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Sicher auf der Bank. Sportdirektor Max Eberl (ganz rechts) weiß, was er an seinem Trainer Michael Frontzeck hat. Foto: Imago

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Sport: Gegen das Gesetz

Borussia Mönchengladbachs Sportdirektor Max Eberl wehrt sich gegen die aufkeimende Trainerdiskussion

Im Büro von Max Eberl liegt die Vergangenheit originalverpackt auf der Besuchercouch. Sie wiegt drei Kilo und hat mehr als 600 Seiten. Am Tag zuvor hat Borussia Mönchengladbach seine neue Vereinschronik vorgestellt, Eberls Exemplar ist noch in Zellophan eingeschweißt. „Die muss ich noch auswendig lernen“, sagt er. Aber vielleicht ist es auch ganz gut, wenn die Vergangenheit luftdicht verschlossen bleibt. Max Eberl kämpft bei Borussia Mönchengladbach nämlich gerade gegen die Geschichte, zumindest gegen den Teil, den er selbst miterlebt hat, exakt ein Zehntel der hundertzehn Jahre: fünf als Spieler, vier als Nachwuchsmanager und bisher zwei als Sportdirektor.

Die jüngere Geschichte geht so: Spätestens wenn es Herbst wird, bekommt Borussia Mönchengladbach den Blues. Das ist auch 2010 wieder so. Seit gut zwei Wochen belegt die Mannschaft den letzten Tabellenplatz der Fußball-Bundesliga, seit neun Spielen hat sie nicht mehr gewonnen, und in bisher elf Begegnungen haben die Gladbacher 33 Gegentore kassiert. Das ist eine bemerkenswerte Bilanz des Schreckens. Noch viel bemerkenswerter ist es, dass die Mannschaft immer noch von Michael Frontzeck betreut wird. Bei Borussia Mönchengladbach sind die Trainer schon für weit geringere Defizite entlassen worden. Dass das bisher nicht passiert ist, ist für Max Eberl ein kleiner Triumph im Kampf gegen die Geschichte. Aber der Kampf ist noch lange nicht zu Ende. Man kann sogar sagen: An diesem Wochenende könnte er sich noch einmal entscheidend zuspitzen.

Am Samstag spielt Borussia Mönchengladbach im rheinischen Derby beim 1. FC Köln. Die Begegnung ist seit jeher ein hoch emotionales Duell, diesmal aber kommt verschärfend hinzu, dass der Letzte der Liga auf den Vorletzten trifft. Bei einem Sieg würden die Gladbacher an den Kölnern vorbeiziehen. Und bei einer Niederlage? „Wir würden uns auch bei einer Niederlage nicht von Emotionen leiten lassen und sagen: Jetzt muss der Trainer rausgeschmissen werden“, sagt Eberl. „Es wird kein Schicksalsspiel für irgendeine Person von uns.“

Solche Sätze sind vom Sportdirektor seit Wochen zu hören, aber wenn er am nächsten Tag die Zeitungen aufschlägt, kann er lesen, dass es jetzt aber wirklich ernst werde für Frontzeck.„Es ist anstrengend, es ist mühsam“, sagt Eberl, „aber es macht auch Spaß, das durchzuziehen, wovon man hundertprozentig überzeugt ist.“

Schon vor einem Jahr haben Eberl und Frontzeck eine ähnliche Phase durchgestanden. Damals verlor die Mannschaft sechs Pflichtspiele hintereinander, der Trainer blieb. Damals wie heute ist Eberl von Frontzecks Qualitäten überzeugt. Er arbeite akribisch, habe eine klare Linie und gehe fair mit den Spielern um. „Er kann der Mannschaft etwas vermitteln, sie euphorisieren und zusammenschweißen“, sagt der 37 Jahre alte Sportdirektor. Als Beispiel dafür könnte das Spiel gegen die Bayern am Samstag gelten, als die Borussen nach einer peinlichen Darbietung vor der Pause in der zweiten Hälfte fast noch gewonnen hätten. „Wenn man so eine zweite Halbzeit spielt, sieht ja wohl jeder, dass der Trainer die Mannschaft noch erreicht“, hat Verteidiger Tobias Levels nach dem 3:3 gesagt.

Max Eberl weiß, dass es schwer ist, mit solchen Argumenten durchzudringen, wenn die Ergebnisse immer das Gegenteil zu belegen scheinen. Auf seinem Schreibtisch hat er einen Stapel Papier zur Hand. Eberl hat sich die Kader aller 18 Bundesligisten aus dem Internet ausgedruckt und ermittelt, welche Spieler wem wie lange gefehlt haben. „Wir sind der Verein, der die meisten Spieler nicht zur Verfügung hatte“, sagt er. De Camargo, Brouwers, Dante, Arango, Matmour – sie alle fehlten oder fehlen über Wochen. „Es geht nicht um Ausreden oder Entschuldigungen“, sagt Eberl. „Es geht darum, dass wir das, was wir behaupten, auch belegen können. Die Qualität, die wir letztes Jahr hatten, konnten wir gar nicht halten.“

Borussias Sportdirektor sagt von sich, er sei jemand, „der gerne Ursachenforschung betreibt“. Eberl will anhand von Fakten entscheiden, nicht nach Gefühl: „Fußball ist zu 75, 80 Prozent planbar. Ich will Einfluss nehmen und die Wahrscheinlichkeit minimieren, dass der Erfolg nicht eintritt.“ Das aber ginge nur, wenn man nicht jedes Jahr alles über den Haufen schmeiße. „Das Problem haben auch andere Vereine“, sagt Eberl, „aber es wird immer auf Gladbach projiziert.“ „Kaufhaus des Westens“ taufte man die Gladbacher. Doch was die Verpflichtung neuer Spieler, Trainer oder Sportdirektoren angehe, „da sind wir nicht der Marktführer“, sagt er. Er kann das – natürlich – mit Zahlen belegen.

In seinen elf Jahren bei der Borussia hat Eberl zwölf Trainer erlebt. Jeder hatte seine eigenen Ideen und brauchte dafür ganz bestimmte Spieler. Genau diesen Automatismus will er durchbrechen. Eberl hat dem einst so sprunghaften Verein Kontinuität verschrieben, und das bedeutet für ihn, „auch schwere Phasen durchzustehen“. Wenn ihm das mit Michael Frontzeck ein zweites Mal gelänge, wäre das tatsächlich ein radikaler Bruch mit der Vergangenheit. Einen geraden Weg will Max Eberl gehen: „Es ist nicht zielführend, wenn man von links nach rechts und dann wieder nach links springt.“

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