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Sport: Große Augen

Die deutsche Nationalmannschaft trifft bei der Fußball-Europameisterschaft auf schwere Gegner: Holland, Lettland und Tschechien

Lissabon. Man hat Rudi Völler schon lockerer erlebt als im Atlantik-Pavillon von Lissabon, dennoch wirkte der deutsche Teamchef vorbereitet auf den Ernstfall. Es hätte bei der Auslosung zur Fußball-Europameisterschaft 2004 kaum schlimmer kommen können. Bereits beim Auftaktspiel gegen Holland trifft die deutsche Nationalmannschaft auf einen Titelkandidaten, vier Tage später wartet in Portos kleiner Arena der geheimnisvolle EM-Neuling Lettland, bevor es dann in Lissabon zum Duell mit der neuen Fußball-Großmacht Tschechien kommt. Die Herren Nedved, Rosicky und Koller zählen neben den Franzosen zum stärksten, was Europas Fußball derzeit zu bieten hat.

Sicherlich wäre es Völler lieber gewesen, wenn Portugals Fußball-Idol Eusebio die Kugel mit dem Zettelchen Deutschland etwas früher aus Topf zwei gezogen hätte. Völler hätte dann seinen ehemaligen Ausbilder Otto Rehhagel und dessen Griechen getroffen, dazu die zuletzt launischen Russen und eine Gastgebernation, deren Stärke sich erst noch erweisen muss – in einem solchen Feld hätte sich der dreimalige Europameister womöglich durch die Vorrunde mogeln können.

Ein solcher Begriff aber verbietet sich bei den Gegnern von Gruppe D automatisch. Zwar würden im Sommer noch manche große Augen machen, warnte Völler schon mal die Vertreter jener Nationen, die ihr Team bereits im Viertelfinale sehen. Womöglich überkommt diese Einsicht auch noch Völlers Chef. Der DFB-Präsident Mayer-Vorfelder hat oft genug das Erreichen des Halbfinales verlangt. In Lissabon hat der Multi- Funktionär Mayer-Vorfelder das Ziel wenigstens etwas relativiert: „Wenn du diese Vorrunde überstehst, kannst du auch ins Halbfinale kommen.“ Vor allem gegen die Holländer, schwant dem DFB-Chef, werde es sehr schwer. „Falls die noch einmal so Gas geben wie im Play-off-Spiel gegen die Schotten“. 6:0 gewannen die Niederländer vor knapp zwei Wochen.

Auch Völler hat imponiert, wie die Niederländer zuletzt ihre alte Klasse und neuen Schwung entdeckt haben; allerdings dürfe das nicht so weit führen, „dass wir die Holländer und die Tschechen zu stark reden“. Die Frage, wer vor wem mehr Respekt hat, lässt sich im Falle der Holländer schon in dieser Woche beantworten. Das für den 18. Februar in Rotterdam terminierte Freundschaftsspiel wird nach einem Telefonat der beiden Verbandspräsidenten wohl abgesagt. MayerVorfelder und Völler hätten den Ernstfall mit dem Erzrivalen gerne getestet, den Holländern aber scheint das sportliche und psychologische Risiko momentan zu hoch.

Mit dieser Debatte hat schneller als erwartet der Countdown zur EM begonnen. Neben den beiden Weltklassegegnern brachten die Loskugeln noch eine dritte schlechte Nachricht für die Deutschen. Die Vizeweltmeister müssen in ihrem Golf-Hotel an der Algarve drei Tage lang zuschauen, wie das Turnier Tempo aufnimmt. „Nichts ist schlimmer als auf den ersten Einsatz zu warten“, sagte Völler. Für ihn war das 8:0 gegen Saudi-Arabien zum Start der letzten WM in Japan die Grundlage dafür, dass seine Mannschaft danach vier Wochen lang so gut mit der Atmosphäre in Fernost klargekommen ist.

Aus dieser Erfahrung bezieht der Teamchef seine Zuversicht. In dem Interview-Marathon durch das Medienzentrum wiederholt Völler deshalb einen Satz: „Wir dürfen uns nicht verstecken.“ Nach seiner Einschätzung steht die Mannschaft, die ganz nebenbei auch noch die Blamage korrigieren soll, die seinem Vorgänger Erich Ribbeck mit dem Ausscheiden in der Vorrunde bei der EM vor vier Jahre widerfahren ist, ein Stück besser da als in den Vorstellungen der Kritiker. Völler rechnet mit der Rückkehr vieler routinierter und noch verletzter Spieler wie Hamann, Frings oder Metzelder.

Außerdem glaube er an das Potenzial der jungen Spieler, „die zuletzt gute Leistung gebracht haben und sich mit der Erfahrung noch steigern werden“. In erster Linie waren damit die Stuttgarter Talente Kuranyi, Hinkel und Lahm gemeint. Als Völler darüber sprach, guckte er nicht nur ernst, sondern fast aggressiv. Er scheint überzeugt von seiner zweiten Turnier-Mission. Und es scheint ihm zu gefallen, Vorurteile zu widerlegen.

Martin Hägele

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