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Sport: Hertha BSC: Zwischen Strafraum und Schreibtisch

Marbella, Januar 2001. Michael Preetz hat sich den Magen verdorben.

Marbella, Januar 2001. Michael Preetz hat sich den Magen verdorben. Durchfall statt Fußball unter der Sonne Andalusiens. Plötzlich hat der Kapitän von Hertha BSC Zeit, viel Zeit. Mal abgesehen vom ständigen Drang zur Toilette. Also am besten ins Bett, ein viel zu kurzes für seine Einmeterzweiundneunzig. Und dann ist da auch noch Harry Potter. Die ersten zwei Bände hat Preetz bereits ausgelesen, "Band drei habe ich mit, und vier hat Kostas Konstantinidis am Wickel. Den habe ich angestoßen: Los, lies mal ein bisschen schneller". Und Herthas Grieche liest. Immer schneller. Weil Michael Preetz es so will. Weil man bei Hertha auf Michael Preetz hört.

Zum Thema Bundesliga aktuell: Ergebnisse und Tabellen Bundesliga-Tippspiel: Das interaktive Fußball-Toto von meinberlin.de Acht Monate sind seitdem vergangen, Trainer Jürgen Röber hat den Stürmer Preetz erneut zum Kapitän ernannt. Eine gute Wahl? Ja, weil man bei Hertha nicht nur in Fragen der Lektüre auf Michael Preetz hört. Die Frage ist jedoch, wie lange noch.

Michael Preetz wird demnächst 34. So alt ist kein anderer Spieler bei Hertha. Im kommenden Sommer läuft sein Vertrag aus. Dann wird er sechs Jahre bei Hertha gewesen sein. Es sind die erfolgreichsten Jahre, die er als Fußballprofi hatte. In Wattenscheid, Saarbrücken, Duisburg und Düsseldorf war das anders. Preetz führte Hertha Mitte der Neunziger nach oben, und in der Saison 1998/99 schoss er sich mit 23 Toren zum Torschützenkönig und seinen Klub in die Champions League. "Eigentlich müsste der Michael mir ein Leben lang dankbar sein, dass ich ihn damals angerufen und nach Berlin geholt habe", sagt Jürgen Röber. Zwischendrin wurde Preetz Familienvater und Millionär. Schließlich Jung-Nationalspieler, mit 31. Sein Kindheitstraum. Wirklichkeit für sieben Spiele. In der abgelaufenen Saison war Preetz mit 16 Treffern der beste deutsche Torjäger.

In einem Jahr aber wird er nicht mehr an Toren gemessen werden. Sein Anstellungsverhältnis bei Hertha BSC wird dann ein anderes sein. Der Stürmer wird aus dem Strafraum hinter einen Schreibtisch ins Management des Vereins wechseln. "Ich wusste schon mit 22, dass ich mich um die Zeit nach dem Fußball kümmern muss", sagt Preetz.

So ein Seitenwechsel kann, muss aber nicht geräuschlos verlaufen. Seine Kollegen wissen von seinen Plänen. Seine Akzeptanz litt darunter nie. "Er hat Instinkt", schwärmt Uwe Seeler, der Alt-Internationale. TV-Kritiker Günter Netzer hält "seine Cleverness für das Geheimnis seines Erfolges". Kein Geheimnis dagegen ist die Stellung, die Preetz bei Hertha genießt. "Es gibt Spieler, die brauchen Druck. Ich brauche Sicherheit." Die hat Röber ihm gegeben, denn "ich weiß, was ich an ihm habe. Deshalb werde ich einen Teufel tun, Michael rauszunehmen, wenn er eine schwächere Phase hat."

Beide Aussagen stammen aus einer Zeit, da es noch keinen zweiten stürmenden Brasilianer neben Alex Alves gab. Und keinen Bart Goor. Herthas Neuverpflichtungen für die Offensive ermöglichen herrliche Alternativen für den Sturm. Nicht jedes Spiel wird Hertha mit Alves, Preetz und dem eben in die brasilianische Nationalmannschaft berufenen Marcelinho bestreiten können. "Warum nicht?", fragt Preetz, "wir haben so gegen Spitzenmannschaften gewonnen. Warum sollten wir gegen Cottbus defensiver auftreten?"

Eine Kapitänsbinde wird nicht helfen. Prominentes Beispiel ist Oliver Bierhoff. Statt ins Tor trifft er immer öfter interessante Leute auf der Tribüne im Mailänder Stadion. Nur in der Nationalelf ist er noch der Kapitän. Was Teamchef Völler aber nicht davon abhält, ihn auf der Ersatzbank zu belassen. "Wir sollten die Armbinde nicht überbewerten", sagt Preetz. Eigentlich braucht er die Binde nicht. Er verfügt über eine natürliche Autorität. Preetz ist ein wesentliches Stück Hertha. Er kennt noch die schlimmen Tage in der zweiten Hälfte der Zweiten Liga, als keiner zuguckte. Die sind vorbei. Filmregisseur Volker Schlöndorff sieht in Michael Preetz die "hohe moralische Instanz" des Vereins. "In seiner Integrität kann ihn keiner in Frage stellen", findet der Oscar-Preisträger Schlöndorff, der an einem Dokumentarfilm arbeitet, in dessen Mitte Hertha steht.

Michael Preetz schoss 65 Tore seit dem Aufstieg. Übermäßig beliebt ist er dennoch nicht. "Stolper-König" und "Glücklicher Versager" riefen sie ihm aus der Kurve zu, als er unten mal wieder die Bude nicht traf.

Preetz bleibt Kapitän. "Es gab keine Anhaltspunkte, eine andere Entscheidung zu treffen", sagt der Stürmer. Die Spieler Beinlich, van Burik und Deisler (in dieser Reihenfolge) wurden zu seinen Stellvertretern bestimmt. "Das Wesentliche ist, dass er sich der neuen Situation im Sturm gestellt, sogar noch ein Stück mehr aus sich herausgeholt und sich dem neuen Niveau angepasst hat", sagt Jürgen Röber. Ein anderes Zeichen hat der Trainer bewusst nicht gesetzt, weil es das falsche Signal gewesen wäre. "Für mich ist der Michael da vorn gesetzt." Diesen Status hätte sich Preetz wieder erkämpft. "Im Lauf der Saison kann das dann auch mal anders sein." Bis dahin kann der Stürmer so tun, als wolle er noch zehn Jahre weiter spielen. Preetz sagt: "Natürlich muss ich um meinen Platz kämpfen. Ich möchte ihn behaupten. Das war immer so. Und so wird es bis zum Ende auch bleiben."

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