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Hoher Flug, später Absturz. Woronin, Cufre, Simunic und Ebert (v.l.) jubeln im Februar 2009 über ein 2:1 gegen Bayern und die Tabellenführung. Am Ende wird Hertha nur Vierter.

© picture-alliance/ dpa

Höhenflüge in der Bundesliga: Hertha BSC, oh wie war das schön!

Hertha BSC ist derzeit als Fünfter der Bundesliga so erfolgreich wie lange nicht mehr. Wie lange genau? Wir blicken zurück und lernen, dass Konflikte zu Siegen führen können.

1970/71: DAS FURCHTBARE ENDE

Zu Beginn der siebziger Jahre sind die Machtverhältnisse noch nicht so zementiert wie in diesen Tagen. Hertha hat eine großartige Mannschaft, mit dem aus München zurückgeholten Nationalspieler Bernd Patzke, dem riesigen Torhüter Volkmar Groß und dem ungarischen Virtuosen Zoltan Varga, der nach zwei Jahre währender Sperre endlich in der Bundesliga spielen darf. Gleich zur Saisonpremiere biegt die Mannschaft ein 2:3 gegen Kaiserslautern noch zu einem 5:3 um und siegt ein paar Wochen darauf auch 4:2 gegen den späteren Meister Mönchengladbach.

Vor dem letzten Spiel gegen den Abstiegskandidaten Bielefeld ist Hertha mit sicherem Abstand nach oben und unten Dritter. Es ist die bis dahin erfolgreichste Saison seit der Deutschen Meisterschaft 1931, aber sie wird ein furchtbares Ende finden. Als es zur Halbzeit 0:0 gegen die harmlosen Bielefelder steht, rufen die ersten unter den 45 000 Zuschauern im Olympiastadion: „Schiebung, Schiebung!“ Da stürmt Varga in den Presseraum, rennt zu einem Telefon und ruft seine Frau an. „Ist das Geld da?“ – „Nein.“ – „Diese Schweine, sie wollen ohne uns Ausländer kassieren. Aber denen mache ich die Sache kaputt!“ Der Ungar spielt fortan wie aufgezogen, trifft einmal die Latte und wird doch von seinen Kollegen geschnitten.

Später erfährt die Öffentlichkeit, dass Bielefeld viel Geld dafür geboten hat, dass Varga und seine Kollegen möglichst schlecht spielen. 250 000 Mark Schmiergeld waren verabredet, allein 50 000 für Varga, aber der hatte Vorkasse verlangt. Hertha verliert 0:1, ein Geldkoffer wird überreicht, aber schon am nächsten Tag fliegt die Sache auf. Bielefeld wird zum Zwangsabstieg verurteilt und Herthas gesamte Mannschaft gesperrt. An den Folgen des abgekarteten Spiels wird der Verein noch lange leiden.

1974/75: DIE POINTE MIT CRAMER

Platz zwei in der Nach-WM-Saison ist bis heute unerreicht. Es ist ein Erfolg, der aus dem Nichts kommt, ja mit tosenden Sommerstürmen beginnt. Nach dem Abschied des Langzeittrainers Helmut Kronsbein hat Hertha sich die Dienste des weltreisenden Fußballprofessors Dettmar Cramer gesichert. Der Vorstand verspricht ihm ein bisschen mehr, als er tatsächlich halten kann, zum Beispiel die Akquise der Weltmeister Berti Vogts, Uli Hoeneß und Paul Breitner. Als Cramer aber im Juli 1974 zum ersten Mal auf dem Trainingsplatz steht, ist da kein Berti Vogts zu sehen, kein Uli Hoeneß und auch kein Paul Breitner. Noch am selben Abend löst er seinen Vertrag, fährt aber noch mit der Mannschaft ins Trainingslager, wo er seinen Nachfolger Georg Kessler einarbeiten will.

Die Spieler aber haben so großen Gefallen an Cramer gefunden, dass sie spontan Geld sammeln und Kessler auszahlen wollen. Das ist kein schöner Start für den neuen Mann, aber der schert sich wenig um den Vertrauensentzug und macht einfach seine Arbeit. Hertha bleibt zu Hause ungeschlagen und gewinnt 15 von 17 Heimspielen. Der Höhepunkt ist ein 4:1 gegen den FC Bayern. Schon nach neun Minuten verkündet der Stadionsprecher: „1:0 für Hertha, Torschütze Lorenz Horr“, aber Franz Beckenbauer wird ihn später korrigieren: „Das war leider ein Eigentor von mir.“ Ein 19-Jähriger namens Karl-Heinz Rummenigge kann ausgleichen, aber Erich Beer trifft nach Gerd Müllers haarsträubendem Rückpass zum 2:1. Wolfgang Sidka und abermals Beer legen noch zwei nach, kurz vor Schluss verschießt Uwe Kliemann noch einen Elfmeter.

Es gibt da noch eine Pointe zu diesem höchsten Berliner Bundesligasieg über die Bayern. Die Pointe sitzt auf der Münchner Bank und heißt… Dettmar Cramer. Der Mann, der Hertha nach nur einem Tag im Dienst wieder verlassen hat, amtiert bei den Bayern als Nachfolger des entlassenen Udo Lattek.

1977/78: IM SCHATTEN VON CORDOBA

1978 bleibt in Erinnerung als das Jahr, in dem der deutsche Fußball in einer fernen Stadt namens Cordoba von Österreich gedemütigt wird – und Hertha BSC mit einer anständig, aber keineswegs überragend besetzten Mannschaft auf Platz drei der Bundesliga stürmt. Schwer zu sagen, was überraschender kommt. Herthas Trainer Kuno Klötzer definiert Fußball vor allem als Arbeit. Der Erfolg gibt ihm recht.

Zwei Spiele wirken im Vereinsgedächtnis bis heute nach: Da ist zum einen jenes 2:0 vor ziemlich genau 38 Jahren beim FC Bayern, der bis heute letzte Berliner Sieg in München. Die Bayern haben kaum eine Torchance. Herthas Däne Jörgen Kristensen reißt das Münchner Publikum mit seinen Slalomläufen zu Beifallsstürmen hin. Noch heute muss Bernd Gersdorff, Schütze des 2:0, zu diesem Thema Interviews geben. Und erklärt bereitwillig, wie einfach es sein kann, beim FC Bayern zu gewinnen. Gersdorff verewigt sich auch auf dem zweiten Gedenkstein, Hertha platziert ihn zum Beginn der Rückrunde im Frankfurter Waldstadion. Jörgen Kristensen, Holger Brück, Hanne Weiner und Bernd Gersdorff schießen die Tore zum 5:0-Sieg bei der Eintracht, es ist der bis heute höchste Berliner Auswärtssieg in der 52 Jahre währenden Bundesligageschichte. Und wer sitzt beim Gegner als Trainer auf der Bank? Es ist, genau!, Dettmar Cramer.

Kaiserwetter. Im Nebel des Februars 1975 feiern die Berliner Sidka (l.) und Kliemann (2.v.r.) ein Eigentor von Franz Beckenbauer (M). Hertha schlägt Bayern 4:1 und wird am Ende Vizemeister, seitdem unerreicht.
Kaiserwetter. Im Nebel des Februars 1975 feiern die Berliner Sidka (l.) und Kliemann (2.v.r.) ein Eigentor von Franz Beckenbauer (M). Hertha schlägt Bayern 4:1 und wird am Ende Vizemeister, seitdem unerreicht.

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1998/1999: AUFBRUCH NACH EUROPA

Selten war so viel Harmonie bei Hertha BSC wie in dieser zweiten Saison nach dem Wiederaufstieg. Manager Dieter Hoeneß gewinnt den klubinternen Machtkampf gegen Robert Schwan, der dem Aufsichtsrat vorsteht und den populären Trainer Jürgen Röber vor die Tür setzen will. Hoeneß gibt Hertha ein lokales Profil, mit Spielern aus Berlin oder dem Osten Deutschlands. Röber bedankt sich für das Vertrauen und lässt die Mannschaft an der langen Leine spektakulären Angriffsfußball spielen.

Schon vier Spieltage vor Saisonschluss gelingt die Qualifikation fürs internationale Geschäft. Es fügt sich schön in die Symbolik, dass Hertha am selben Tag auch die Verpflichtung des von der ganzen Liga gejagten Sebastian Deisler bekannt gibt. In seliger Feierlaune kommen 76 000 Zuschauer ins Olympiastadion und berauschen sich an einem 6:1 über den Hamburger SV. Michael Preetz erzielt seine Saisontore 21 bis 23, sie bringen dem heutigen Manager die Krone des Bundesliga-Torschützenkönigs ein. Hertha wird Dritter und erreicht zum ersten und bislang einzigen Mal die Champions League

2008/2009: KRIEG UND FRIEDEN

Das Schlagwort für Herthas bis heute letzten ernsthaften Ansturm auf das Establishment liefert Leo Tolstoi. Krieg und Frieden herrschen in Berlin. Hinter den Kulissen bekämpfen sich Klubpräsident Werner Gegenbauer und der omnipotente Manager Dieter Hoeneß, auf dem Platz befriedet die Mannschaft das irritierte Publikum. Romantiker nörgeln über Herthas schnöde Zweckmäßigkeit, über den Mangel an Schönheit und Fantasie. Das ist ein zutreffender und doch ungerechter Vorwurf. Hertha spielt nicht schön, aber aufregend. Mit Intelligenz, Laufbereitschaft und schlauem Defensivmanagement, das den anderen das Gefühl gibt, sie könnten anstellen, was sie wollten, ein Tor würde doch nicht dabei herausspringen.

Im Frühjahr thront Hertha auf Platz eins, besiegt Schwergewichte wie die Bayern und Leverkusen, träumt von der ersten Meisterschaft seit 1931. Am Ende aber stehen zwei Misserfolgserlebnisse. Erst ein 0:0 daheim gegen Schalke 04, nach dem Hertha auch keine theoretische Chance mehr auf den Titel besitzt. Dann zum Finale ein 0:4 beim Absteiger Karlsruhe, in dessen Folge Hertha nur Vierter wird, was damals noch zu wenig ist für einen Platz in der Champions-League-Qualifikation.

Am Ende herrscht Krieg ohne jede Aussicht auf Frieden. Trainer Lucien Favre, der Architekt des unverhofften Aufschwungs, wird aus der Mannschaft heraus angegriffen, weil er in entscheidenden Spielen seinen zuvor verletzten Kapitän Arne Friedrich draußen lässt. Manager Hoeneß muss trotz laufenden Vertrages gehen. Er räumt seinen Platz für Michael Preetz, dem das selten erlebte Kunststück gelingt, der erfolgreichsten Saison des dritten Jahrtausends den direkten Abstieg folgen zu lassen. Fünfeinhalb Jahre später darf er vom nächsten Sturm an die Spitze träumen.

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