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Sport: Glanz hinter der Lichtgestalt

Auch ohne Franziska van Almsick und Stev Theloke haben die deutschen Schwimmer bei der Weltmeisterschaft gute Medaillenchancen

Hamburg. Unten, im Becken, zogen gemächlich drei Schwimmer durchs Wasser, oben, im Presseraum der Hamburger Alsterhalle, hatte Ralf Beckmann Zeit für ein Schreckensgemälde. Es war Mittagspause bei den deutschen Schwimm-Meisterschaften, und der Cheftrainer des Deutschen Schwimmverbands (DSV) hielt eine Kaffeetasse in der Hand, als er seiner Umgebung erklärte, was einem Feigling bevorsteht. „Den Makel des Kneifers bekäme er so schnell nicht weg. Der setzt sich bei den anderen Schwimmern fest.“ Beckmann hatte dies Stev Theloke natürlich auch selber gesagt. Und irgendwann mal wirkte das Argument. Rückenschwimmer Theloke, Europameister über 100 m Rücken und nervlich am Ende, tauchte doch noch bei den Meisterschaften auf und schwamm gegen den Makel an. Doch das WM-Ticket ist trotzdem weg. Dritter über 50 m Rücken, das reichte nicht. Franziska van Almsick, die fünfmalige Europameisterin von 2002, schwimmt auch nicht im Sommer in Barcelona bei der WM mit. Schon kommt reflexartig die Frage auf: Was taugt die deutsche Mannschaft bei der WM?

Sie taugt sehr viel. Es gibt ja nicht bloß van Almsick und Theloke. Es gibt noch Rupprath, Stockbauer, Völker, Buschschulte. Aber van Almsick überstrahlt eben alle. Genau darum verzichtet sie auch auf die WM. Dass eine zweimalige Weltmeisterin eine WM nicht mehr reizt, weil sie dem ewigen Traum vom Olympiasieg nachhängt, ist nur die halbe Wahrheit. Der Rest der Wahrheit ist: Franziska van Almsick hätte in Barcelona nur verlieren können. Ein Sieg über 200 m Freistil? Pflicht, mehr nicht. So wäre die mediale und öffentliche Lichtgestalt gewesen. Van Almsick hat die Ansprüche an sich zu hoch geschraubt, um nach einem einzelnen Sieg ohne Weltrekord noch große Anerkennung zu erhalten. Platz zwei schon hätte Diskussionen ausgelöst. Doch die 25-Jährige ist nach elf Jahren Hochleistungssport nicht nervenstark genug, mit kritischen oder überzogenen Kommentaren souverän umzugehen. Deshalb weicht sie solchen Diskussionen ganz einfach aus. Sie hatte in ihrem sportlichen Leben nur zwei wirklich überragende Wünsche: Zum einen den Olympiasieg, zum anderen ein Rennen, bei dem sie absolut perfekt schwimmt. Danach wollte sie aus dem Wasser steigen und ihren Rücktritt erklären. Das perfekte Rennen wird van Almsick wohl nie erreichen, jedenfalls nicht so, dass sie es als solches erkennt. Bleibt der Olympiasieg. Damit würde sie sich selber bestätigen, damit aber, und das ist fast genauso wichtig für sie, hätte sie sich an ihren Kritikern gerächt.

Einige dieser Kritiker sagen, sie sei egoistisch, sie lasse das Team im Stich. Mag sein, dass es egoistisch ist, aber Franziska van Almsick hat mit ein paar spektakulären Rennen mehr fürs deutsche Schwimmen getan als die ganze restliche Nationalmannschaft mit ihren unzähligen Auftritten zusammen.

Außerdem ist der Schaden durch ihre Absage viel geringer, als es aussieht. Thomas Rupprath hat glänzende Chancen, Weltmeister über 100 m Schmetterling zu werden. Eigentlich muss er es werden, er hat gerade einen hoch dotierten Vertrag mit einer Brauerei abgeschlossen, er braucht einen großen Titel. Mit seiner Siegerzeit über diese Strecke setzte er sich auf Platz drei der Weltrangliste. Hannah Stockbauer, die Doppelweltmeisterin von 2001, quält sich in dieser Saison durch 3000 Trainingskilometer. Sie führt die Weltrangliste über 800 m an, sie hat auch enormes Potenzial über 1500 m. Sandra Völker, die Weltrekordlerin, hatte zwar keine optimale Vorbereitung auf die Meisterschaft, aber sie startet nur auf kurzen Strecken, dort lassen sich Defizite bis zur WM aufholen. Seit Sarah Poewe aus Südafrika zum deutschen Verband wechselte, haben die Deutschen zudem auch wieder eine medaillenträchtige Brustschwimmerin.

Und Antje Buschschulte war bei ihrem Sieg über 100 m Rücken 13 Hundertstelsekunden schneller als Stanislawa Komorowa. Die Russin schwamm 2002 in Berlin 1:01,40 Minuten – und wurde Europameisterin.

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