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Martin Braxenthaler bei den Paralympischen Spielen in Vancouver, 2010.

© Thilo Rückeis

Weitermachen nach einer Querschnittlähmung: „Gesund im Rollstuhl ist mir lieber als krank gehend“

Martin Braxenthaler ist seit einem Arbeitsunfall querschnittgelähmt. Das war vor 28 Jahren. Heute blickt er auf eine erfolgreiche Wintersportkarriere zurück.

Von Max Fluder

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook.

Am Anfang stand ein Wunsch. Wieder Ski fahren zu können, mit den Kumpels. Das war alles, was Martin Braxenthaler wollte. Den Hang hinab rasen, so wie früher. Auch nach seinem Unfall, der sein Leben erst einmal auf den Kopf stellte. Was dabei herauskam, war so viel mehr als nur ein Freizeitvergnügen: Es war eine der erfolgreichsten Wintersportkarrieren Deutschlands – zehn paralympische Goldmedaillen inklusive.

Martin Braxenthaler, 50, ist querschnittgelähmt. Seit nun schon 28 Jahren. Die Beine kann er nicht mehr bewegen. Viele Menschen fallen nach einer Querschnittlähmung erst einmal in ein Loch, einige finden nicht mehr hinaus. Wie schafft man es doch? Und welche Rolle spielt der Sport dabei?

Ein Treffen in der BG Unfallklinik in Murnau, einer kleinen Stadt in Oberbayern. Braxenthaler kommt extra aus Traunstein hergefahren, wo er lebt. Hier in Murnau war er nach dem Unfall zur Reha. Hier war er 1996, als es Komplikationen gab. Und hier hat er Doris Maier kennengelernt, die heute Chefärztin im Zentrum für Rückenmarkverletzungen ist, und mit der Braxenthaler sich bis heute austauscht.

„Meine Aufgabe ist die Versorgung von Menschen mit einer Querschnittlähmung“, fasst Maier ihre Aufgabe zusammen – auch wenn sie als Chefärztin noch in anderen, eher verwaltungstechnischen Aufgaben eingebunden ist. Das Zentrum für Rückenmarkverletzungen ist groß. Mehr als ein Dutzend Ärztinnen und Ärzte arbeiten hier, um die 160 Pflegerinnen und Pfleger, dann noch ein Forschungs- und ein Therapieteam. Trotzdem sagt Maier: „Ich möchte alle meine Patienten kennen“, denn: „Verbundenheit ist wichtig für die Behandlung.“

Wenn sich Braxenthaler und Maier unterhalten, dann wirkt das, als säße man vor einem eingespielten Team. Braxenthaler nimmt Gedankenstränge von Maier auf, spinnt sie weiter, und umgekehrt läuft es genauso. Nicht einmal von einem Rettungshubschrauber, der draußen in Sichtweite des schlicht eingerichteten Besprechungszimmers landet und wieder startet, lassen sich die beiden aus der Ruhe bringen.

Doris Maier und Martin Braxenthaler in der BG Unfallklinik in Murnau.
Doris Maier und Martin Braxenthaler in der BG Unfallklinik in Murnau.

© BG Unfallklinik Murnau

Für den Landwirt ist es vielleicht eine Kuh

Braxenthaler und Maier sind sich einig: Nach einem Unfall, nach einer Querschnittlähmung die Behinderung zu akzeptieren, das ist die Grundlage für alles. Braxenthaler sagt: „Solange ich darüber jammere, was mir genommen wurde, binde ich unglaublich viel Potenzial, was ich einsetzen sollte, um aus meinen Tag etwas Positives zu machen.“ Akzeptieren was ist, sich in den alten Alltag, – Familie, Freunde, Job – einfügen oder einen neuen Alltag beginnen. Wie aber kommt man an diesen Punkt?

Der Weg dahin sei bei jedem Menschen anders, sagt Maier, genauso wie auch jeder Mensch aus medizinischer Sicht eine andere Behandlung braucht. Denn Querschnittlähmungen sind multifaktoriell, beeinflussen viele Körperfunktionen gleichzeitig – das muss mitgedacht werden. „Für mich ist es ein Erfolg“, sagt Maier und lehnt sich in ihrem Kittel in den Stuhl zurück, „wenn der Patient sagt: Ich will. Man muss eine Sache finden, die einem Patienten diese positive Sicht gibt.“

Und das kann alles sein. „Das größte Missverständnis ist, dass es Patienten mit Rückenmarkverletzung nur ums Gehen geht, dass sie alle das Gleiche wollen“, sagt Maier. Für einen alten Landwirt ist es vielleicht eine Kuh, mit der er seinen Lebensabend verbringen und für die er sorgen möchte. Für einen passionierten Angler ist es vielleicht das Fliegenfischen, das er auch mit einer Tetraplegie, einer kompletten Lähmung von Beinen und Armen, noch ausübt. Und für viele ist es eben Sport, womit wir wieder bei Martin Braxenthaler wären.

Sportmuffel finden in der Reha zur Bewegung

Vom Besprechungszimmer der Klinik aus sieht man die Alpen. Und genau dort, in die Berge, wollte Braxenthaler nach seinem Unfall auf der Arbeit – er ist gelernter Kfz-Mechatroniker – wieder hin. Erst fuhr er, wie er es sich wünschte, Ski mit seinen Freunden, kurze Zeit später fuhr er professionell. 1998 trat er bei den Paralympics in Nagano an. Heute sagt er: „Ich stehe als Rollstuhlfahrer mit beiden Beinen fest im Leben.“

Im Sport, sagt Maier, erfahre man Selbstwirksamkeit. Sport sei aber noch mehr als das: Denn die meisten Sportarten werden im Team gespielt. Und zusammen, als eine Gemeinschaft kann man viel mehr lernen als allein, sagt Maier. Das gelte vor allem für Menschen, die ihre Behinderung noch nicht lange haben. Denn in einem Umfeld unter Menschen mit ähnlichen Erfahrungen rede man offener. Über alles, was einen halt so beschäftigt.

Natürlich treibt nicht jeder Mensch Sport, unter Menschen mit Behinderung ist der Prozentsatz an Personen, die sich regelmäßig sportlich betätigen, geringer als in der Gesamtbevölkerung. Das liegt auch an den Vereinen, die Behindertensport nicht anbieten können oder wollen, sagt Maier. Aber manchmal käme es vor, dass Menschen in der Reha, die eigentlich dazu da ist, den Körper für den Alltag fit zu machen, ihre Liebe zum Sport entdecken. „Es gibt durchaus auch Sportmuffel, die durch unser Angebot zum Sport finden“, sagt Maier.

Vor seinem Unfall war Braxenthaler nur Hobbysportler, erst danach ging es mit der professionellen Laufbahn los. Heute besucht er Menschen, die einen Unfall erlitten haben, und versucht, sie moralisch aufzubauen, mit ihnen dieses eine Ziel zu finden, wonach sie streben. Es geht ihm gut, gerade erst hatte er Geburtstag, lebt in Traunstein und fährt gerne mal raus auf Touren. Dafür hat er einen Rollstuhl mit BMX-Reifen, mit dem er auch in der Klinik ist. Er sagt: „Ich finde es echt nicht lustig, dass ich eine Behinderung habe. Aber gesund im Rollstuhl ist mir lieber als krank gehend.“

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