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Sport: Helm ab zum Kampf

Zwei Weltverbände streiten im Taekwondo um die wahre Lehre – die Traditionalisten treffen sich erstmals in Deutschland zur WM

Berlin - Man kennt das aus Filmen, hier aber ist alles echt: Eine junge Frau nimmt Anlauf, zieht das angewinkelte linke Bein hoch und reißt aus dem Sprung den rechten Fuß schnurgerade über die eigene Kopfhöhe. Ein kurzer Knall – und das in einem Apparat eingespannte zwei Zentimeter starke Brett zerbricht unter dem Schlag mit dem Fußballen in zwei Hälften. Was für Außenstehende wirkt wie ein Zirkustrick, ist für Taekwondo-Sportler eine simple kinetische Gleichung: Geschwindigkeit plus Masse erhöht die Energie. Und die kann selbst Steine brechen.

Taekwondo ist eine der spektakulärsten ostasiatischen Kampfsportarten. Doch obwohl sich die Zahl der Sportvereine und -schulen seit den Achtzigerjahren in Deutschland rasant vervielfacht hat, wird hierzulande erstmals eine Weltmeisterschaft der International Taekwon-Do Federation (ITF) ausgetragen. An diesem Wochenende kämpfen Sportler aus 63 Nationen in der Dortmunder Westfalenhalle um WM-Gold.

Taekwondo ist eine der jüngsten ostasiatischen Kampfsportarten. Es entstand erst im 20. Jahrhundert. Als Begründer gilt der Großmeister Choi Hong Hi, der von 1918 bis 2002 lebte. In Japan hatte er Karate erlernt; später wurde er inhaftiert, weil er gegen die japanische Besatzungsmacht in Korea einen Umsturz vorbereitete. Nach der Unabhängigkeit 1945 wurde Choi Leutnant der koreanischen Armee und stieg bis zum General auf – seine Schüler nennen ihn noch heute schlicht „den General“. Choi kombinierte die Handkantenschläge aus dem Karate mit den Tritten des traditionellen koreanischen Fußkampfes Taekyon, um eine dem Karate überlegene Kampfkunst zu entwickeln. 1955 fand man den Namen Tae (Hand) Kwon (Fuß) Do (Kunst).

Vom Karate unterscheidet sich das Taekwondo durch dynamische, gesprungene und gedrehte Techniken. Die Vorführungen eines Demonstrationsteams, das 1965 um die Welt reiste, machte die Sportart schlagartig bekannt und überzeugte mit spektakulären Vorführungen, etwa dem Zerschlagen von Ziegeln, viele Kampfsportler aus anderen Disziplinen. Choi, mittlerweile Botschafter in Malaysia, fiel unter der koereanischen Militärregierung in Ungnade und emigrierte 1972 nach Kanada. Die Ausreise des prominentesten Begründers der Selbstverteidigung, der weltweit ein Botschafter koreanischer Kultur war, führte zur ersten tief greifenden Spaltung des Taekwondo. In Südkorea gründete sich der Weltverband World Taekwondo Federation (WTF), Choi leitete von Kanada aus die International Taekwon-Do Federation (ITF), die mitterweile 100 Landesverbände und mehrere Millionen Mitglieder zählt.

Weil er Kontakte zu Nordkorea hielt, wurde die Trennung der Verbände zum Politikum. Es kam zu jahrelangen Feindseligkeiten zwischen beiden Verbänden. Die WTF konnte auf finanzielle Hilfe aus Südkorea bauen, die ITF blieb der weitaus kleinere Weltverband. Beide Verbände entwickelten unterschiedliche Stile: Das WTF-System ist mittlerweile olympische Sportart. Beim Sparring werden Kopfschutz und Schutzweste getragen, Boxhiebe zum Kopf sind verboten. Die ITF-Sportler tragen keinen Helm, dafür Hand- und Fußschutz. Im Freikampf kommen sich die Partner näher, während die im WTF dominierenden Beintechniken die Gegner auf Distanz halten. Die Formen des ITF bauen auf die von Choi Hong Hi in seiner monumentalen Taekwondo-Enzyklopädie festgelegten Bewegungen, die WTF hat den Begründer mittlerweile aus den Annalen getilgt.

Obwohl das Taekwondo sich als ganzheitliche, vom Buddhismus beeinflusste Kampfkunst versteht, entwickelte es sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem modernen Sport. Gekämpft wird in mehreren Disziplinen. Das Laufen so genannter Tuls oder Poomses, also festgelegter Bewegungsabläufe, simuliert wie beim Schattenboxen den Kampf gegen mehrere Gegnern. Dabei kommt es auf Flüssigkeit und Genauigkeit an. Das Brechen dient der Überprüfung von Durchschlagskraft und Schnelligkeit. Beim Spezialbruchtest springen die Sportler über meterweite Distanzen und durchschlagen mit Fuß oder Faust Bretter in mehr als zwei Metern Höhe. Statt Fichtenholzbrettern verwenden sie heute standardisierte Plastikplatten mit Sollbruchstelle. Kämpfe werden im Leichtkontakt ausgetragen: Der Gegner soll nicht k.o. geschlagen werden, es zählen Treffer nach Punkten.

Bei der ITF-Weltmeisterschaft werden dem polnischen Nationalteam gute Chancen eingeräumt, das in den vergangenen Jahren viele Medaillen abräumte. In der deutschen Nationalmannschaft ist die Ärztin Anna Anastassiou (SC Budokan Dortmund) als fünffache Europameisterin im Tul eine aussichtsreiche Medaillien-Anwärterin. Aus Berlin startet Ulrike Wörz (Taekwon-Do Akademie Berlin) in den Disziplinen Spezialbruchtest und Freikampf.

Das nordkoreanische Team fehlt allerdings erstmals bei dieser WM. Nach dem Tode von Choi Hong Hi 2002 in Nordkorea spalteten sich die Nordkoreaner von der ITF ab und wollen unter der Leitung eines IOC-Mitglieds nun zu den Olympischen Spielen vordringen. So ist zu befürchten, dass auch das Taekwondo – so wie im Karate geschehen – in zahlreiche Stilarten zerfällt. Da ist es immerhin ein gutes Zeichen, dass sich Vertreter der unversöhnlich zerstrittenen Weltverbände WTF und ITF vor kurzem zu vorsichtigen Gesprächen trafen – in der neutralen Schweiz.

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