufgefordert, in Japan Geschichte zu schreiben.

Oliver Kahn und seine Kollegen brauchten angesichts von so viel Gefühl ihren Mitspieler Giovanne Elber nicht länger als Dolmetscher der südamerikanischen Gefühlswelt bemühen. "Jetzt wisst auch ihr, warum wir Brasilianer den argentinischen Fußball nicht mögen", erläuterte der Torjäger mitgereisten Reportern, "die wollten doch nur unser Spiel zerstören und versuchten ständig, dass einer von uns vom Platz fliegt." Doch schließlich musste ein Argentinier vorzeitig das Feld verlassen - nach einer Schwalbe sah Delgado die Gelb-Rote Karte.

Nicht nur die Tatsache, mit Geduld die eigene Taktik durchgezogen und dabei nicht auf die Provokationen des Gegners aus Buenos Aires hereingefallen zu sein, machte den Triumph der Bayern von Minute zu Minute schöner. In dieser Nacht entdeckten sie sich selbst als Nummer eins der Welt. Je länger der Champagner floss und dicke Zigarren qualmten, desto mehr fanden auch die prominenten Köpfe und Chefs Gefallen an der Rolle, wonach der Fußball-Globus nur um die Säbener Straße rotiert. Franz Beckenbauer, Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß fühlten sich ein Vierteljahrhundert zurückversetzt - von 1974 bis 1976 hatte der Europapokal der Landesmeister in der Münchner Klubvitrine geglänzt.

"Macht kriegst du nur durch Titel", jubelierte Uli Hoeneß, und niemand wollte dem Manager bei seiner sportpolitischen Wertung widersprechen. Zusammen mit Präsident Franz Beckenbauer machte sich Hoeneß noch vor Ort dafür stark, den Wettbewerb weiter in Asien zu belassen. Denn dank der friedlichen Kulisse in Japan und des resoluten Schiedsrichters Kim Milton Nielsen passierte nichts, was die Hochstimmung im Lager des deutschen Rekordmeisters gestört hätte. Höchstens, dass die Zeit zu knapp war, um diesen besonderen Augenblick mehr als nur ein paar Stunden genießen zu können. "Man weiß ja nie, ob solch ein Erfolg je wieder möglich ist", philosophierte Beckenbauer. Das letzte Hoch auf "den krönenden Abschluss einer sensationellen Saison" gab schließlich Uli Hoeneß aus, ehe er morgens um vier Uhr sein leer getrunkenes Glas auf dem Tisch abstellte und von kommenden Aufgaben sprach.

"Ab heute denken wir an die Zukunft", sagte Hoeneß und begann von den jungen Stars der nächsten Generation zu schwärmen: Sebastian Deisler, Michael Ballack, wahrscheinlich Sebastian Kehl und womöglich noch ein, zwei nicht-deutsche Namen - das ist der geplante Umbau der Mannschaft auf hohem Niveau. Von Stefan Effenberg redete in Tokio keiner mehr. Der verletzte Kapitän war zu Hause geblieben - auf einem anderen Kontinent.

Martin Hägele

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