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Sport: Goldenes Ross ohne Reiter

Dem CHIO fehlt mit Wunderpferd Totilas die Attraktion – wegen einer Erkrankung ist sogar die Olympia-Teilnahme in Gefahr.

Niemand wird Totilas in diesen Tagen auf Hochglanz putzen. Niemand wird dem Hengst die Mähne flechten. Es ist nicht nötig. Während die internationale Reitsport-Elite beim CHIO in Aachen, dem Weltfest des Pferdesports, um die Olympia-Teilnahme kämpft, trainiert Dressur-Star Totilas daheim auf dem Gestüt Schafhof in Kronberg im Taunus.

Ausgerechnet er, das Wunderpferd, der Zuschauermagnet, der Rappe, der selbst Reitsport-Laien verzückt, wenn er durch das Dressur-Viereck tänzelt. Und vor allem: Das Pferd, das Deutschland bei den Spielen in London zu einer Medaille, am besten einer goldenen, führen soll.

Und nun? Reiter Matthias Rath muss das Bett hüten. Der 27-Jährige ist am Pfeifferschen Drüsenfieber erkrankt, den Start in Aachen musste er absagen. Ob es bis zum Olympiastart wieder geht? „Die Entscheidung wird sehr kurzfristig fallen“, sagt Bundestrainer Jonny Hilberath.

Der CHIO ist die letzte Sichtung vor Olympia, die Teilnahme ist eigentlich Pflicht. Für Totilas macht der Verband eine Ausnahme. Derzeit übt Klaus Rath, Vater und Trainer von Matthias, mit Totilas. Hilberath besuchte am vergangenen Wochenende selbst den Schafhof und schaute sich das Training an. Wenigstens das Pferd, so heißt es, ist bereit.

Bereit, Großes zu leisten, war es auch schon, bevor es aus den Niederlanden importiert wurde. Unter Edward Gal war Totilas der Superstar des Reitsports geworden. Die Wertungsrichter gaben so gute Noten wie nie zuvor, das Duo gewann bei der Welt- und Europameisterschaft. Es war eine kongeniale Verbindung, aber im Herbst 2010 war es vorbei.

Zehn Millionen Euro zahlten Pferdehändler Paul Schockemöhle und Ex-Dressur-Reiterin Ann Kathrin Linsenhoff für Totilas. Linsenhoffs Stiefsohn Matthias, bis dahin nur Insidern ein Begriff, wurde als Reiter bestimmt.

Es gab große Auftritte wie beim CHIO 2011, als das Duo siegte. Es gab aber auch Enttäuschungen wie bei der EM im Vorjahr. Damals sprangen die Plätze vier und fünf heraus. Kritiker tuschelten, der Falsche sei aufs Pferd gesetzt worden. Im Frühjahr entschied Rath, Totilas künftig mit der hierzulande verpönten Rollkur-Methode zu trainieren. Das machte auch Gal schon so, aber in Deutschland erregte diese Nachricht die Gemüter. Immerhin: Mittlerweile funktioniert das Pferd.

Zuletzt gewannen Rath und Totilas bei den deutschen Meisterschaften Silber hinter Helen Langehanenberg auf Damon Hill. Einige Flüchtigkeitsfehler waren dabei, aber Totilas piaffierte wie in vergangenen Zeiten. Das zeigte: Können Rath und Totilas ans Limit gehen, ist Olympia-Gold möglich. Es gibt kein anderes deutsches Paar mit einem solchen Potenzial.

Bei einem Besuch auf dem Schafhof in Kronberg konnte man noch einen optimistischen Matthias Rath antreffen. „Ich fühle mich mit Totilas immer besser. Ich bin sehr zufrieden mit den letzten Ergebnissen, es sind nur noch kleine Fehler drin. Bald kommt Olympia, das wäre das Größte für mich“, sagte der Reiter da noch. Wenig später meldete er sich krank.

Das Problem: Dem deutschen Dressur-Sport fehlt ohne Totilas die Attraktion. Zwei Jahrzehnte lang war Isabell Werth die beste deutsche Dressur-Reiterin, holte fünf Mal Olympia-Gold. Auch weil sie kein Weltklasse-Pferd mehr hat, trabt die 42-Jährige heute aber nur noch hinterher. Als Werth wegen einer Verletzung ihres Pferdes Don Johnson jüngst bei den deutschen Meisterschaften aufgab, sagte sie danach: „Ein Start in London ist nicht mehr realistisch.“

Sie wird nun doch in Aachen dabei sein, wohlwissend, dass im Falle eines Totilas-Ausfalls ein Olympia-Platz frei werden würde. Die Mannschaft besteht bei den Sommerspielen aus drei Paaren. Ein viertes reist für die Einzelkonkurrenz und ein fünftes als Ersatz mit.

Die deutsche Meisterin Helen Langehanenberg, 30, ist ebenso gesetzt wie die Drittplatzierte Kristina Sprehe, 25, mit Desperados. Als Favoriten auf die weiteren Plätze gelten Anabel Balkenhol (Dablino), 40, und Dorothee Schneider (Diva Royal), 43. Und nun schöpft auch Werth wieder Hoffnung.

Springreiter Ludger Beerbaum hat dagegen freiwillig auf seine siebte Olympiateilnahme verzichtet. In Aachen startet er nur im Rahmenspringen. Der 48-Jährige hatte sich mit Gotha beim Eröffnungsspringen 15 Fehlerpunkte geleistet. „Die Stute ist einfach nicht in Form“, sagte er. Der viermalige Olympia-Sieger galt ohnehin nur als Außenseiter.

Matthias Rath wartet derweil auf den Arzt. Der soll in diesen Tagen entscheiden, wann der Reiter die Zwangspause beenden darf.

Tim Röhn

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