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Sport: Hertha BSC: Wo auch der Busfahrer Meister werden will

Einen Uli Hoeneß in Turnhose kriegt man so oft nicht zu sehen. Señor Vicente Romero schätzt das.

Einen Uli Hoeneß in Turnhose kriegt man so oft nicht zu sehen. Señor Vicente Romero schätzt das. Der Gemüsebauer aus Marbella dürfte im gleichen Alter sein wie der Manager des FC Bayern München. "Ich kenne ihn noch als Spieler", sagt Romero, "er sieht noch ganz gut aus, auch wenn er nicht mehr der Alte ist." Der einstige Stürmer hat mit seinen Bayern neben Romeros Feld ein Trainingscamp bezogen. "Ja, und dann trainieren dort noch zwei holländische Vereine", sagt Romero. Was der Señor nicht wissen muss: Es handelt sich um einen holländischen Verein, Vitesse Arnheim, und um Hertha BSC. Da gibt es auch einen Hoeneß, Ulis Bruder Dieter, aber bis auf den Acker in der südspanischen Provinz hat sich das dann doch noch nicht herumgesprochen.

Unser Señor war auch schon mal gucken. Wann hat man schon mal so viele Millionäre auf einem Haufen beisammen, mehr, als Früchte an seinem Zitronenbaum. Romero kann damit leben. Tag für Tag rumpelt der Bayern-Bus über den buckligen Weg an seinem Feld vorbei hinauf zum Trainingsgelände. Am Mittwoch fliegen die Münchner mal eben rüber zu einem Testspiel nach Tunis. Für heute und Freitag sind im Münchner Mannschaftshotel (Zimmerpreis: 600 Mark) feste Pressetermine anberaumt. Trainer Ottmar Hitzfeld soll kommen, und der eine oder andere Spieler auch. Vorher verrät Hitzfeld schon mal, dass die Bayern ein paar Spieler verpflichtet haben, "die kommen aber erst in zwei Jahren, wir müssen langfristig planen". Namen sind tabu. Dieter Hoeneß ist beeindruckt. "Die Bayern", sagt der Berliner Manager, "sind neben Manchester United der am besten organisierte Verein der Welt." Die Arbeit 30 grundsolider Jahre.

Hertha BSC hat sich auf dem Weg dahin gemacht. Um mal so zu werden, wie die Bayern. "Du musst ja irgendwann anfangen, in diese Richtung zu denken", sagt Dieter Hoeneß. Nein, kopieren will er die Bayern nicht. Der sportliche Abstand konnte in den vergangenen zwei, drei Jahren verkürzt werden, "alles andere kann nur behutsam aufgebaut werden", sagt Hoeneß. Herthas Etat in der Saison 1998/99 betrug rund 40 Millionen Mark. Eine Spielzeit weiter lag der Umsatz um die 100 Millionen. Die Bayern bewegten in der Saison 1999/2000 fast eine Viertelmilliarde. "Wirtschaftlich", sagt Herthas Manager, "liegen Welten zwischen uns." Doch sein Bruder Uli sagt: "Wenn uns in der Bundesliga langfristig einer gefährlich werden kann, dann ist das Hertha BSC."

Für Dieter Hoeneß ist der Klassenunterschied noch in anderen Punkten messbar. "Wissen Sie", erzählt er, "die Mentalität, die beim FC Bayern herrscht, das damit einhergehende Selbstverständnis ist der große Pluspunkt. Ich nenne das mal Leistungskultur, eine, die von Spielergeneration zu Spielergeneration gewachsen ist." Er selbst habe ja jahrelang Tore für die Bayern geschossen, mehr als 100 in mehr als 200 Spielen, acht Jahre lang. "Jeder, wirklich jeder im Verein hat dort diesen Anspruch. Selbst der Busfahrer will der beste der Liga sein. Das hat mich geprägt", sagt Dieter Hoeneß und fügt mit einem Lächeln hinzu: "Wissen Sie noch, wo Hertha war, als ich nach Berlin kam? Wir haben nicht mal einen eigenen Bus gehabt, also brauchten wir auch keinen Busfahrer."

Für Dieter Hoeneß gibt es nur diese eine Zielrichtung. Tag und Uhrzeit sind unbestimmt. "Das zeitlich festzumachen, wäre auch verkehrt", sagte Bernd Schiphorst, Herthas neuer Präsident. Vor zwei Tagen hat das Präsidium in Marbella getagt. Angeblich stehen 20 Millionen Mark für Verstärkungen bereit. Bestätigen will das niemand. "Wir wissen nur", sagt Schiphorst, "dass wir auf diesem Weg nicht viel Zeit verlieren dürfen." Im Sommer soll die geplante Kommanditgesellschaft auf Aktien stehen. "Das ist eine Form der Kapitalbeschaffung", verrät Herthas Schatzmeister Ingo Schiller. "Seien Sie versichert, dass wir unseren Wachstumsprozess fortsetzen werden."

Es spricht für Herthas Entwicklung, dass ähnlich wie bei den Bayern immer wieder Spieler mit dem Verein in Verbindung gebracht werden. Vom Dortmunder Guiseppe Reina ist die Rede, von Victor Agali aus Rostock, ja auch von den Bayern Alexander Zickler und Michael Wiesinger. Gestern geisterte gar der Name des holländischen Stürmerstars Dennis Bergkamp herum. Solche Diskussionen führt Herthas Trainer Jürgen Röber überhaupt nicht gern. "Was wollen Sie? Uns mit den Bayern vergleichen? Pah, das ist doch reine Utopie." Das hat Röber vor dieser Saison gesagt, als er noch nicht ahnen konnte, dass seine Mannschaft vier Spieltage lang an der Tabellenspitze stehen würde, weit vor dem Bayern. "Das sind doch nur Momentaufnahmen", sagt Röber heute.

Visionen schießen keine Tore. Manch einer habe vor lauter Visionen schon den Blick für die Realität verloren, meint Dieter Hoeneß. Er will langfristig am Gesamtwerk Hertha basteln. "Die Bayern", sagt er, "die nehmen uns schon ernst. Da können Sie sich sicher sein." Für den Sonnabend haben sich beide Klubs zu einem Testspiel verabredet. "Das ist das Beste, was man haben kann", sagt Dieter Hoeneß. Und genau dieses Gedankengut versucht er jeden Tag auf neue fortzupflanzen. Irgendwann hat Franz Beckenbauer mal gesagt: "Berlin ist ein schlafender Riese." Guten Morgen, Franz, möchte er dem Präsidenten des FC Bayern entgegenrufen. Der Riese von der Spree ist erwacht, auch wenn er lange noch nicht groß genug ist.

Den Spaniern ist der Unterschied zwischen den Fußballern aus Berlin und denen aus München sehr wohl bewusst. Seit die Bayern in Marbella sind, hat sich einiges verändert. Neuerdings wird das Übungsareal von der spanischen Polizei bewacht, samt ihrer vielen freiwilligen Helfer, die sonst wohl nichts besseres zu tun haben. Also schlagen sie sich am plötzlich heruntergelassenen Schlagbaum die Zeit tot und verteilen an die mitreisenden Journalisten Schildchen mit der Aufschrift "Prensa".

Herthas Isländer Eyjölfur Sverrisson ist noch etwas Anderes aufgefallen. "Die Bayern haben so viel Geld, die haben sich auch die Sonne gekauft." Zuvor hatte es zwei Tage lang wie in Strömen geregnet.

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