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Sport: „Ich bin Dunga und nicht Klinsmann“

Der neue brasilianische Nationalcoach über sein Image als Reformer, sein Faible für Disziplin und seinen Verzicht auf Stars wie Ronaldinho

Herr Dunga, ihre Berufung zum Nationaltrainer war nicht unbedingt die Entscheidung, mit der Experten nach dem schwachen Abschneiden Brasiliens bei der WM gerechnet hatten. Wie überrascht waren Sie selbst?

Es war eine große Überraschung, aber natürlich eine gute. In den Zeitungen standen alle möglichen anderen Namen, nur meiner nicht. Brasilien ist ja ein Land mit großer Fußballtradition, und der Präsident des Fußballverbandes hat Mut bewiesen mit seiner Bereitschaft, neue Wege zu gehen.

Es gab viel Kritik an Ihrer Berufung. Bei einer Umfrage der Zeitung „Folha de São Paulo“ sprachen sich jüngst rund 60 Prozent der Leser gegen Sie aus.

Meiner Meinung nach gab es vielmehr ein positives Echo als ein negatives. Vielleicht mit einer Einschränkung: Ich habe keine Erfahrung als Trainer.

Das ist nicht gerade förderlich für Ihre Aufgabe. Es gibt wohl kaum eine größere Verantwortung in Südamerika, als die Seleçao zu betreuen.

Das stimmt. Der brasilianische Nationaltrainer hat auf alle Fälle mehr Verantwortung als der brasilianische Staatspräsident.

Ihre Berufung wird auch als Signal dafür verstanden, dass der brasilianische Verband CBF die Notwendigkeit erkannt hat, etwas gegen seine verkrusteten Strukturen und fragwürdigen Machenschaften zu unternehmen. Sehen Sie sich als harter Reformer, als Jürgen Klinsmann Brasiliens?

Ich denke, ich bin Dunga und nicht Klinsmann. Man muss nicht alles ändern, es gibt viel Gutes, das ich beibehalten muss und einige Dinge, die zu ändern sind. Aber ich halte nichts von einem radikalen Umsturz. Das muss schrittweise passieren. Es wäre auch gegenüber den Vorgängern ungerecht, die viele gute Ansätze hinterlassen haben.

Jürgen Klinsmann ließ seine Familie in Deutschland wegen des Andrangs von einem Sicherheitsdienst schützen. Wie hat sich Ihr Leben verändert?

Ich sehe keine Sicherheitsgefährdung bei mir. Aber das Leben ändert sich natürlich sehr. Ständig will jemand etwas von dir und du musst immer und überall über deine Vorstellungen sprechen, deine Ideen darlegen und erklären, warum du dies und das tust. Aber wie gesagt, ich wollte den Job, und der Verbandspräsident hat eine gute Entscheidung getroffen.

Wie dürfen wir uns den Trainer Dunga vorstellen? Ähnlich wie den Spieler, der statt für Zaubertricks eher für solides Handwerk und harte Arbeit stand?

Es gibt keinen Trainer Dunga. Man kann nicht die Person von ihrer Arbeit trennen. Alle kennen mich als Spieler, als Mensch. Ich werde nicht mehr oder weniger hart sein, ich werde versuchen, alles mit der gleichen Transparenz zu betreiben. Als Trainer muss man nicht hart sein, wenn alle wissen, was zu tun ist. Das Wichtigste ist, dass man sich stets seiner Verantwortung bewusst ist, und vor allem, dass nur das Kollektiv zählt – dass man nur gemeinsam etwas erreichen kann.

Was werden Sie anders machen als Ihre Vorgänger?

Jetzt muss ich mal mit der Mannschaft eine Weile lang zusammen sein. Es gibt Spieler, die nicht mehr spielen, neue kommen hinzu, das alles muss ich erst einmal bewältigen.

Wer werden Ihre Berater sein?

Ich habe schon mit verschiedenen brasilianischen Trainern gesprochen, je mehr Infos ich sammeln kann, um so besser. Ich werde zunächst mit Jorginho (früherer Spieler von Bayer Leverkusen und Bayern München, d. Red.) arbeiten, und den Rest werden wir dann in Zukunft sehen.

Sie haben viele Tipps bekommen, wie Sie mit den Stars in Ihrer Mannschaft umgehen sollen. Was davon werden Sie befolgen?

Tipps kann mir jeder geben. Ich versuche, die, die nützlich sind, auch zu berücksichtigen. Ich werde zuerst einmal mit den Spielern sprechen. Es gibt Regeln, die im Kollektiv alle befolgen müssen und die für alle gelten. Wichtig ist das Kollektiv, aber auch jeder Einzelne.

Nach der enttäuschenden WM mehren sich die Stimmen, die den Rücktritt einiger älterer Spieler fordern. Sie haben nur acht Spieler aus dem WM-Kader für das Testspiel gegen Norwegen nominiert. Wird es einen personellen Umbruch geben?

Es wird wenige Änderungen geben. Beim Spiel in Norwegen werden fünf neue Spieler dabei sein, die bisher nur in der U 21 gespielt haben. Grundsätzlich ist es ganz einfach: Die Spieler berufen sich selbst, es hängt davon ab, wie sie spielen und sich einsetzen.

In Norwegen verzichten Sie unter anderem auf die Offensivstars Ronaldo, Kaka, Adriano und Ronaldinho, die bei der WM zu den großen Enttäuschungen zählten.

Das stimmt, sie sind nicht für das Spiel in Norwegen nominiert. Ich weiß noch nicht, ob sie in einem der nächsten Spiele dabei sein werden, das werden wir sehen.

Warum fehlen sie?

Ich spreche nur über Spieler, die dabei sind – die gilt es zu motivieren.

Während der WM wirkte die Mannschaft teilweise recht lustlos. Was muss sich im Team ändern?

Das wird sich in unserer täglichen Arbeit zeigen. Die Spieler müssen natürlich Qualität haben, aber auch Spielfreude, Enthusiasmus, sie müssen Motivation zeigen und vor allem, dass sie gewinnen wollen.

Ihr Stil als Spieler war von großer Disziplin geprägt und wirkte eher europäisch als brasilianisch. Wird Brasilien jetzt ein Team von disziplinierten Arbeitern?

Natürlich werde ich alles, was ich gelernt habe, mit einfließen lassen. Heutzutage muss man im Fußball weltweit Disziplin haben. Dazu kommt dann die brasilianische Technik. Ich halte das Gleichgewicht zwischen beidem für entscheidend.

Und wie wird das dann auf dem Platz aussehen?

Wir werden mit brasilianischen Qualitäten spielen und siegen. Reinhängen, arbeiten, Opfer bringen und dann Siege einfahren.

Die Weltmeisterschaft wurde vom nüchternen Stil der Europäer dominiert. Sind Nüchternheit und Konzentration auf die Defensive, wie sie vor allem Italien und Frankreich zeigten, die Zukunft?

Brasilien war zuvor dreimal im Endspiel und hatte es verdient. Diesmal waren die Europäer einfach besser organisiert. Aber wie gesagt: Das Gleichgewicht ist entscheidend. Wer kein Tor schießt, der gewinnt auch nicht.

Die Position der Nummer sechs im defensiven Mittelfeld schien eine der wichtigsten bei der WM zu sein. Wie wichtig ist diese Position bei Ihnen, der die wohl offensivstärkste Mannschaft der Welt betreut?

Ein gutes Mittelfeld ist extrem wichtig, aber auch hier gilt: Die Ausgewogenheit bestimmt die Qualität des Spiels. Nur Mannschaften, die sie haben, werden auch erfolgreich sein.

Bis jetzt weiß niemand, wie lange Ihr Vertrag dauert und welche Vorgaben Sie erfüllen müssen. Ihr Auftrag ist es, Brasilien zur Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika zu führen?

Genau das ist es.

Ist es eine schwere Bürde, dass Sie keine Erfahrung als Trainer haben?

Es gab auch brasilianische Trainer, die viel Erfahrung hatten und trotzdem nicht lange im Amt waren. Fußball lebt nur vom Ergebnis, man muss einfach gewinnen. Das gilt auch für mich.

Sie müssen also 2010 mit Brasilien Weltmeister werden?

Brasilien muss um den Titel spielen. Das wird immer erwartet.

Zunächst einmal muss Brasilien sich aber neuen Respekt erkämpfen.

Brasilien muss seinen Platz finden. Ich denke nicht, dass andere den Respekt vor uns verloren haben, alle respektieren Brasilien. Jetzt müssen wir wieder auf dem Platz zeigen, dass wir die Besten sind.

Das Gespräch führte Oliver Trust.

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