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Sport: Hier geht Kurt

Hamburgs Trainer Jara ist kaum noch zu halten

Von Richard Leipold

Gelsenkirchen. Wenn das Volk sich den Frust von der Seele pfeift, weiß nicht jeder sofort, wer gemeint ist. Oftmals wollen die Protagonisten es auch gar nicht wissen, oder sie tun wenigstens so. Pfiffe von den Rängen seien manchmal schwer zuzuordnen, sagt Dietmar Beiersdorfer, der Sportchef des Hamburger SV. Beim 0:3 in Schalke blieb für solche Missverständnisse kein Raum. „Die Jara-raus-Rufe gehen ganz klar gegen den Trainer.“ Der Wind bläst dem Übungsleiter, der seit einem Jahr für den Klub arbeitet, heftig ins Gesicht. Um im Bild zu bleiben, wäre sogar eine Sturmwarnung angesagt. Die Krise „schlägt hohe Wellen“, sagt Beiersdorfer. Der Hamburger SV, der Dino der Bundesliga, ist in schwere Wasser geraten.

Der Auftritt in Gelsenkirchen hat Spuren hinterlassen, nicht nur in der Tabelle, wo der Hamburger SV auf dem Weg nach unten nur noch zwei Punkte von einem Abstiegsplatz entfernt ist. „Ich bin nervlich ziemlich angeschlagen“, sagte Werner Hackmann, der Vorstandsvorsitzende. „Ich möchte mich bei den Fans entschuldigen, die von unserer Mannschaft so enttäuscht werden.“

Statt einer Entschuldigung hätte mancher lieber eine Entscheidung – und zwar eine gegen den Trainer. Kurt Jara vermittelt derzeit nicht unbedingt den Eindruck, als wüsste er einen Ausweg. Der Österreicher hat einen Star wie Jörg Albertz ausgemustert und einen Mitläufer wie Bernd Hollerbach dazu. Doch damit ist es offenbar nicht getan. Warum die übrigen Hamburger Spieler auswärts „in der Defensive zu naiv sind“, weiß Jara nicht zu ergründen, obwohl er seit Saisonbeginn reichlich Anschauungsunterricht bekommen hat. Der Hamburger unterlag auf fremdem Boden schon zum vierten Mal „in ähnlicher Manier“, wie Sportchef Dietmar Beiersdorfer es formulierte. „Das zieht sich wie ein roter Faden durch die bisherige Saison.“ In den Heimspielen vermögen „elf Individualisten“, die in Hackmanns Augen keine Mannschaft sind, die stete Abwärtsbewegung allenfalls zu verlangsamen.

Die Partie in Gelsenkirchen schien für die Hamburger Profis spätestens nach einer Viertelstunde gedanklich abgehakt. „Wenn man 0:2 zurückliegt, ist es schwer, gegen Schalke auswärts etwas zu holen“, sagte Jara. Das klang fast wie ein Alibi für das kollektive Versagen seines Personals im weiteren Verlauf. Warum sollten sie sich noch anstrengen, am Ende gar aufbäumen, wenn in Schalke nach fünfzehn Minuten ohnehin alles verloren ist? Am Ende unterlag Jara auch noch einer optischen Täuschung. „Wenn man zu weit vom Gegner wegsteht, sieht es so aus, als ob man nicht kämpfen wollte“, sagte er. In Schalke sah es nicht nur so aus.

Der Präsident spricht ihm fürs Erste das Vertrauen aus. Natürlich habe er Verständnis für die Wut der Fans, eine Trainerdiskussion werde er aber nicht führen, sagt Hackmann, und für einen Augenblick huschte sogar ein Lächeln über sein Gesicht. Ob er noch lachen könne, fragte ein Reporter. „Es gibt noch so etwas wie Galgenhumor“, antwortete der Präsident. Hackmann will sogar eine „gewisse Steigerung“ im Vergleich zum vorangegangenen Auswärtsspiel in Berlin erkannt haben, „auch wenn es ein wenig zynisch klingen mag“. Das Einzige, was die Hamburger in Gelsenkirchen gesteigert haben, war die Zahl der Gegentore.

Schlechter als gegen Schalke geht es nicht, aber alles wird gut. Oder doch nicht? Bevor Werner Hackmann ins Auto stieg und nach Hause fuhr, gab er zu, dass es in seinem Innern „brodelt und kocht“. Auf dem vorläufigen Tiefpunkt erinnert der frühere Hamburger Finanzsenator an einen Wertpapieranalysten, der sich nach starken Kursstürzen nicht festlegen will, ob der Boden schon erreicht ist. Hackmanns Zuversicht klingt arg verhalten. „Man soll nicht sagen, dass es nicht noch schlechter geht."

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