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Sport: Hertha BSC: Reine Kopfsache, wenn die Füße nicht wollen

Am Anfang war das Leben für Josip Simunic eine große Kugel. "Der Ball war immer mit mir, solange ich denken kann", sagt Simunic.

Am Anfang war das Leben für Josip Simunic eine große Kugel. "Der Ball war immer mit mir, solange ich denken kann", sagt Simunic. Der Vater hat ihn dabei angestachelt, in Australien, wohin die aus Kroatien stammende Familie ausgewandert war. Zur Belohnung gab es Schokolade, "das war natürlich sehr interessant für mich".

Mit den Jahren bekommen Interessen einen neuen Dreh. Aus dem verspielten Simunic ist ein knapp zwei Meter langer Verteidiger geworden, und sein freundschaftliches Verhältnis zum Ball brachten ihm vor zwölf Monaten eine Anstellung bei Hertha BSC ein. In Berlin hat das kaum einer mitbekommen. Was nicht in erster Linie daran lag, dass er für die kleinen Dinge des Lebens nicht mehr zu haben war. Nur ist heute der Mann mit der Schokolade nicht mehr sein Vater, sondern ein Psychologe.

In den vergangenen zwölf Monaten hat Simunic zu spüren bekommen, wie sich Dinge um einen Fußballprofi zu einer Geschichte verdichten können, die am Ende kaum noch nachzuvollziehen ist. Vor seinem Wechsel nach Berlin stand Simunic auf der Gehaltsliste des Hamburger SV. Mitte 1999 wurde ihm nach einem Mittelfußbruch ein sechs Zentimeter langer Metallstift eingesetzt. Die Kosten der Operation trug er selbst. Nach acht Bundesligakurzeinsätzen wollte Simnumic eigentlich beim HSV verlängern, entschied sich aber dann doch für einen Wechsel nach Berlin zum Ende der Saison 1999/2000. Hamburgs Trainer Frank Pagelsdorf war deswegen derart in Rage geraten, dass er Simunic die weitere Teilnahme am Üben untersagte. Herthas Manager Dieter Hoeneß löste daraufhin seinen neuen Verteidiger für einen sechsstelligen Betrag aus, so dass der kroatische Australier früher als beabsichtigt nach Berlin kam. Als ihn eine Folgeverletzung für ein paar Monate zum Zuschauen verurteilte, "da habe ich mir erst gedacht: Das wird schon, du hast hier doch Zeit." Doch sein eigentliches Problem, das steckte nicht in den Füßen, sondern im Kopf.

Simunic flog für fünf Wochen nach Australien und suchte das Gespräch mit seinem Vater. "Der kennt mich wie kein anderer. Er sagte zu mir: Junge, du vertraust dir nicht. Du glaubst nicht an dein Können und deine Kraft. Warum nur? Setz dir Ziele!" Simunic kehrte nach Berlin zurück. Und mit ihm seine Probleme. Vor Beginn der laufenden Saison schickte Hertha alle Profis zum Laktattest. "Meine Werte waren katastrophal", erzählt Simunic, "und Trainer Jürgen Röber war stinksauer - völlig zu Recht." Von nun an kam er nicht mehr weiter. Seine Kollegen blieben stumm. Nicht einer aus dem Team habe ihn jemals auf seine Situation angesprochen. Simunic stand allein im Kreis und es kamen ihm die merkwürdigsten Gedanken. "Ich habe mich gefragt: Was machst du eigentlich hier? Geh wieder nach Australien. Mach was ganz anderes."

Herthas Trainer Jürgen Röber aber gab ihm ein paar Einsätze in der Bundesliga und im DFB-Pokal, der Erfolg war gering. Simunic fühlte sich zwar wieder körperlich ganz auf der Höhe, doch irgend etwas stimmte nicht. "Mal war es nach 15 Spielminuten so weit, manchmal erst nach 50. Aber in jedem Spiel kam dieser Punkt. Nach dem kleinsten Fehler, der mir unterlief, war alles in mir wie zerstört. Ich hatte kein Selbstvertrauen mehr", erzählt Simunic. "Wenn du im Kopf labil bist, schlägt das auf die Physis zurück. So deutlich war mir dieser Zusammenhang nie gewesen."

Schließlich landete Simunic vor dem Schreibtisch von Manager Dieter Hoeneß. Der riet ihm, einen Mann zu konsultieren, dessen Dienste auch andere im Verein nutzen. Simunic selbst verwendet das Wort Psychologe noch immer nicht gern. Er redet lieber von einem "Sportmotivator, einem, der mir das positive Denken zurückgegeben hat. "Wir gehen irgendwo hin, bestellen etwas und sprechen miteinander." Und wieder sind es Kleinigkeiten, mit denen ihn der Motivator fängt. "Er hilft mir, Zweifel zu überwinden. Er ist dabei, mich umzukrempeln. Ich esse, denke und schlafe anders", sagt Simunic. Jetzt, wo es alle wissen, fällt es ihm leichter darüber zu sprechen. "Hey, selbst Michael Jordan hatte so einen Mann an seiner Seite, in seinen besten Jahren war das." Zuvor hatte ihn die Vorstellung, einen Psychologen aufzusuchen, noch gequält. "Zuerst dachte ich, jetzt werden sie dich hier noch alle für verrückt halten. Heute bin ich unglaublich froh, dass ich hingegangen bin."

Mit seinen 22 Jahren glaubt Simunic zu wissen: "Den alten Spieler Simunic wird es nicht mehr geben. Es wird ein neuer sein, ein besserer und ein stabilerer." Die Psyche ist trainiert. Im Trainingslager in Marbella hat er davon profitiert. Alle drei Testspiele hat er mitgemacht. "Seine Entwicklung freut mich ganz besonders. Denn was der Joe am Ball kann, das bringt sonst kaum einer der Jungs hier", sagt Jürgen Röber. Aller Voraussicht nach wird der Trainer den Abwehrspieler am Sonntag bringen, wenn Hertha das erste Spiel des neuen Jahres bestreitet.

Ausgerechnet beim Hamburger SV.

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