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Heiner Brand beim WM-Triumph 2007 im eigenen Land.

© dpa

Große Handball-Momente: Heiner geht noch

Heute ist er Trainer der Nationalmannschaft, früher führte Heiner Brand das bundesdeutsche Team schon zum WM-Titel. Auch die DDR glänzte bei manchem Turnier – eine Rückschau auf große Momente.

1978, Die Krönung des Magiers

Am Ende sind sich auch die Deutschen sicher, dass ihr Trainer über magische Kräfte verfügt. Vlado Stenzel, der jugoslawische Trainer der deutschen Nationalmannschaft hat in Dänemark die Gesetzmäßigkeiten seines Sports außer Kraft gesetzt. Denn Ende der 70er Jahre ist der Handball noch vornehmlich eine geschlossene Gesellschaft der Ostblockstaaten. Kaum jemand zweifelt am Turniersieg der Sowjetunion, die 1976 Olympiasieger geworden ist. Und auch in Deutschland setzt man eher auf die DDR als Finalteilnehmer. Die bundesdeutsche Nationalmannschaft ist nur Außenseiter.

Doch der 43-Jährige Exzentriker überrascht Fachwelt und Gegner mit einer Auswahl weitestgehend Namenloser, die erst unter ihm zu Weltklassespielern reifen. Mit Heiner Brand, der schon damals seinen markanten Walrossschnauzer trägt, Joachim Deckarm oder Torwart Manfred Hofmann hat der „Magier“ jene Zauberschüler um sich geschart, die er für seinen Coup braucht.

Er vermittelt seiner Mannschaft einen unerschütterlichen Glauben an die eigene Stärke. Und setzt dabei vor allem auf den Willen und Kampfkraft. Im Finale von Bröndby treffen diese deutschen Primärtugenden jedoch auf den kühlen Systemhandball der sowjetischen Roboter. Die Russen führen schnell, scheinen immun zu sein gegen Stenzels Zauber, bis der Jugoslawe ein letztes und entscheidendes Mal in seinen Taktikzylinder greift. Er bringt Dieter Waltke, der sofort drei Tore in Folge erzielt. Die Roboter sind kaputt. Deutschland gewinnt 20:19.

„Es war auch ein Triumph des Westens über den Kommunismus“, wird Stenzel später sagen. Nach dem Abpfiff tollt der spätere Bundestrainer Heiner Brand ausgelassen über das Parkett. Und der Magier trägt eine goldene Pappkrone, die ihm von einem Anhänger aufgesetzt wurde. Dass die DDR immerhin Dritter wird, findet nur wenig Beachtung. Stenzel ist für diese eine Nacht der König von Dänemark. Und herrscht allein.

1982, Das Kollektiv schlägt zurück

Deutschland steht als Titelverteidiger vor eigenem Publikum von Beginn an unter besonderer Beobachtung. Die Spieler, in Dänemark eher noch talentierte Himmelsstürmer, sind gereift, verfügen über mehr Erfahrung und sollten, so die öffentliche Meinung, deshalb eigentlich noch stärker sein, als vier Jahre zuvor.

Der Turnierauftakt wird demenstsprechend von Gerüchten über angebliche Prämienzahlung im Falle der erfolgreichen Titelverteidigung begleitet, die in großen Lettern über den heimischen Boulevard wabern. 20 000 D-Mark soll es geben, was allerdings vom damaligen DHB-Präsidenten Bernhard Thiele als „Wunschdenken“ abgetan wird. Die Nebengeräusche aber erweisen sich als störend. Das erste Spiel gegen Kuwait gerät noch standesgemäß und auch Tschechien wird, wenn auch nur mit einem Tor Vorsprung, besiegt.

Doch in der Neuauflage des Endspiels von Bröndby offenbart die Sowjetunion die Schwächen der deutschen Mannschaft und deutet darüber hinaus bereits an, dass ihr Kollektiv nach dem Aussetzer in Dänemark nun wieder mit der Präzision eines Uhrwerks in Richtung Titel rollt. In der Hauptrunde unterliegt Stenzels Team schließlich der DDR mit 16:19 und beendet das Turnier noch hinter dem Nachbarn auf Platz sieben.

Stenzel ist gescheitert und wird wenige Wochen später entlassen.

1990, Abgang ohne Beifall

Zehn Jahre nach dem Olympia-Sieg in Moskau 1980 bietet die Weltmeisterschaft in der Tschecheslowakei die Bühne für den letzten Auftritt der DDR. In Abwesenheit des großen Bruders, der zu dieser Zeit durch die Niederungen der B-WM irrlichtert, vertritt die Mannschaft von Trainer Klaus Langhoff im Einheitsjahr 1990 zudem alleine die deutschen Farben. Und enttäuscht.

Durch eine vermeidbare Niederlage gegen das bis dahin sieglose Island schließt die DDR ihre Hauptrundengruppe nur als Vierter ab. Dabei wäre bei einem Turnier, das sich für den Zuschauer wenig attraktiv vor sich hinschleppte, durchaus auch eine höhere Platzierung in Reichweite gewesen. Nur ist der Glanz früherer Tage verblasst.

Die Mannschaft verabschiedet sich als Achter aus der Tschecheslowakei und löst sich wenig später in den Zeitläuften deutsch-deutscher Politik auf. Die nachhaltige Zersplitterung des Ostblocks im Welthandball wird von der Finalniederlage der bis dahin unbesiegbar scheinenden Sowjetunion gegen Schweden unterstrichen. Der abwesende Bundestrainer Horst Bredemeier kommentiert aus der Ferne: „Bei dem Niveau dieser Weltmeisterschaft hätte die DHB-Auswahl auch eine reelle Chance gehabt, ganz oben mitzuspielen.“ Doch erst 1993 darf sich die gesamtdeutsche Handballnationalmannschaft wieder mit der Elite messen. Und wird bei der WM in Schweden immerhin Sechster.

2001, Die Hölle von Albertville

Mittlerweile ist Heiner Brand, einer der Helden von Bröndby, Nationaltrainer. 1997 hat er die er die deutsche Nationalmannschaft am Boden liegend übernommen und unter Rückbesinnung auf die von Vlado Stenzel vermittelten Elementarteilchen des Mannschaftssports zurück an die Schwelle zur Weltspitze geführt. Deutschland ist auf dem von Brand bereits betanzten internationalen Parkett wieder salonfähig. Und hatte bereits zwei Jahre zuvor in Ägypten nachhaltig auf sich aufmerksam gemacht. Obwohl Welthandballer Daniel Stephan kurz vor Beginn des Turniers verletzt ausfällt, erreichte Brands Mannschaft in Ägypten den fünften Platz. Mit Spielern wie Markus Baur, Christian Schwarzer oder Stefan Kretzschmer, die zu Schlüsselfiguren eines für den deutschen Handball goldenen Jahrzehnts werden sollten. Sie bilden nun auch das Korsett der Mannschaft, die in Frankreich insgeheim nach dem Titel schielt. Auch, weil sie mit Torsten Jansen, dem Kunstschützen Florian Kehrmann und Keeper Henning Fritz noch einmal generalüberholt worden ist.

Die Gruppenphase beendet Deutschland als Zweiter hinter Spanien und trifft nach einem Zittersieg über Tunesien im Viertelfinale auf Gastgeber Frankreich und seinen überragenden Spielmacher Jackson Richardson, der in diesem Duell noch eine für Deutschland tragische Hauptrolle spielen soll. Es wird ein dramatisches Spiel, eines der besten des gesamten Turniers. Die junge deutsche Mannschaft kratzt bei ihrer Reifeprüfung in der „Hölle von Albertville“ lange an der Sensation, führt Sekunden vor dem Ende der regulären Spielzeit mit 22:21. Torwart Henning Fritz ist sich, mit Blick auf die Uhr, bereits sicher, „dass wir gewinnen.“ Doch Jackson Richardson, den die Franzosen nur Black Jack nennen, erzwingt mit einem Zaubertor noch die Verlängerung, in der sich Frankreich schließlich gegen die demoralisierten Deutschen durchsetzen kann. Deutschland wird nur Achter. Und doch ist das Trauma von Albertville ein entscheidender Kilometerstein in der Entwicklung der späteren Weltmeisterelf.

2007, Deutschland, ein Wintermärchen

Heiner Brand hat die Kanzlerin am Telefon. Sie will, wie so oft, als erste gratulieren. Im Namen eines ganzen Landes, das den Handball in diesen Wochen als wunderbare Füllmasse für die Partylöcher zwischen den Fanmeilensommern des Fußballs entdeckt hat. Deshalb also ruft die Kanzlerin von ihrer Nahost-Reise an. Nur versteht Heiner Brand kein Wort.

Er steht in der Kölnarena und wird von der Akustik des Triumphes geschluckt. 19 000 Menschen feiern die deutsche Handballnationalmannschaft. Aus den Boxen der Kölnarena schallt „Wenn nicht jetzt, wann dann.“ Das Lied der Kölner Thekenband „Die Höhner“, ist in den zwei Wochen des Turniers zur Soundtrack eines Wintermärchens geworden, das so kaum zu erwarten war.

Denn Deutschland geht trotz des Heimvorteils eher als Geheimfavorit in das Turnier. Kroatien und die Franzosen, als amtierender Europameister, gelten als übermächtig. Mit den Fans im Rücken, die ihre schwarzrotgeile Kostümierung von 2006 wieder aus der Kiste geholt haben, steigert sich die Mannschaft jedoch mit jedem ihrer Spiele, deren Dramaturgie sich zunehmend in Herzinfarktnähe bewegt. In der Hauptrunde kämpft sie Island und Slowenien nieder.

Und überrennt, angeführt von einem völlig entfesselten Michael Kraus, selbst die überraschten Franzosen, dich sich jedoch mit ihren Weltstars Nikola Karabatic und Daniel Narcisse im Halbfinale erneut in den deutschen Weg zum Titel stellen. Nachdem sie gegen die Kroaten neues Selbstvertrauen tanken konnten.

Heiner Brand und seinen Spielern gelingt hier dennoch die endgültige Revanche für Albertville. Sie besiegen Frankreich in einem Nervenspiel, das einen großen Teil der Zuschauer schnappatmend in die Sitze drückt. Diesmal hat Deutschland das Glück auf seiner Seite, siegt mit 32:31 nach Verlängerung.

Das Projekt Gold steht kurz vor dem Abschluss. Im Finale wird Gegner Polen von der deutschen Euphoriewelle aus der Halle gespült. 29:24 schreit die Anzeigenwürfel. Deutschland ist Weltmeister.

29 Jahre nach dem letzten Titelgewinn gelingt Heiner Brand auch die Krönung als Trainer. Und die Mannschaft verneigt sich vor dem Mann, dessen Handschrift sie so unübersehbar trägt, auf ihre Art. Weil Brand sich, anders als nach dem Gewinn der Europameisterschaft 2004, diesmal nicht den mittlerweile ergrauten Schnauzer abrasieren will, kleben sich die Spieler das Erkennungszeichen des Trainers ins Gesicht. Dazu tragen sie goldene Pappkronen. Wie Stenzel 1978.

Es ist die vorerst letzte magische Nacht des deutschen Handballs.

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