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Langer Schatten. Die groß gewachsene Abwehr der Deutschen um Finn Lemke (2. v. l.) flößt bei der EM den Gegnern Respekt ein.

© imago/HochZwei/International

Handball-EM: Abwehrspieler Finn Lemke ist die große Entdeckung

Die Abwehr der deutschen Handball-Nationalmannschaft steht bei der EM wie ein Turm – mit Finn Lemke als großer Entdeckung.

Abgesehen von ganz kurzen Unterbrechungen steht Carsten Lichtlein jetzt schon seit 15 Jahren im Tor der Handball-Nationalmannschaft. In dieser Zeit hat der Keeper entsprechend viele Vorderleute kommen und gehen sehen, an zwei von ihnen erinnert er sich aber besonders gern: Volker Zerbe mit seinem Gardemaß von 2,11 Metern und Mark Dragunski, der sogar noch drei Zentimeter größer ist. „Wenn die beiden vor mir in der Abwehr standen, war es komplett dunkel“, erinnert sich Lichtlein mit einem Augenzwinkern. „Als Torhüter war das immer ein gutes Gefühl“, sagt der 35-Jährige: „Und jetzt habe ich dieses Gefühl wieder.“

Die Zerbes und Dragunskis der Neuzeit, sie heißen Hendrik Pekeler, Erik Schmidt und Finn Lemke, sind zusammen gerade einmal 70 Jahre alt und 6,17 Meter groß. Bei der Handball-EM in Polen waren die drei Türme bislang maßgeblich daran beteiligt, dass sich das deutsche Team nach dem ersten von drei Hauptrundenspielen gegen Ungarn am Freitagabend (29:19) weiterhin Halbfinalchancen ausrechnen darf.

Mit einem Sieg heute gegen Russland (18.15 Uhr/ARD) kann sich die Auswahl des Deutschen Handball-Bundes (DHB) das Recht verdienen, am Mittwoch ein echtes Endspiel gegen Vize-Europameister Dänemark um die Runde der letzten Vier bestreiten zu dürfen. „Wir haben uns von Spiel zu Spiel gesteigert, das gibt uns Selbstvertrauen“, sagt Bundestrainer Dagur Sigurdsson, „und unsere Abwehr hat sich von Spiel zu Spiel gesteigert.“

Dass Pekeler und Schmidt den Mittelblock zusammenhalten können, hat sich bereits vor einem Jahr gezeigt, bei der WM in Katar. Mit Lemke hat ihnen Sigurdsson nun einen weiteren Spezialspieler an die Seite gestellt, der neben Torhüter Andreas Wolff zu den großen Entdeckungen des Turniers gehört.

Trotz seiner Größe hat der Bremer bislang durch erstaunliche Beweglichkeit und eine überragende Beinarbeit überzeugen können – jedenfalls in der Defensive. Im Angriff hält sich Lemke noch zurück, zwei Turnierreffer stehen zu Buche. Das entspricht allerdings der Ansage von Sigurdsson, der in Lemke für den Moment einen reinen Zerstörer sieht. „Es ist jetzt aber nicht so, dass ich gar nicht aufs Tor werfen soll oder darf“, sagt der Mann vom SC Magdeburg, „aber meine Konzentration liegt eindeutig auf der Defensive.“ Vorne vertraut der Bundestrainer anderen Spezialkräften; nach Ballgewinn sprintet Lemke stets zur Ersatzbank, klatscht ab – und regeneriert bis zum nächsten Angriff des Gegners. Das mag auf Dauer ziemlich eindimensional sein, in jedem Fall war es bisher aber zielführend.

„Ich weiß, dass es eine langweilige Antwort ist, aber mir ist total egal, wo ich spiele“, sagt Lemke darauf angesprochen: „Hauptsache, ich kann der Mannschaft helfen.“ Und genau das entspricht nach allen Eindrücken aus Breslau auch dem Leitmotiv dieser jungen deutschen Mannschaft, die gerade richtig zusammenwächst – aber auch individuell erstrahlt. Lemke ist gewissermaßen ihr Drecksack: hochemotional, giftig, aggressiv. Einer, der dazwischenhaut und dem Gegner Respekt einflößt. „Wenn die Abwehr eine gute Aktion hatte, gibt Finn seinem Gegenspieler auch gern noch einen Spruch mit“, sagt Alexander Haase. „Das ist genau das, was wir sehen wollen“, ergänzt der Co-Trainer, „wir wollen Bad Boys sein.“

Mit Lemkes Auftreten fernab des Feldes passt das so gar nicht zusammen. Da gibt sich der 2,10-Meter-Mann zurückhaltend, ohnehin hat er eine ausgeprägte soziale Ader. Lemke arbeitet unter anderem ehrenamtlich in einer Behindertenwerkstatt und studiert nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann neuerdings Soziale Arbeit. „Handball ist mein Ausgleich“, sagt er, „da kann ich alles rauslassen.“

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