zum Hauptinhalt

Sport: Gott entscheidet

Halbweltergewichts-Weltmeister Harris boxt nur unwillig in Berlin gegen Urkal

Berlin. Köstliche Frage. Vivian Harris legt den Kopf in den Nacken und lacht. Die Frage hatte gelautet: „Sie waren im vergangenen Jahr in eine Schießerei verwickelt, was war da los?“ Vielleicht hat Vivian Harris ja einen besonderen Humor. Profiboxer aus New York sind ja manchmal etwas seltsam. Mike Tyson kommt ja auch aus dieser Gegend. Aber Harris hat bloß ein schlechtes Gehör. Er sagt nämlich plötzlich: „Wiederholen Sie die Frage.“ Danach sagt er: „Ich sage nur etwas zu meinem Kampf.“ Es gab eine Schießerei in New York, das steht fest. Harris war irgendwie betroffen, danach zog er für ein paar Monate nach Florida um, in ein Trainingscamp.

Der Kampf also. Harris, der Weltmeister des Verbands WBA im Halbweltergewicht, boxt am Sonnabend gegen den Berliner Oktay Urkal (Max-Schmeling-Halle, 23 Uhr 10, live in der ARD), es ist eine freiwillige Titelverteidigung. Am Mittwoch präsentierten sich die beiden in einem Nobelhotel in Berlin der Presse, der obligatorische Pflichttermin.

Es ist nur konsequent, dass der 25-Jährige nichts über die Schießerei erzählt. Er sagt schließlich auch nicht, dass er mit der gleichen Begeisterung gegen Urkal in den Ring steigt, wie er zu seinem Zahnarzt geht. „Ich bin nicht glücklich mit diesem Kampf. Ich bin zu diesem Kampf gezwungen worden“, hatte Harris noch im März in einem Interview erklärt. Wer zwang ihn? „Das will ich nicht sagen.“ Musste er auch nicht. Die Antwort ist klar: Sein Management, Main Events, zwang ihn. Denn eigentlich wollte Harris im Dezember in den USA gegen seinen Stallgefährten Zab Judah boxen, das hätte eine gute Gage gebracht. Aber dann wechselte Judah mit starker Unterstützung von Main Events zu dem Top-Promoter Don King. Und Harris hatte plötzlich einen unterschriftsreifen Vertrag für einen Kampf gegen Urkal vorliegen. Er unterschrieb und bereute es sehr schnell. Denn nun wollte er gegen den starken Miguel Cotto boxen, das hätte wieder eine gute Gage gegeben. Aber Main Events blieb hart. Der Gegner heißt Urkal.

In Berlin kassiert Harris rund 300 000 Dollar, auch nicht schlecht für einen, der gerade mal seit Oktober 2002 Weltmeister ist. Damals besiegte er etwas überraschend den Kubaner Diosbelys Hurtado. 25 Kämpfe hat Harris bisher bestritten, 16 davon gewann er durch K.o. Nur einmal verlor er, ein Kampf endete unentschieden. Harris gilt als konditionsstark und ungemein schnell. Außerdem verfügt er über einen harten Schlag.

Und über ein Mindestmaß an Professionalität. „Ich bedanke mich bei Wilfried Sauerland, dass er mich nach Berlin geholt hat“, verkündete er gestern und blickte dabei tatsächlich einigermaßen glaubwürdig. Einen Tag zuvor war der zweifache Familienvater noch zu einem Pressetraining in einem Autohaus fast zwangsweise vorgeführt worden. Zu so einem Firlefanz habe er keine Lust, hatte er erklärt. Ein paar Leute haben ihm dann klargemacht, dass in seinem Vertrag der Passus „PR-Termine“ steht. Dann stand Harrris da, sah in seinem roten Trainingsanzug und mit seiner roten Baseballkappe einem Formel-1-Piloten ähnlicher als einem Boxer und ließ seinen Vater und Trainer Herman reden. Der erzählte von den Hobbys (Football, Curry-Huhn, Vanilleeis), seinem Geburtsland (Französisch- Guyana) und den Geschwistern (fünf Brüder, vier Schwestern). Harris sagte auch noch etwas. Irgendeiner wollte wissen, ob er Urkal k.o. schlagen werde. Da blinzelte Harris und sagte: „Das wird Gott entscheiden.“ Gott hatte ja auch entschieden, dass er bei der Schießerei ungeschoren davonkommen sollte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false