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Der alte Fischer fährt wieder raus. Huub Stevens kann einfach nicht von seinem Beruf lassen.

© dpa/Kastl

Huub Stevens bei der TSG Hoffenheim: Souveräner Sklave seiner selbst

Mit bald 62 Jahren trainiert Huub Stevens noch einmal in der Bundesliga. Das Engagement bei der TSG Hoffenheim ist eines auf Zeit - weil der Niederländer es so will.

Eigentlich müsste er gar nicht hier sitzen. Huub Stevens hätte genug zu tun. Der Niederländer baut gerade ein neues Ferienhaus auf Mallorca, er könnte sich um seinen Garten in Eindhoven kümmern. Und doch sitzt Stevens zum zweiten Mal in drei Tagen im Presseraum der TSG Hoffenheim, er ist gut gebräunt, die Trainingskleidung spannt wie immer am Bauch, aber sonst wirkt der 61-Jährige topfit und topmotiviert, wieder mal, bei seiner neunten Station als Bundesligacoach.

Am Dienstag haben sie ihn als Retter präsentiert beim Tabellenvorletzten in Zuzenhausen, am Donnerstag spricht Stevens schon über sein erstes Spiel, am Samstag beim 1. FC Köln. Richtig, den hat er ja auch mal trainiert. Es wird langsam schwer für Stevens, nicht auf Ex-Vereine zu treffen. Fünf Stück schwirren davon noch in der Bundesliga herum, auch dank ihm. Schalke, Hertha, Köln, HSV, noch mal Schalke, Stuttgart, noch mal Stuttgart, zwischendurch Kerkrade, Eindhoven, Salzburg und Saloniki, und jetzt wird er noch einmal Trainer bei Hoffenheim. Stevens kriegt einfach nicht genug.

Ob er süchtig sei nach Fußball, wird er gefragt. Und Stevens, der viel charmanter ist als sein Knurrer-Image, lacht heiser. Als wäre er erwischt worden. „Vielleicht, ja“, krächzt er mit erkälteter Stimme. Und rettet sich dann mit einem Witz: „Nein, meine Frau hat gesagt, die vier Monate reichen, jetzt musst du wieder gehen.“ Dabei war es umgekehrt. Er musste seiner Frau beibringen, dass er nach nur vier Monaten Trainerpause wieder fortgeht. Wenn auch nur auf Zeit. Fünfeinhalb Monate, mehr nicht. Der letzte Feuerwehrmann, heißt es nun wieder, Stevens lächelt bei dem Begriff und sagt: „Es ist ein irres Geschäft, da musst du auch mal was löschen.“

Stevens ist der letzte Feuerwehrmann der Bundesliga

Aber Stevens will es selbst so. Er hat sich in diesem irren Geschäft sein eigenes Stellenprofil geschaffen: Trainer, 61, bewährt, bietet Routine auf Zeit für gemeinsame Rettungstaten. Als Hoffenheim anfragte, sei Stevens es gewesen, der zuerst sagte, er stehe nur bis Saisonende zu Verfügung. Und auch wenn Hoffenheim vergeblich andere Trainer für ein langfristiges Engagement anfragte – der Verein teilte nachher mit, Stevens Wunsch habe sich getroffen mit dem Plan, Julian Nagelsmann nach der Spielzeit zum Chefcoach zu befördern.

Als der A-Jugend-Trainer 1987 geboren wurde, hatte Stevens gerade seine Spielerkarriere beendet. Mit 28 Jahren wird Nagelsmann im Juli 2016 Rekordhalter Karl-Heinz Mülhausen ablösen, der 1968 mit 30 Jahren Hannover 96 übernahm. Nagelsmann sagte „11 Freunde“, schon als Co-Trainer habe er die älteren Spieler davon überzeugen müssen, dass er überhaupt Ahnung habe. Derzeit erwirbt er gerade erst noch seinen Fußballlehrerschein, aber war angeblich schon von RB Leipzig und Bayern München umworben. Nicht nur bei den Spielern geht die Talentejagd offenbar immer früher los.

Dass der Verein zeitgleich mit der Verpflichtung von Stevens seinen Nachfolger verkündete, kann dem Niederländer egal sein. Er ist mit Abstand der erfahrenste Bundesligatrainer, sieben Jahre älter als Armin Veh. Stevens muss seine Autorität nicht mehr beweisen. Andere wie André Schubert siegen und siegen und hoffen auf eine Festanstellung.

In Stuttgart gab es noch Irritationen darum, jetzt braucht Stevens das nicht mehr. Er hat genug Geld verdient, noch einmal Abstiegskampf, das war seine Entscheidung. Zumindest zum Teil bewusst getroffen. Stevens ist sein eigener Souverän und Sklave. Als Hoffenheim am letzten Samstag anrief, störte der Klub beim Fernsehen. Es lief Bundesliga. „Meine Frau sagt: ,Du bist verrückt‘, aber die Sucht ist da und geht auch nicht weg.“ Wenn drei Spiele an einem Abend kämen, schaue er drei Spiele. „Wenn der Alte in seinem Raum sitzt, guckt Fußball und sagt nichts, dann ist das nicht schön für die anderen.“

Nun sitzt der Alte wieder an der Seitenlinie. Wie ein alter Fischer, der immer noch raus aufs Meer fährt. Und doch immer wieder heimkehrt. Das hat auch private Gründe. Frau und Tochter sind chronisch krank, er will sie nicht mehr lange alleine lassen. Aber die Anrufe kommen immer noch. Denn auf all seinen Bundesligastationen hatte Stevens Erfolg. Selbst Hertha BSC holte er den bis heute letzten Titel, den Ligapokal 2002, Zweitliga-Felgen nicht mitgezählt.

In der Not erinnern sich Klubs, dass Stevens nicht nur für angeblich altmodischen Defensivfußball steht, sondern auch für Erfahrung, Fleiß und Ehrlichkeit. Wahrscheinlich wird er sich auch bei Hoffenheim gleich die Liste der Geburtstage aller Spieler besorgen, um immer rechtzeitig zu gratulieren. Er muss das nicht mehr tun. Er macht es trotzdem.

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