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Was pfeifst Du? Berliner Schiedsrichter nennen die B- und C-Klasse „Prügelklassen“, Beschimpfungen sind für sie normal.

© dpa

Gewalt auf dem Platz: Als Schiedsrichter in der "Prügelklasse"

Sie werden bedroht, beleidigt oder sogar ins Krankenhaus geprügelt: Auf den Fußballplätzen in Berlin ist Gewalt gegen Schiedsrichter inzwischen keine Besonderheit mehr.

Ein stechender Schmerz, dann wird es dunkel. Bernhard Kimmel verliert die Orientierung. Wie er es noch schafft, das Spiel zwischen den Reservemannschaften von Hohen Neuendorf und Türkiyemspor abzubrechen, weiß er heute nicht mehr. Sekunden später fällt der Berliner Schiedsrichter um. Als Bernhard Kimmel später im Unfallkrankenhaus Marzahn wieder zu sich kommt, kann er kaum sehen. Alles ist verschwommen. Der behandelnde Arzt diagnostiziert eine schwere Augenblutung, verursacht durch Fremdeinwirkung. „Ein Spieler von Türkiyemspor stach mir blitzschnell seine Finger in die Augen“, sagt Bernhard Kimmel. „Weil ich schlecht gepfiffen hatte – nach seiner Meinung.“

Die Tat liegt inzwischen zwei Jahre zurück, doch Fälle wie dieser gehören längst zum Alltag auf den Berliner Fußballplätzen. Gerade in den unteren Spielklassen. Dort, wo das Talent bescheiden, das Aggressionspotenzial aber umso größer ist, kommt es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen auf die Schiedsrichter. „Offiziell heißen sie B- und C-Klasse, aber unter uns Schiedsrichtern werden diese Ligen nur Prügelklassen genannt“, sagt Bernhard Kimmel zynisch. Beschimpfungen und Beleidigungen sind nach Aussagen vieler Referees längst Standard, körperliche Gewalt kommt immer häufiger dazu. „Um die 200 Übergriffe auf Schiedsrichter sind uns pro Jahr bekannt“, sagt Gerd Liesegang, der Vizepräsident des Berliner Fußball-Verbandes (BFV). Wie viele es früher waren, ließe sich schwer sagen, da viele Schiedsrichter oft nicht den Mut hatten, nach tätlichen Angriffen an die Öffentlichkeit zu gehen. „Das hat sich in den vergangenen Jahren aber geändert.“

Bernhard Kimmel ist nicht der einzige betroffene Schiedsrichter, der versucht, sich zu wehren. Jürgen Schäfer zum Beispiel leitete das Spiel zwischen der SG Nordring und Lok Schöneweide. C- Klasse, tiefer geht es kaum. Ein Spieler von Schöneweide stieg besonders hart ein, doch Schäfer verhielt sich nachsichtig – bis es nicht mehr ging. „Gelb konnte ich ihm noch zeigen, Rot nicht mehr. Da hatte ich schon einen Kinnhaken verpasst bekommen“, erinnert sich der Referee. Als der 48-Jährige zu Boden sinkt, tritt der Angreifer ihm mit voller Wucht gegen den Kopf, bis Schäfer bewusstlos ist.

Schiedsrichter Bernhard Kimmel wollte nicht parteiisch sein.
Schiedsrichter Bernhard Kimmel wollte nicht parteiisch sein.

© Uwe Steinert

Bernhard Kimmel wird bedroht - weil er nicht parteiisch sein wollte

Jürgen Schäfer brachte diesen Fall später zur Anzeige. Genau wie Bernhard Kimmel seinen. Doch was daraus wird, ist nicht immer befriedigend für die Opfer. Der Spieler, der Bernhard Kimmel in die Augen stach, konnte nie ermittelt werden. Kimmel vermutet, dass er sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland aufhielt und unter falschem Namen spielte. Nach dem Vorfall wurde er nie wieder gesehen, auch in seinem Verein wusste angeblich niemand, wo der Spieler war. Jürgen Schäfer hatte mehr Glück. Der Täter wurde gefunden, Schäfer bekam vom Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 2000 Euro zugesprochen.

Dem BFV ist das Problem der Gewalt auf dem Fußballplatz längst bekannt. Er versucht, seine Schiedsrichter bei Übergriffen so gut es geht zu unterstützen. Durch Schulungen zum Beispiel, bei denen die Unparteiischen lernen, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie bedroht werden. Immer öfter sind nun auch Beobachter vor Ort, die deeskalierend eingreifen und bei späteren Prozessen als Zeugen auftreten können. Wenn es zu einer Gerichtsverhandlung kommt, stellt der Verband dem Betroffenen kostenlos einen Juristen zur Seite. „Sonst würden viele Schiedsrichter die Angriffe gar nicht zur Anzeige bringen, weil sie die Kosten nicht tragen könnten“, sagt Gerd Liesegang. Im Gericht steht sonst Aussage gegen Aussage.

Die Uneinsichtigkeit vieler Täter ist erschreckend. Im Fall von Jürgen Schäfer sagte der Angreifer nach seiner Verurteilung: „Der hat es nicht anders verdient. Er hat scheiße gepfiffen.“ Spätestens an diesem Punkt setzt der Verband den Fußballer auf eine „schwarze Liste“. Das heißt, der Spieler ist auf Lebenszeit vom aktiven Spielbetrieb in Berlin ausgeschlossen. Doch ab einem gewissen Punkt stößt auch der BFV an seine Grenzen. Wie im aktuellen Fall von Bernhard Kimmel.

Im Juni leitet er das Spiel SSC Teutonia II gegen Berolina Mitte II. Für die Gäste geht es um alles, nur mit einem Sieg bleiben sie weiter im Aufstiegsrennen. Doch das Spiel endet 1:1, bei Berolina Mitte ist die Enttäuschung groß. Am Abend darauf klingelt Kimmels Telefon. Die Rufnummer ist unterdrückt. Der Anrufer fragt Kimmel, warum er „das Spiel verpfiffen habe“. Kimmel reagiert nicht. Dann sagt der Anrufer, dass er Kimmels Adresse kenne und ihm einen Besuch abstatten werde. Danach wäre er, Bernhard Kimmel, nie wieder in der Lage, ein Spiel zu leiten. Kimmel wendet sich sofort an die Polizei und meldet den Vorfall dem Verband, doch der Anrufer konnte bis heute nicht ermittelt werden. „In unregelmäßigen Abständen“, wie Kimmel sagt, bekommt er noch Drohanrufe. „Ich habe Angst. Inzwischen drehe ich mich auf der Straße oft um und schaue, ob jemand hinter mir ist.“

Bernhard Kimmel ist 64 Jahre alt und Frühpensionär. Er hat ein Leben lang gearbeitet und könnte nun seinen Lebensabend genießen. Zum Beispiel mit Motorradfahren, seinem zweiten Hobby. Warum also immer noch auf den Fußballplatz gehen und sich der Gefahr aussetzen? „Weil es zu meinem Leben gehört“, sagt Kimmel. „Und weil ich mir von solchen Leuten nicht vorschreiben lassen will, wann ich abzutreten habe. Nach 30 Jahren als Schiedsrichter entscheide ich das allein.“ Außerdem seien seine Augen ja inzwischen wieder verheilt. Und das mit der Angst, „das legt sich schon wieder“.

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