zum Hauptinhalt
Alles sauber? Bei den deutschen WM-Fußballern von 1966 (in Weiß) wurden Spuren der Dopingsubstanz Ephedrin gefunden.

© AFP

Exklusiv

Gastbeitrag von Studien-Autor: Dopingskandal ist ein Fall für den Bundestag

Unser Autor war an der Studie beteiligt, die staatlich toleriertes Doping in Westdeutschland offenlegt. Hier attackiert er den DOSB, Generaldirektor Vesper wirft er „historische Ahnunglosigkeit“ vor. Sein Fazit: Der Sport schafft die Aufarbeitung nicht allein.

Am Samstag hat die „Süddeutsche Zeitung“ über wesentliche Grundzüge unserer Studie „Doping in Deutschland“ berichtet. Dass sich Politiker daraufhin bestürzt und fassungslos zeigten, und zwar parteiübergreifend, hat Michael Vesper nicht weiter irritiert. Der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) erklärte jedenfalls, dass doch vieles nicht neu gewesen sei, „eher Spekulationen und zusammenfassende Bewertungen“. Aufschlussreicher ist noch, was Vesper nicht kommentierte. Der Vorwurf des inhumanen Minderjährigendopings in Freiburg, die Verabreichung von anabolen Steroiden an Elfjährige Mitte der 1970er Jahre, was nun wirklich an die Dopingpraxis in der DDR erinnert, etwa schien ihn nicht zu schockieren. Dass die betreffenden Dokumente im Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp), die diesen unfassbaren Fall hätten detailliert aufklären können, vermutlich vor Projektstart geschreddert worden sind, auch darin sieht er offenbar keinen Skandal.

Vesper legte stattdessen größten Wert darauf, dass der DOSB erst selbst den Bericht bewerten wolle. Was er aber jetzt schon, bevor die Fachwissenschaft darüber geurteilt hat, glasklar findet: Das Doping in Westdeutschland dürfe nun wirklich nicht mit dem DDR-Doping verglichen werden. Und die drei deutschen Fußballer bei der WM 1966 seien in Wirklichkeit gar nicht gedopt gewesen. Das sei lediglich auf die Einnahme eines Schnupfenmittels zurückzuführen gewesen. „Es ist aber untersucht worden, und es ist eindeutig nicht als Doping zu werten“, sagte Vesper dem Sportinformationsdienst.

Die Untersuchung, auf die Vesper anspielt, ist ein Gutachten des Kölner Sportrechtlers Martin Nolte, den der Deutsche Fußball-Bund (DFB) beauftragt hatte. Das Schlüsseldokument in dieser Sache ist ein Schreiben des damaligen Chefs der Medizinischen Kommission der Fifa von 1966, in dem er Max Danz darüber berichtet, dass es bei drei deutschen Fußballern „sehr feine Zeichen von der Einnahme gewissen Ephedrinmittels“ gegeben habe. An der Echtheit des Schreibens gibt es keinen Zweifel, denn es lag im Archiv des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), dessen Präsident Danz damals war. Auch der DFB zweifelt die Echtheit nicht an. Da damals in den Fifa-Regularien keine Grenzwerte existierten und Ephedrin auf der Dopingliste stand, welche den Teams vor dem Turnier ausgehändigt wurde, handelte es sich also eindeutig um Dopingfälle. Die Namen der Fußballer sind dabei unerheblich.

Die Argumente Noltes, auf die Vesper sein Urteil gründet, sind interessant. Ein zentrales Argument lautet, dass diese Dopingfälle nicht im Official Report zur WM 1966 auftauchten. Der Gutachter steht hier also auf dem Standpunkt, dass nur dann ein Dopingfall vorliegt, wenn der Sportverband ihn als offiziellen Dopingfall deklariert. Nun, nach dieser Logik hätten wir uns das ganze Forschungsprojekt ersparen und studentische Hilfskräfte die offiziellen Dopinglisten der Sportverbände addieren lassen können.

Ein weiteres sportjuristisches Argument Noltes besteht darin, dass das seit 2004 gültige Prinzip der „strict liability“, wonach der Athlet die Verantwortung für alle Stoffe in seinem Körper trage, 1966 noch kein Bestandteil des Antidopingreglements gewesen sei. „Zum damaligen Zeitpunkt führte Unkenntnis aber zum Fehlen eines notwendigen Dopingvorsatzes“, so Nolte. „Anhaltspunkte dafür, den deutschen Spielern böse Absicht zu unterstellen, gab es nicht.“

Als Historiker darf ich nicht von heute aus urteilen, sondern aus der damaligen Zeit heraus.

Folgt man Nolte hier, hätte der Weltverband Fifa 1994 Diego Maradona ebenfalls nicht wegen seines Ephedrin-Konsums sperren dürfen; Maradona erklärte ja damals, er habe mit dem Nasenspray doch nur seine verstopfte Nase freimachen wollen und nicht gewusst, dass darin eine Dopingsubstanz enthalten sei. Eigentlich hätte man dann womöglich bis 2004, bis die Welt-Antidopingagentur (Wada) die „strict liability“ installierte, kaum einen Dopingsünder sperren dürfen. Unser wichtigstes Argument lautet hier: Als Historiker darf ich nicht von heute (oder 2004) aus urteilen, sondern aus der damaligen Zeit heraus. Und Ephedrin war nun einmal bei der WM 1966 verboten.

Zur Frage der Leistungssteigerung erklärt Nolte: „Die Verwendung von Nasensprays diente demgegenüber allein der Erhaltung der normalen Leistungsfähigkeit durch Vermeidung eines krankheitsbedingten Leistungsabfalls nach unten. (…) Die Feststellung, dass die Spieler demnach nicht in subjektiver Dopingabsicht, sondern allein zur Erhaltung ihrer natürlichen Leistungsfähigkeit handelten, war damit regelkonform.“ Aber wenn hier erklärt wird, mit dem Einsatz der Nasensprays (sprich: mit Ephedrin) habe man das Ziel verfolgt, lediglich die „natürliche Leistungsfähigkeit“ wiederherzustellen, dann ist das recht verstanden doch nichts anderes als die Absicht, die Leistungsfähigkeit der Athleten, die offenbar durch die Erkältung abgesunken war, zu steigern. Und damit ist der Ephedrin-Einsatz eben ausdrücklich nicht regelkonform. Zudem hieß es in den 1966 gültigen Dopingregeln der Fifa (und nur die interessieren): „Jeder, der andere überredet oder unterstützt, Medikamente einzunehmen oder Methoden anzuwenden, die die Leistungsfähigkeit eines Spielers künstlich beeinflussen, wird des Vergehens gegen die Gesundheit des Spielers und gegen die Ethik der Sportwettkämpfe schuldig gemacht.“

Noltes Argument ist extrem prekär. Denn das Credo scheint hier zu lauten: Wenn es der Wiederherstellung der Gesundheit dient, dann sind auch Dopingsubstanzen erlaubt. Hier wäre interessant zu erfahren, ob Nolte als Aufsichtsratsmitglied der Nationalen Antidoping-Agentur (Nada) genauso argumentiert. Uns hat der Vortrag Noltes jedenfalls regelrecht erschüttert. Als Historiker hätten wir uns lächerlich gemacht, wenn wir uns, wie der DFB forderte, diese bizarre Beweisführung zu Eigen gemacht hätten. (Und natürlich mussten wir auch jene Bedingung des DFB für einen Archivbesuch ablehnen, die darin bestand, dass wir zuerst besagte Quelle von 1966 abzuliefern hätten.)

Noltes Argumente hingegen leuchten DOSB-Chef Vesper ein, womit er einmal mehr seine historische Ahnungslosigkeit demonstriert. Vesper hat übrigens im Herbst 2012 schon versucht, uns als Historiker zu diffamieren, als er vor rund 50 Journalisten mit Bezug auf unser Projekt erklärte, er wolle von uns „belastbare wissenschaftliche Berichte und keine Kriminalromane“ – und wenige Minuten später einräumte, unsere Berichte gar nicht gelesen zu haben. 2011 hatte DOSB-Präsidiumsmitglied Gudrun Doll-Tepper nach unserer Präsentation gefordert, wir müssten „belegen“, dass der führende Sportfunktionär Willi Daume von Dopingpraktiken in den 1970er Jahren Kenntnis hatte. Das hatten wir selbstredend getan. Nur hatte auch sie unseren Bericht nicht gelesen.

Unser Bericht liegt dem DOSB, der mit zwei Funktionären im Forschungsbeirat vertreten war, seit über einem Jahr vor. Wir fragen uns deshalb: Was will Vesper jetzt noch bewerten? Und wann? Die aktuellen Reaktionen Vespers jedenfalls sind ein eindrückliches Beispiel dafür, dass der deutsche Sport mit der historischen Aufklärung der Dopinggeschichte überfordert ist.

Wenn sich nun, nach den neuen Erkenntnissen, tatsächlich der politische Wille entwickeln sollte, weitere Details der Dopinggeschichte offenzulegen – etwa zur Frage des Minderjährigendopings und zum Fakt, dass die SPD-Parlamentarier 1991 nach ihrer Kleinen Anfrage im Bundestag auch in dieser Sache vom Bundesinnenministerium nicht informiert wurden –, dann darf eine solche Untersuchung nicht mehr vom Sport gelenkt werden. Dann muss sich, um Forschungsfreiheit zu garantieren, der Deutsche Bundestag dafür zuständig erklären.

Der Autor ist freier Mitarbeiter des Tagesspiegels und war Mitarbeiter des Forschungsprojektes „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false