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1986 gewann Diego Maradona den WM-Titel fast im Alleingang. 24 Jahre später will er sich auch als Trainer unsterblich machen - Carlos Bilardo (r.) hilft dabei.

© dpa

Argentinien: Der Sanfte und das Biest

Maradona und sein Schattenfürst: Argentiniens Trainer gibt sich nach vielen Eskapaden ungewohnt ruhig, Bilardo ist zuständig für Ränkespiele und derbe Sprüche. Gemeinsam sollen sie das Team zum Titel führen

Neulich war Cristina Fernández de Kirchner zu Gast im Biotechnologischen Institut von Buenos Aires. Die Staatspräsidentin hat sich grob erklären lassen, was es so auf sich hat mit dem genetischen Material der argentinischen Schafe. Halb im Scherz regte sie das Klonen von Fußballspielern an, sie denke da besonders an Diego Maradona, Juan Sebastián Verón und Lionel Messi. Und könnte man bei der Gelegenheit nicht gleich die Erbsubstanz anderer neutralisieren? Cristina Fernández de Kirchner wählte dafür die Vokabel „desclonar“.

Es sind dabei keine Namen genannt worden, aber viele Argentinier werden an Carlos Salvador Bilardo gedacht haben. Der 71-Jährige mit der interessanten Berufskombination Frauenarzt/Fußballtrainer ist so etwas wie der Schattenfürst des argentinischen Fußballs. Das Gegengewicht zum Schönen und Spektakulären, also zu Diego Maradona. Dass die beiden heute im WM-Spiel gegen Nigeria als Trainer und Assistent gemeinsam auf der Bank sitzen, kommt einer Quadratur des Balles ziemlich nahe. Genauso gut könnte die Bundesregierung von einer Kanzlerin Angela Merkel mit einem Außenminister Guido Westerwelle geführt werden (was bekanntlich undenkbar ist).

Maradona hat Argentinien mit seiner Kunst wieder den Ruf einer kultivierten Fußballnation verschafft. Es war dieser Ruf zwischenzeitlich verloren gegangen durch Spieler wie Bilardo. Der diente einst als Verteidiger den Estudiantes de La Plata und seine Spezialität waren die gar nicht so versteckten Fouls. 1968, als die Weltpokalspiele zwischen den Siegern von Europapokal und Copa America noch die Fortsetzung des Krieges mit Lederbällen waren, öffnete Bilardo das Schienbein des großartigen Bobby Moore bis zum Knochen. Sein Verhältnis zum physisch geprägten Spiel hat er mal so beschrieben: „Fair Play ist eine Erfindung der Briten.“

Argentinien war nie so richtig glücklich mit Bilardo, mal abgesehen von jenem Sommer vor 24 Jahren, als er Argentinien zum zweiten und bislang letzten Mal zum Weltmeister machte. Das war allerdings weniger das Werk des Trainers Bilardo. Diego Maradona war 1986 auf der Höhe seines Könnens und ist der bis heute einzige Spieler, der eine Weltmeisterschaft fast im Alleingang gewonnen hat. Bilardo hielt sich zurück, seine Taktik hieß Maradona. Als er das Experiment vier Jahre später wiederholen wollte, war sein Schlüsselspieler von Ruhm und Drogen zwar noch nicht zerfressen, aber schon reichlich angeknabbert. Argentinien knüppelte sich mit viel Glück und Beton-Fußball bis ins Finale von Rom und schaffte es dort gegen die Deutschen immerhin ein paar Mal über die Mittellinie.

Für Bilardo war danach Schluss als Nationaltrainer, und auch die Beziehung zu Maradona ging in die Brüche. 1993 komplimentierte er beim FC Sevilla den gealterten Weltstar vor die Tür. Es war Diego Armando Maradona, der nach angemessener Verjährungsfrist die skurrilste der vielen skurrilen Geschichten über Carlos Salvador Bilardo erzählte: Wie dieser bei der WM 1990 im Achtelfinale dem Brasilianer Branco eine mit Schlafmitteln kontaminierte Wasserflasche reichte. Branco verlor seine Sinne und Brasilien das Spiel. Bilardo hat diese Geschichte nur halbherzig dementiert.

Maradona hätte gern einen anderen Assistenten rekrutiert, als ihm der argentinische Verband AFA im Oktober 2008 das Amt des Nationaltrainers antrug. Der mächtige AFA-Präsident Julio Grondona aber fürchtete um seinen Einfluss und bestand auf Bilardo. Dieser wählte zur Amtseinführung seines künftigen Chefs ein zweifelhaftes Kompliment: „Wenn Franz Beckenbauer Trainer sein kann, dann kann Diego das auch.“ Zwischenzeitlich übernahm der ungeliebte Schattenmann das Kommando, als Maradona nach einer Niederlage in der WM-Qualifikation gegen Paraguay die Mannschaft spontan verließ, um sich einer Schlankheitskur zu unterziehen. Allein sein großer Name hielt Maradona im Amt. Inzwischen hat er sich, nach ein paar handfesten Beleidigungen und rhetorischen Kriegserklärungen gegen die argentinischen Journalisten, mit dem seltsamen Modus arrangiert.

In Südafrika sind die Rollen klar verteilt. Maradona gibt sich so sanftmütig wie die Schafe, die Cristina Fernández de Kirchner neulich im Biotechnologischen Institut in Buenos Aires besucht hat. Bei der Ankunft in Pretoria verkündete er seine immerwährende Liebe zu Südafrika, er lacht und scherzt und herzt im Training auch jene Spieler, die einen Kopf größer sind. Bilardo ist zuständig für die Ränkespiele im Hintergrund und für die derben Sprüche. Gerade erst irritierte er mit der Ankündigung, er werde sich „von hinten nehmen lassen von dem Spieler, der uns zur Weltmeisterschaft schießt“.

So etwas hat man von Maradona schon ein ganzes Jahr lang nicht gehört. Für seine Verhältnisse ist das eine gefühlte Ewigkeit.

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