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Fußballmuseum: Fünf Tore als Lebensthema

Exakt 55 Jahre nach dem Wunder von Bern eröffnet Johann Schlüper in Berlin ein Fußballmuseum – und ist damit schneller als der Deutsche Fußball-Bund.

Der Staub der Geschichte ist es nicht, der an der Hose von Johann Schlüper klebt. Seine Schuhe sind eingegraut, seine schwarze Jeans ist grau gefleckt. „Wenn du zehn Minuten hier durchläufst, siehst du aus wie die Jungs in Tschernobyl“, sagt Schlüper. Der Baustaub lauert überall. Noch. In zwei Monaten wird hier alles schön sein.

Die zweite Etage in einem Plattenbau in Lichtenberg, 450 Quadratmeter, kahl und leer, fünf Meter hohe Decken und Fensterfront zum Anton-Saefkow-Platz. Auf dem blanken Betonboden liegen ein paar Stapel mit Spanplatten. Wenn Schlüper darübersteigt, hinterlässt er graue Fußabdrücke. „Wir können ja mal rumgehen“, sagt er. Also, hier hinter der Eingangstür aus Glas, da haben wir das Foyer, in der Halle, gleich links, der Raum für das Wunder von Bern, und in die Mitte, zwischen vier Pfeiler, kommt das Kernstück der Ausstellung: das Forum, einem Fußballstadion nachempfunden. Man muss von der Seite rein, sagt Schlüper. Er geht um den Pfeiler herum und biegt rechts ab, aus der Leere in die Leere. Wenn er die Augen schließt, sieht er alles genau vor sich: „Glauben Sie mir: Das wird wunder-, wunderschön.“

Für den Deutschen Fußball-Bund ist heute ein wichtiger Tag. Bei seinem Bundestag in Düsseldorf wird der DFB über den Standort für sein Nationales Fußballmuseum entscheiden: 14 Städte hatten sich ursprünglich beworben, Dortmund oder Gelsenkirchen sind als letzte Kandidaten übrig geblieben. „Es wird ein einzigartiges Projekt sein, ein Projekt, wie es das nirgendwo gibt“, sagt Wolfgang Niersbach, der Generalsekretär des DFB. 2012 soll das Museum eröffnet werden. Johann Schlüper ist schneller.

Knapp zwei Monate brauchen er und seine Mitstreiter vom Verein „Museum für deutsch-europäische Fußballkultur in Berlin e. V.“ noch. Ihr Museum im Berliner Stadtteil Lichtenberg wird sich vor allem den internationalen Erfolgen des deutschen Fußballs widmen und will „die sportliche, zeitgeschichtliche, ökonomische, politische, gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung des Phänomens ,Fußball‘“ vermitteln, wie es in einem Exposé heißt. Die Eröffnung ist für den 4. Juli geplant. Mit Bedacht. Am 4. Juli vor 55 Jahren sind die Deutschen im Berner Wankdorfstadion zum ersten Mal Weltmeister geworden.

Ohne das Spiel wäre Johann Schlüper aus Erkelenz am linken Niederrhein, 59 Jahre alt, jetzt nicht hier.

Vor dreißig Jahren hat es angefangen. Damals hat Schlüper selbst noch Fußball gespielt, bei Roland Millich, einem kleinen Verein im deutsch-holländischen Grenzgebiet. Er kann sich noch an den Tag erinnern, an dem sie mit der Mannschaft einen Sieg feierten und ihr Trainer, in einem Anflug von Sentimentalität, eine Schellackplatte mit der Radioreportage vom 54er WM-Finale auflegte: Schlüper hörte Herbert Zimmermann flehen und schreien, bangen und hoffen. In diesem Moment wurde sein Jagdinstinkt geweckt. Das Wunder von Bern, das 3:2 des Außenseiters Deutschland gegen die unbesiegbaren Ungarn, ist fortan Schlüpers Lebensthema.

Die Delegierten des DFB-Bundestages werden heute auf ihren Plätzen eine Hochglanzbroschüre mit den wichtigsten Fakten zum Nationalen Fußballmuseum vorfinden. Es sind auch ein paar Exponate abgebildet, unter anderem eine Holzbank aus dem alten Wankdorfstadion. Die Bank war für die Ordner bestimmt, nach dem Anpfiff konnten sie sie auf die Treppenaufgänge stellen und das Spiel im Sitzen verfolgen. Die Bank gehört Johann Schlüper.

„Eigentlich sind das alles Abfallprodukte“, sagt er. Eigentlich hat Schlüper Minuten gesammelt. Filmminuten aus dem Finale der Deutschen gegen die Ungarn. Als er anfing, gab es gerade mal 18 Minuten von dem Spiel. Der Rest? Für immer verloren oder zumindest verschollen. Schlüper hat jetzt fast eine Halbzeit zusammen, 45 Minuten. Und er hat bei seiner Jagd beste Beziehungen geknüpft. Beim Schweizer Fußballverband ist er inzwischen ein guter Bekannter. Die Schweizer haben ihm alte Eintrittskarten der WM überlassen, auch Programmhefte von 1954, zum Teil noch originalverpackt. „Lassen Sie uns ein Exemplar da, den Rest können Sie mitnehmen“, haben sie zu ihm gesagt. „Wir wissen ja, dass das bei Ihnen gut aufgehoben ist.“ Über rund 10 000 Ausstellungsstücke kann der Verein für sein Museum verfügen, jeweils 500 sollen nach dem Rotationsprinzip in Lichtenberg gezeigt werden.

Herr Schlüper, würden Sie sich eigentlich als verrückt bezeichnen? „Das muss man ja sein“, sagt er. „Sonst geht es nicht.“ Mit bald 60 wird er nach Berlin ziehen: aus Erkelenz, einem Ort mit 45 000 Einwohnern auf dem platten Land zwischen Aachen und Mönchengladbach, in die große Stadt im Osten. Schon 2004 hat Schlüper seinen Job als kaufmännischer Angestellter in einem Sanitärbetrieb aufgegeben, seitdem macht er in Fußballhistorie. Hauptberuflich. Schlüper konzipiert und betreut Ausstellungen zur Fußballgeschichte, 2006, während der WM, waren es sechs in sechs verschiedenen Städten, gleichzeitig. „Reich wird man davon nicht“, sagt er. Aber es geht. „Das ist schon gut überlegt.“

Für den Deutschen Fußball-Bund ist das Nationale Fußballmuseum ein Prestigeobjekt. Zehn Millionen Euro stellt der DFB zur Verfügung, den Rest, knapp zwanzig Millionen, steuert Nordrhein-Westfalen bei. Die Städte, die sich beworben haben, mussten sich verpflichten, das Grundstück zur Verfügung zu stellen, die Kosten für den Architektur- und Planungswettbewerb zu tragen und von möglichen Verlusten mindestens die Hälfte zu übernehmen. Aber von Verlusten geht niemand aus. „Es handelt sich um ein Millionenprojekt, eines für Jahrzehnte“, sagt der DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach.

Johann Schlüper denkt in anderen Kategorien. „Wir machen hier unser Ding“, sagt er. Vor allem machen sie alles selbst, den Umbau genauso wie die Sponsorensuche. Jede Spende ist dem Verein willkommen, auch Sachwerte, ein Eimer Farbe für den Anstrich genauso wie ein Stapel Spanplatten für den Innenausbau. In Nürnberg hat Schlüper noch eine Lkw-Ladung Baumaterial aufgetrieben, man müsste es nur abholen. „Jeder steuert halt was bei“, sagt er. Die Wohnungsbaugesellschaft HoWoGe hat die Räume zu unschlagbar günstigen Konditionen zur Verfügung gestellt, erst einmal für fünf Jahre, mit der Option auf Verlängerung. „Die sind unser absoluter Hauptsponsor“, sagt Schlüper.

„Klein und fein und schön und ordentlich“ soll das Museum werden. Natürlich haben sie auch die Finanzierung durchgerechnet, obwohl es bisher keine verlässlichen Erfahrungswerte gibt. Der DFB hat für sein Nationales Fußballmuseum rund 2,4 Millionen Euro als jährliche Betriebskosten veranschlagt. Er geht von 250 000 Besuchern aus, pro Jahr. Johann Schlüper sagt: „Wenn bei uns jeden Tag 50 Leute kommen, also ein Autobus voll, dann kommen wir zurecht.“

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