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Sport: Hertha BSC: Ein Rädchen rollt auf die Ersatzbank

Erfolg hat schon manchem die Sinne vernebelt. Das ist im Fußball nicht anders als anderswo.

Erfolg hat schon manchem die Sinne vernebelt. Das ist im Fußball nicht anders als anderswo. René Tretschok aber nimmt für sich in Anspruch, ohne Realitätsverlust durch die vergangenen zwei Tage gekommen zu sein. Tretschok ist offensiver Abwehrkünstler bei Hertha BSC, der Mannschaft, die seit Sonntagabend an der Tabellenspitze der Fußball-Bundesliga steht. Das mag dem einen oder anderen in Berlin zu Kopf gestiegen sein. Tretschok winkt ab: "Das ist zwar eine sehr schöne Sache, aber wir sollten uns deswegen nicht zu sehr brüsten", sagt der 31-Jährige. Was aber nichts damit zu tun hat, dass Tretschok beim überaus glücklichen 1:0-Sieg beim TSV 1860 München nur auf der Bank saß. "Jeder Spieler muss irgendwann mal einsehen, dass er nicht immer spielen kann", sagt Tretschok.

Wer will es den Spielern von Hertha BSC verdenken, am liebsten an diesem Werk weiterbasteln zu wollen. Am Sonnabend kommt Werder Bremen ins Olympiastadion, ein schlagbarer Gegner. "Klar, das haben viele von uns im Kopf." Wäre da nur nicht dieser Arbeitstermin unter der Woche in Wolfsburg. Heute muss Hertha in der niedersächsischen Provinz beim VfL antreten, bloß da gibt es keine Bundesligapunkte zu holen. DFB-Pokal heißt der dazwischen funkende Wettbewerb, der die Berliner vom wesentlichen ablenken könnte. Wer redet schon vom Pokal, wenn es darum geht, die "Momentaufnahme" (Manager Dieter Hoeneß) zu einem Zustand von etwas Dauer zu machen? Von einem Interessenkonflikt möchte René Tretschok aber nicht sprechen: "Wir wollen ja auf drei Hochzeiten tanzen, also Meisterschaft, Pokal und Uefa-Cup. Da können wir nicht sagen, der Pokal interessiert uns nicht. Wir haben einen starken Kader, mit geschickter Rotation lässt sich diese Belastung bewältigen."

Er selbst war in München dem personellen Rotieren zum Opfer gefallen und deshalb nicht unbedingt bester Laune. "Ich bin ein sehr ehrgeiziger Spieler. Das entspricht meinem Naturell", sagt Tretschok. Schon deswegen sei er nur mit Vorsicht zu genießen, wenn er mal nicht spiele. Zum Verständnis: Tretschok war im Sommer 1998 zu Hertha BSC gewechselt und absolvierte in seiner ersten Saison 32 der 34 Bundesligaspiele. Nur Torjäger Michael Preetz und Torwart Gabor Kiraly waren unabdingbarer. In der vergangenen Saison kam Tretschok auf drei Einsätze. Eine seltene Verletzung namens Fersensporn ließ nicht mehr zu. Mit Beginn der laufenden Spielzeit kam Tretschok in die Mannschaft zurück. Trainer Jürgen Röber hatte sich was ganz Besonderes für ihn ausgedacht, nämlich die Position des Abwehrchefs. Tretschok nutzte seine Qualitäten als früherer Mittelfeldspieler und interpretierte die Rolle offensiv. Das zahlte sich vor allem bei Heimspielen aus, wenn er mehrere Tore direkt vorbereitete.

Es war dann ein "kleiner Muskelfaserriss" (Tretschok) in der Wade, der Röber zum Umdisponieren zwang. Der Trainer beorderte Andreas Schmidt auf Tretschoks Position, was sich vor allem in den Auswärtsspielen als günstig erwies. Mit Schmidt wirkte Herthas Abwehr kompakter, was wiederum Röber ins Wanken brachte. Mit der defensiveren Ausrichtung gewannen die Berliner nach drei Auswärtsniederlagen in Rostock und beim TSV 1860. "Andreas hat das sehr gut gemacht", sagt Tretschok, "aber unser Problem in den ersten Auswärtsspielen war, dass noch nicht alle Spieler so defensiv gedacht und gearbeitet haben wie heute."

Für Tretschok war der Muskelfaserriss noch aus einem anderen Grund ein Signal: "Nach der langen Verletzungspause fehlte mir noch die Kraft. Ich kann das einschätzen. Das musste ich erstmal anerkennen." Bis zur Winterpause brauche er noch Spiele, um wieder auf sein übliches Leistungsniveau zu kommen. "Ich bin ein Teil der Mannschaft, ein Rad, das zu funktionieren hat", sagt Tretschok. "Wenn mir der Trainer das richtig gut erklärt, wenn er mir sagt, dass er lieber defensiver spielen und mich daher draußen lassen möchte, habe ich keine Probleme damit." Tretschok sagt das aus einem sicheren Gefühl heraus. "Wissen Sie, ich bin ein hervorragender Mannschaftsspieler, keiner also, der für die Galerie spielt. Ich habe mich dank meiner Leistung überall durchgesetzt. Deswegen werde ich auch spielen."

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