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Hauptquartier der Nazigrößen. Im Olympia-Haus in Garmisch-Partenkirchen residierten 1936 unter anderem Hitler (o.) und seine Adjutanten Goebbels und Göring.

© Imago

Hitler in Garmisch-Partenkirchen: Als Olympia die Unschuld verlor

Den Doppelort Garmisch-Partenkirchen, in dem ab Dienstag die Alpine Ski-WM stattfindet, nutzte Hitler vor 75 Jahren als Bühne für seine Nazi-Propaganda.

Wenn das der Führer wüsste … Dass seit ein paar Tagen im Skistadion von Garmisch-Partenkirchen ein Partyzelt steht, mit Bänken und Tischen, an denen von Montag an bei der Alpinen Ski-Weltmeisterschaft das gemeine Volk verköstigt wird. Direkt vor dem Olympiahaus, wo schon die Granden der Spiele von 1936 tafelten. Als hier noch kein Zelt die Aussicht verstellte, bot der Balkon im ersten Stock einen grandiosen Blick auf die Sprungschanze und die Slalomstrecke am Gudiberg. Joseph Goebbels zählte zu den Stammgästen, Hermann Göring schaute öfter vorbei, und da sich auch Adolf Hitler dreimal die Ehre gab, hatte die hölzerne Balustrade schnell ihren Spitznamen weg: Führerbalkon.

Vor genau 75 Jahren, am 6. Februar 1936, begannen im Schneetreiben von Garmisch-Partenkirchen die IV. Olympischen Winterspiele. Willy Bogner, Vater des gleichnamigen Modemachers, sprach den Olympischen Eid. Die Straßen des Doppelorts waren geschmückt mit Fahnen, auf denen sich allerdings nur im Ausnahmefall die Olympischen Ringe befanden. Olympia in Garmisch-Partenkirchen, das waren Spiele im Zeichen des Hakenkreuzes. Hitlers Testlauf für die Sommerspiele von Berlin, wo der Welt ein friedliebendes Deutschland vorgegaukelt wurde. Der französische Botschafter André Francois-Poncet kabelte von der Zugspitze nach Paris: „Alle Welt ist begeistert.“ Goebbels notierte in seinem Tagebuch: „Das haben wir gut gemacht. Viel Arbeit hat’s gekostet. Doch hat es sich gelohnt.“ Die Nazis feierten ihren ersten weltweiten Propagandaerfolg.

In der politischen Retrospektive gelten Hitlers Winterspiele bis heute nur als Ouvertüre zu den Berliner Sommerspielen. Den Garmischern und Partenkirchenern war das so unrecht nicht. „Die Bereitschaft, sich mit der braunen Vergangenheit auseinanderzusetzen, war nicht sehr ausgeprägt“, sagt Alois Schwarzmüller. „Für die Leute hier saßen die Nazis nur in Berlin oder in München.“ Schwarzmüller hat früher am Werdenfels-Gymnasium Deutsch und Politik unterrichtet, er wäre beinahe mal Bürgermeister von Garmisch-Partenkirchen geworden und hat dafür gesorgt, dass am Marienplatz ein Denkmal für die 44 verschleppten Juden der Gemeinde errichtet wurde. Auch ihm ist es zu verdanken, dass im Garmischer Kurhaus am 16. Februar eine Ausstellung zu der Propagandaveranstaltung im Schnee eröffnet wird, sie trägt den Untertitel: „Die Kehrseite der Medaille.“ Garmisch-Partenkirchens Rolle als Teil der Münchner Bewerbung für die Winterspiele 2018 wird nicht thematisiert. Auch Alois Schwarzmüller steht der neuen Bewerbung eher kritisch gegenüber, aber das bezieht sich auf die Gigantomanie moderner Spiele und ihre Auswirkungen auf das Werdenfelser Land, „es wäre unseriös, das in einen Zusammenhang mit 1936 zu bringen“.

Alois Schwarzmüller ist 68 Jahre alt, ein wacher, interessierter Mensch und wahrscheinlich gibt es niemanden, der auch nur annähernd so viel über die verheimlichten Spiele von 1936 weiß wie er. Etwa, dass der in Garmisch ansässige Komponist Richard Strauss die Erhebung einer neuen Gemeindesteuer ablehnte mit der Begründung, er denke gar nicht daran, „diesen Sport-Unfug zu finanzieren“. Dass die Schweizer Mannschaft aus dem bereits angemieteten Hotel Postillon vertrieben wurde, weil dort die Gestapo residieren wollte. Oder dass der später mit Silber dekorierte Skifahrer Gustav Lantschner nur teilnehmen durfte, weil er ein paar Wochen vor den Spielen von den Deutschen eingebürgert wurde. Mit österreichischem Pass wäre der Skilehrer als Profi ausgeschlossen worden.

Seinem Beruf als Lehrer ist Schwarzmüller dadurch verbunden geblieben, dass er immer noch Vorträge an Schulen hält. Am Donnerstag kommt er gerade zurück aus Ettal von einer Diskussion mit Gymnasiasten, „alles sehr wissbegierige junge Menschen“. Was sie wissen wollten? „Ob Garmisch-Partenkirchen ein verseuchtes Nazi-Nest war.“

1933 wählte hier knapp die Hälfte braun, in Garmisch ein paar mehr als in Partenkirchen. Da wussten sie noch nicht, welche Pläne das Regime mit ihnen hatte. Mit der Wahl Berlins als Gastgeber der Sommerspiele von 1936 hatte das Deutsche Reich nämlich auch die Ausrichtung der Winterspiele gewonnen. In der nationalen Vorentscheidung setzten sich die damals noch selbstständigen Gemeinden Garmisch und Partenkirchen gegen das schlesische Schreiberhau durch. Weil Hitler die Welt keinesfalls in zwei Gastgeberorten empfangen wollte, ordnete er persönlich eine Zwangsvereinigung an. „Dabei ging es nicht um Garmisch oder Partenkirchen, das war Hitler egal“, sagt Alois Schwarzmüller. „Er wollte vor der Weltöffentlichkeit ein neues einheitliches Deutschland demonstrieren. Innere Geschlossenheit, Kraft, Stärke und Größe. Dörfliches Selbstbewusstsein hätte da nur gestört.“ Als sich der Garmischer Gemeinderat sträubte, zitierte Gauleiter Adolf Wagner Bürgermeister und Ratsvertreter nach München und drohte mit der Einweisung ins Konzentrationslager Dachau. Noch am selben Abend beschloss der Rat das Zusammengehen mit Partenkirchen.

Fortan wollten die Parteigenossen unter der Zugspitze vorbildliche Nationalsozialisten sein und waren so sehr um die Verfolgung ihrer jüdischen Mitbürger bemüht, dass Olympiachef Karl Ritter von Halt in einem Brief das Reichsinnenministerium alarmierte. Alois Schwarzmüller hat diesen Brief nach der Wende in einem Ost-Berliner Archiv gefunden. Er melde sich nicht, „um den Juden zu helfen“, schrieb von Halt. „Aber wenn die Propaganda in dieser Form weitergeführt wird, dann wird die Bevölkerung von Garmisch-Partenkirchen so aufgeputscht sein, dass sie wahllos jeden jüdisch Aussehenden angreift und verletzt.“ Und: „Wenn in Garmisch-Partenkirchen die geringste Störung passiert, darüber sind wir uns doch alle im Klaren, können die Olympischen Spiele in Berlin nicht durchgeführt werden, da auch alle übrigen Nationen ihre Meldung zurückziehen werden.“

Also wurden kurz vor den Spielen sämtliche „Juden unerwünscht“-Schilder abgehängt, der jüdische Eishockeyspieler Rudi Ball durfte aus dem Exil in die deutsche Mannschaft zurückkehren. Hitler sah sich vorsichtshalber kein Spiel an.

Ball blieb unbehelligt und emigrierte später nach Südafrika. Andere hatten weniger Glück. Der Pole Bronislaw Czech etwa, der in der Alpinen Kombination auf Platz 20 fuhr. Nach Kriegsbeginn sollte er die deutsche Nationalmannschaft trainieren. Czech weigerte sich und ließ sein Leben 1944 in Auschwitz. Der französische Bobfahrer Philippe de Rothschild hatte die Spiele aus politischen Gründen boykottiert. Rechtzeitig vor dem Einmarsch der Wehrmacht konnte er fliehen, was Frau und Tochter nicht vor dem Konzentrationslager Ravensbrück bewahrte. Seine Frau kam nicht zurück.

Das alles verträgt sich schwer mit den Bildern und den Geschichten der Heiterkeit, die so viele Beteiligte später erzählt haben. Erich Kästner, der politischen Propaganda unverdächtig, hat eine Kurzgeschichte über die Spiele geschrieben. Sie heißt „Zwei Schüler sind verschwunden“ und handelt von zwei Jungen, die einfach so aus der Schule abhauen, weil sie bei den Spielen zuschauen wollen. Sie frieren an der Bobbahn und kommen zufällig an zwei Karten für das Eishockeyspiel zwischen England und Kanada. Viel Abenteuer und Romantik, wenig Hintersinniges. „Kästner hat sicherlich schon politischere Texte geschrieben“, sagt Alois Schwarzmüller. „Aber für die normale Bevölkerung waren es sicherlich schöne und aufregende Spiele. Dafür muss man sich nicht schämen, aber man darf halt die andere Seite nicht ausblenden.“

Schwarzmüllers Vater war als Zuschauer dabei und hat ihm von den Helden der Spiele erzählt. Von Birger Ruud, dem norwegischen Alleskönner, der in der Alpinen Kombination nach einem Torfehler nur Vierter wurde, dafür aber das Skispringen gewann. Von der Skiläuferin Christl Cranz, die in der Alpinen Kombination Gold gewann, obwohl sie nach einem Sturz in der Abfahrt mit 19 Sekunden Rückstand in die finalen Slalomläufe gegangen war. Der große Star der Spiele war die Norwegerin Sonja Henie, die zum dritten Mal in Folge Gold im Eiskunstlauf gewann. Dass sie auch auf dem Obersalzberg war, mit Hitler Kaffee trank und stolz sein signiertes Porträt mit nach Hause nahm, verschwieg sie später lieber.

Wäre es nach den Nazis gegangen, hätte es im Werdenfelser Land ein olympisches Nachspiel gegeben. Bei den geplanten Winterspielen 1940, von denen kaum noch einer weiß, dass sie schon an Garmisch-Partenkirchen vergeben waren. Nach Absagen von Sapporo, Oslo und St. Moritz sprangen die Deutschen 1939 nur zu gerne ein. „Hitler hat die Spiele regelrecht beim IOC bestellt“, sagt Alois Schwarzmüller. „Dass so etwas möglich war, trotz der Reichspogromnacht, trotz des Überfalls auf Prag, das ist der eigentliche Olympia-Skandal.“ Hitler ließ das bescheidene Skistadion mit Säulen, griechischen Statuen und viel Beton ausbauen, so dass es heute wie eine Miniatur von Speers Berliner Olympiastadion wirkt. Nur das Olympiahaus mit dem Führerbalkon blieb unverändert. Bis weit in den Krieg hinein mussten französische Kriegsgefangene die olympischen Anlagen pflegen. So sehr hofften die Deutschen, sie könnten noch einmal die Welt empfangen.

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