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Schneller kommt man weiter. Der Australier Sekope Kepu (links) umkurvte im Viertelfinale den Südafrikaner Francois Louw. Nun warten die WM-Gastgeber. Foto: Reuters

© REUTERS

Sport: Großer kleiner Bruder

Bei der Rugby-WM in Neuseeland fiebern die Gastgeber auf das Halbfinal-Duell mit Australien hin

Eigentlich sind es nur zwei Flugstunden von Sydney nach Auckland, Australier und Neuseeländer sind Nachbarn. Am Sonntag aber wird sich zwischen den „Vettern von down under“ ein weit größerer Graben auftun, als nur die tasmanische See. Dann nämlich stehen sich bei der Rugby-Weltmeisterschaft in Neuseeland die einheimischen All Blacks und die Wallabies aus Australien im Halbfinale gegenüber. Gar nicht auszudenken, wenn die Neuseeländer gewinnen sollten. Doch erst recht nicht, wenn sie verlieren würden.

Das Halbfinale gilt vielen Fans als das vorweggenommene Endspiel. Welches Team auch immer das europäische Halbfinale zwischen Frankreich und Wales gewinnt, gilt im Endspiel eine Woche später als Außenseiter gegen den Finalisten von der Südhalbkugel. Nur einmal hat bisher ein Team aus der nördlichen Hälfte des Erdballs gewonnen, das waren die Engländer, die dieses Jahr aber bereits im Viertelfinale ausschieden. Das interessiert auf der anderen Seite der Welt aber schon praktisch niemanden mehr.

Vor allem in Neuseeland gibt es derzeit nur noch ein Thema, kaum einer der gut vier Millionen Einwohner, der den einheimischen Rugbyriesen nicht die Daumen drückt. In Neuseeland hat die Sportart nahezu mystische Bedeutung, ein All Black zu sein ist der Traum fast jeden kleinen Jungens auf den beiden Inseln im südlichen Pazifik und zudem auch in vielen anderen Inselstaaten wie Tonga, Fidschi und Samoa. In Australien dagegen wird Rugby nicht die gleiche Bedeutung eingeräumt, es wird hauptsächlich in den Bundesstaaten New South Wales und Queensland gespielt. Ein Duell mit dem kleineren Nachbarn führt aber auch hier zur Hysterie, und so sitzen auch nicht eingefleischte Fans am Sonntag (live um 14 Uhr bei Sport 1) vor den Fernsehgeräten. Ganz abgesehen von den fast 400 000 Neuseeländern, die in Australien leben und dort ihr Geld verdienen.

Über den psychologischen Hintergrund des Spiels wird derzeit viel gesprochen und geschrieben. Das „kleine-Bruder-Syndrom“ plagt nach australischer Ansicht die Neuseeländer, während sich diese eher über die Arroganz der Australier beschweren. Tatsache ist, dass die All Blacks im Durchschnitt zwei von drei Länderspielen gegen die Australier gewinnen – nur eben nicht bei Weltmeisterschaften. 1991 und 2003 scheiterten sie jeweils im Halbfinale an Australien, was dort eine Welle von Hohn und Spott auslöste. Allerdings haben auch die Gastgeber eine Serie auf ihrer Seite: Seit 1986 haben die Australier kein Spiel im Eden Park gewonnen, dem Stadion in Auckland, in dem mehr als 60 000 Zuschauer die Partie verfolgen werden. Und seit 17 Jahren sind die All Blacks dort nie als Verlierer vom Platz gegangen. Die Buchmacher sind ebenfalls auf der Seite der Neuseeländer, nur 1,35 Dollar gibt es für einen Wetteinsatz von einem Dollar; sollten die Australier siegen, müssten sie mehr als drei Dollar auszahlen. Also eigentlich alles klar für die mächtigen Männer in Schwarz?

Eigentlich schon, sollte man denken, aber da sind die Zweifel, die vor allem von den Australiern geschürt werden. Brav erklärte jeder australische Spieler vor der Presse, dass ihre Gegner die Favoriten seien, eigentlich kaum zu schlagen. Aber fast im selben Atemzug schoben sie nach, dass der Druck natürlich enorm hoch sei. Die gesamte Rugby-Welt und insbesondere die Neuseeländer würden den zweiten Titel für die Einheimischen erwarten. Und das sei natürlich schwer zu verkraften, sagten die Spieler – und schauten dabei so harmlos in die Runde wie eben möglich. Den Australiern soll ausgerechnet ein Neuseeländer helfen, das Unmögliche möglich zu machen, ihr Coach Robbie Deans hatte sich einst vergeblich um den Chefposten zu Hause beworben und versucht nun seinem Heimatland ein Schnippchen zu schlagen.

In den australischen Zeitungen versuchen Leserbriefe derweil die Gemüter zu beruhigen und weisen auf die gemeinsame Geschichte mit Neuseeland hin. In beiden Weltkriegen habe man schliesslich Seite an Seite miteinander gekämpft. Und ausserdem ginge es ja nur um ein Rugbyspiel. Von wegen!

Alexander Hofmann[Sydney]

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