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Sport: Hysterie und Meditation

Brasiliens Trainingslager wird als Event vermarktet

Wenn der erste Eindruck nicht täuscht, dann erreicht die Vermarktung des Fußballs kurz vor der WM eine neue Dimension. In mehr als 100 Länder werden die Bilder vom Trainingscamp der Brasilianer am Vierwaldstättersee gesendet, und in den kleinen, beschaulichen Kurort Weggis mit seinen 3900 Einwohnern fallen zwei Wochen lang zweimal täglich 5000 Menschen ein, um Ronaldinho und Co. bei der Vorbereitung auf die Titelverteidigung zuzuschauen.

Diese Vorbereitung kann unspektakulärer sein, als man das bei brasilianischen Ballartisten erwartet. Beim Trainingsauftakt am Mittwoch rollte der Ball nicht einmal eine Stunde lang, dann sanken die Spieler auf Gymnastikmatten, und eine eher meditative Stimmung verbreitete sich. Jede Bewegung der Superstars aber, und sei sie noch so belanglos, löste bei den jugendlichen Fans Hysterie aus.

Und als Robinho den Ball im Nacken hielt, als er ihn auf der Stirn tanzen ließ, und als er ihn danach sanft küsste, tobten die Zuschauer, und die Mitarbeiter der britisch-schweizerischen Kentaro AG freuten sich in ihrem TV-Übertragungswagen wie kleine Kinder. So haben sie sich das gewünscht. Die Vermarktungsagentur hat dem brasilianischen Verband für 1,5 Millionen Franken die Rechte am Trainingscamp abgekauft und bezahlt die insgesamt 600 000 Franken, die der Aufenthalt des 70-köpfigen Trosses aus Brasilien im luxuriösen Park Hotel Weggis kostet.

Im Gegenzug darf die Agentur Bilder vom Trainingslager und von zwei Testspielen gegen eine Luzerner Auswahl (Dienstag, 30. Mai, 20.30 Uhr in Basel) und Neuseeland (Sonntag, 4. Juni, 18 Uhr in Genf) weltweit vermarkten. TV-Stationen aus 50 Ländern berichten live vom Training, einen Zusammenschnitt so genannter Höhepunkte produziert Kentaro mit Hilfe eines portugiesischen Unternehmens und acht Kameras selbst.

Es sei quasi ein Trainingslager „aus einer Hand“, schwärmte Philipp Grothe, der Chef von Kentaro. Er hat Neuland betreten mit dieser Form der Komplettvermarktung, und er profitiert davon, dass es dafür kein besseres Angebot als die Brasilianer gibt. Auch die insgesamt 50 000 Tickets für die 14 Trainingseinheiten in Weggis waren innerhalb nur weniger Stunden verkauft.

Nur die WM-Gastgeber blieben zurückhaltend. ARD und ZDF sind grundsätzlich nicht bereit, für Bilder aus einem Trainingslager Geld auszugeben und begnügen sich mit Sequenzen aus der Mixed Zone und den Pressekonferenzen. Für Marc Rautenberg, bei Kentaro für den Verkauf der TV-Bilder zuständig, ist das nicht nachvollziehbar: „Wir haben der Marketing-Agentur SportA ein sehr gutes Angebot gemacht.“ SportA verhandelt für öffentlich-rechtliche deutsche Sender.

Aber auch ohne die Deutschen kommt ein Umsatz von rund 20 Millionen Franken zusammen, und Gewinn ist Kentaro damit bereits garantiert. Auch Weggis, die Gemeinde, wird von dem Trainingslager finanziell profitieren. Schließlich geben die Besucher in dem Ort Geld aus. Zwischen Uferpromenade und dem für 1,8 Millionen Franken erbauten und mit einem WM-Rasen ausgelegten Stadion wurde eine Partymeile angelegt, auf der gestern nach dem Vormittagstraining die ersten Caipirinhas verkauft wurden.

Sportlich dagegen gibt es, ehrlich gesagt, noch nichts Wesentliches zu berichten aus dem Lager der Superstars.

Christoph Kieslich[Weggis]

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