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Mitreißend. Die Auftritte der deutschen Elf hat selbst Fans anderer Länder begeistert.

© dpa

Nationalmannschaft: Warum spielen die Deutschen so gut?

4:1 gegen England, 4:0 gegen Argentinien: Scheinbar unbekümmert besiegt das deutsche Team selbst stärkste Gegner. Liegt es an Fitness, Technik oder an Trainer Joachim Löw?

Jedem, der sich für Fußball interessiert, war vor dem Viertelfinale klar, dass Argentinien eine überragende Offensive hat, in der Abwehr aber anfällig ist. Der deutschen Mannschaft aber gelang etwas, was so vorher noch keine andere geschafft hatte: Sie wusste auf beide Erkenntnisse zu reagieren, und zwar gleichzeitig und in einer Weise, die sich zu einem großen Plan zusammenfügte.

Welche Taktik hatten die Deutschen?

Sie zerstörten mit großem Einsatz das Spiel der argentinischen Stürmer mit dem Weltfußballer Lionel Messi in einem Verbund aus Mittelfeldspielern und Verteidigern unter Leitung von Bastian Schweinsteiger. Von der ersten Minute an machten sie sich zunutze, dass Argentinien im Mittelfeld ein Bindeglied zwischen der wackligen Abwehr und den tollen Einzelkönnern im Sturm fehlte. Es war schnell zu sehen, dass der einzige defensive Mittelfeldspieler, Javier Mascherano, nicht den ganzen Raum abdecken konnte, in den von den Außenpositionen Lukas Podolski und Thomas Müller stießen. Außer Carlos Tevez, der wild, aber ohne Anbindung an die Laufwege seiner Mitspieler nach hinten mitarbeitete, übernahmen Argentiniens Angreifer keine Defensivaufgaben. Das bedeutet immer viel Raum für den Gegner. In Zeiten bestens organisierter Defensivreihen ist es wichtig, den Gegner in einem unorganisierten Moment zu erwischen. Diese auszunutzen, versteht die deutsche Mannschaft hervorragend, wie sie bei diesem Turnier mit ihren überfallartigen Kontern gezeigt hat. Gegen die Argentinier gab es quasi eine Trainingseinheit im Kontern, da diese häufiger unorganisiert als organisiert waren. Hinzu kamen miserable individuelle Leistungen wie die von Lukas Podolskis Gegenspieler Nicolas Otamendi, der schon vorher als Schwachpunkt galt.

Die Argentinier verließen sich einzig und allein auf ihre große Stärke, den Angriff. Die Deutschen gerieten zwar zwischendurch für eine halbe Stunde unter Druck, überstanden diesen aber mit etwas Glück und vor allem aufgrund ihres Plans. Sie nahmen dem Gegner dessen Stärke, um dann die eigene auszuspielen.

Welche Rolle spielt die Vorbereitung auf das Turnier und die Fitness des Teams?

Das Mannschaftsgefühl der Weltmeister von 1954 ist als „Der Geist von Spiez“ bekannt, in diesem Schweizer Ort hatte sich das Team damals vorbereitet. Egal, wie weit das deutsche Team nun kommt, in der Erinnerung wird die Vorbereitung auch eine große Rolle bekommen. Im März hatte Deutschland ein Testspiel gegen Argentinien noch 0:1 verloren. Insgesamt sieben Wochen – länger als die anderen Spitzenteams – war die Mannschaft auf Sizilien und in Eppan in Südtirol zusammen, die sieben Spieler von Bayern München reisten wegen des Champions- League-Finales etwas später an. Trotzdem reichte die Zeit, um Miroslav Klose nach einem sehr schwachen Jahr bei den Bayern körperlich wieder fit zu bekommen und mental so aufzubauen, dass er wieder Tore schießt. Gleiches gilt für Lukas Podolski, dem der Bundestrainer wie auch Klose viel Selbstvertrauen gab. Sein erstes Tor bei der WM köpfte Klose nach einer einstudierten Flanke von Philipp Lahm, auch die verschiedenen Kontervariationen über Mesut Özil haben als Grundlage trainierte Varianten. Davon ist bei den meisten anderen Nationalmannschaften wenig zu sehen, ebenso wie von der überragenden Fitness der Deutschen. In den bisherigen Spielen war zu sehen, dass in der starken Physis ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil liegt. Zu dieser „deutschen Tugend“ kommt nun auch noch eine begeisternde Spielidee, die eine junge Einheit so abgezockt umsetzt, als tue sie seit Jahren nichts anderes.

Wie groß ist der Anteil des Trainers?

Lachhaft wirkt im Siegestaumel das Theater um die Vertragsverlängerung des Bundestrainers vor dem Turnier. Dabei ist das gar nicht ungewöhnlich – die Hälfte der Nationaltrainer bei dieser WM hatte vorher keinen Kontrakt für die Zeit danach. Und wäre Deutschland in der Vorrunde ausgeschieden, hätte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) mit einem neuen Angebot an Löw sicher gezögert. Nun lässt sich nach diesem triumphalen Einzug ins Halbfinale leicht sagen, dass dies ein Fehler gewesen wäre – die Fakten, die für die Arbeit von Joachim Löw sprechen, sind aber unabhängig vom aktuellen Erfolg bekannt.

Bei der WM 2006 lernten Fußball- Deutschland und der DFB von Jürgen Klinsmann, dass jetzt auch Power-Point- Präsentationen dazugehören. Ein Symbol für die Professionalisierung, die Assistent Löw, als er nach der WM Chef wurde, konsequent vorangetrieben hat. Mit seinem Trainerteam, das viele Kompetenzen hat: Kotrainer Hans-Dieter Flick, Torwarttrainer Andreas Köpke und Chefscout Urs Siegenthaler. „Allein würde das nicht funktionieren“, sagt Löw. Nur ein Beispiel: In der abgelaufenen Bundesliga-Saison wurde Löw kritisiert, weil er in der Endphase nicht beim Spitzenspiel Schalke-Bayern medienwirksam auf der Tribüne saß. Löw verteidigte sich nicht, teilte aber später nebenbei den Grund mit. Um verschiedene Meinungen zu haben, beobachte jedes Mitglied des Trainerteams jeden potenziellen Nationalspieler im Wechsel. Aus den verschiedenen Eindrücken, die in einer Datenbank festgehalten werden, ergebe sich dann ein aussagekräftiges Bild. Anhand dieser und vieler anderer gesammelter Erkenntnisse werden Entscheidungen wie jene nach der Europameisterschaft 2008 getroffen. Da erreichte Deutschland das Endspiel gegen Spanien, hatte aber schon in den Spielen davor deutliche Defizite offenbart. Verdiente Spieler wie Jens Lehmann, Torsten Frings und Christoph Metzelder waren fortan nicht mehr gefragt. Der Umbruch, dessen Folgen die Welt nun bewundert, wurde trotz des Erfolges eingeleitet. Löw hat ihn, auch das ist eine wichtige Fähigkeit, immer fachlich begründet und der Öffentlichkeit erklärt.

Was erwartet Deutschland im Halbfinale?

Ähnlich wie die Argentinier haben die Spanier keinen Plan B. Sie versuchen stets, ihr dominantes Kurzpassspiel durchzubringen. Diese Spielweise ist über Jahre gewachsen, zudem verfügen die Spanier über eine exzellente Defensive. Bei dieser WM treten sie aber bisher nicht so überragend auf wie 2008, als sie Europameister wurden und nicht nur Deutschland keine Chance gegen sie hatte. Wer sie im Spielaufbau entscheidend stört, nimmt ihnen den Rhythmus. Und gerade bei Kontern wirkten sie nicht immer sicher. Doch: „Spanien ist besser als England und Argentinien“, sagt Klose.

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