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Sport: Gratwanderung mit Höchstgeschwindigkeit

Wenn Formel-1-Teams unter Druck geraten, riskieren sie alles – bis hin zum Motorschaden

Die große Rauchwolke in Suzuka, die Michael Schumachers Hoffnungen auf seinen achten WM-Titel in der Formel 1 nahezu vollständig beendete, sie schockierte die Fans des siebenmaligen Weltmeisters vor allem deshalb, weil sie dieses Bild schon seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen hatten. Seit sechs Jahren, seit dem Grand Prix von Frankreich in Magny Cours am 2. Juli 2000, war Schumacher in seinem Ferrari nicht mehr mit einem Motorschaden ausgefallen. Bis Sonntag, bis zum Großen Preis von Japan, bis zum vorletzten Rennen dieser Saison. In zwei Wochen findet der Saisonabschluss in São Paulo statt, und dort wird wohl Fernando Alonso in seinem Renault wieder Weltmeister.

Ausgerechnet jetzt also dieser Motorplatzer, was für ein Timing. Ferrari-Sportchef Jean Todt konnte in Suzuka die Gründe für den Motorschaden nicht benennen. „Wir müssen den Motor im Werk genau analysieren.“ Ein langjähriger Formel-1-Ingenieur sagt: „Es kann reiner Zufall sein, es kann aber auch mit dem Druck zusammenhängen, unter dem Ferrari stand.“ Alonso und Schumacher waren vor dem Rennen punktgleich. Der Druck, ein wichtiges Stichwort. Defekte passieren nun einmal besonders oft, wenn die Belastung am höchsten ist. Vor fünf Wochen in Monza hatte es Alonso erwischt. Er fiel bei seiner verwegenen Aufholjagd aus. Der Spanier stand nur auf dem zehnten Startplatz, weil er strafversetzt worden war. Er hatte beim Qualifying angeblich den Ferrari-Piloten Felipe Massa blockiert.

Jeder Motor hat seine Reserven. In diesen Bereich geht ein Team nur, wenn die Situation es dazu zwingt. Denn diese Zone ist risikoreich. Im Normalbetrieb haben Ferrari-Motoren rund 19 000 Umdrehungen, bei McLaren-Mercedes liegt die Zahl sogar bei rund 20 000. In diesen Bereichen sind die Motoren lange Zeit belastbar. Doch wenn ein Auto zumindest kurzfristig schneller laufen soll, dann muss die Drehzahl erhöht werden. Ein Fahrer wie Schumacher hat am Lenkrad selber die Möglichkeit, die Drehzahl zu erhöhen. Wie hoch die sein darf und wie lange ein Motor die Zusatzbelastung aushält, ist die spannende Frage. Ein Fehler, und der Motor geht kaputt. Das absolute Limit lässt sich auch in der Formel 1 nicht ganz genau bestimmen. Es gibt zwar Drehzahlzeitdiagramme, aber die Ergebnisse vom Prüfstand lassen sich nicht hundertprozentig auf eine Strecke mit ihren verschiedenen Witterungsbedingungen übertragen.

Ferraris Technikchef Ross Brawn sagte in Japan zwar: „Alle Telemetrie-Daten waren o.k.“ Aber Renaults Motorenchef Denis Chevrier gab nach dem Rennen zu: „Wir waren schon am absoluten Limit.“ Er war sichtlich stolz darauf, dass der Motor der Belastung diesmal standgehalten hatte. „Und Fernando hat ja auf Michael ständig Zeit gutgemacht, und er war sicher noch stärker, als man bei Ferrari erwartet hatte. Also mussten die auch reagieren.“

Schumacher hatte zwar knapp fünf Sekunden Vorsprung auf Alonso, trotzdem konnte er nicht auf Sicherheit fahren. Vor allem, weil Ferrari natürlich registrierte, dass der Vorteil durch die Bridgestone-Reifen immer stärker nachließ, je mehr die Streckentemperatur durch die aufziehenden Wolken zurückging.

Die größten Möglichkeiten, im Risikobereich einen Vorteil herauszuschlagen, gibt es allerdings nicht in einem Rennen, sondern im Qualifying. Dann muss der Motor nur kurzzeitig extrem belastet werden. Zum Beispiel kann man einen Teil des Kühlwassers durch eine leichtere, unterkühlte Flüssigkeit ersetzen. Das Auto wird dadurch leichter und schneller, allerdings besteht die Gefahr, dass der Motor verglüht. Und in jedem Boliden gibt es auch ein Notfallprogramm. Das schaltet sich ein, wenn zum Beispiel im Motor Probleme auftauchen. Dann kann der Fahrer zwar nicht mehr mit Höchstgeschwindigkeit rasen, aber er kommt zumindest ins Ziel. Jedenfalls dann, wenn die Probleme nicht zu groß sind. Wenn allerdings zum Beispiel ein Ventil einen Kolben berührt, dann nützt auch das beste Notfallprogramm nichts. Dann platzt ein Motor.

Alonso hat vor dem letzten Rennen zehn Punkte Vorsprung auf Schumacher. Er muss in São Paulo kein Risiko mehr eingehen. Und damit ist ein technischer Defekt, bedingt durch Risikobereitschaft, fast auszuschließen. Ein bestens gelaunter Alonso verkündete deshalb am Sonntagabend: „In Interlagos werden wir nicht die stärkste Motorenentwicklungsstufe einsetzen, sondern mit Sicherheit die zuverlässigste, die wir haben.”

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