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Sport: „Ich bin froh, dass es Stehplätze gibt“

Michael Thurk stand früher auf den Rängen des Frankfurter Waldstadions und feuerte die Eintracht an. Heute kickt er für seinen Lieblingsverein und sagt doch: „Es hat sich überhaupt nichts geändert“

Michael Thurk, es ist gerade einmal ein paar Monate her, da wurden Sie in Mainz als Torjäger gefeiert. Nach Ihrem Wechsel zu Eintracht Frankfurt sind Ihre Sympathiewerte in Mainz drastisch gesunken. Im Spiel gegen Frankfurt wurden Sie ausgepfiffen.

Ich konnte damit rechnen, dass die Leute pfeifen. Im Spiel hatte ich damit kein Problem, ich bin Profi genug, um das wegstecken zu können. Ich habe mir außerdem nichts vorzuwerfen, ich habe immer alles für Mainz gegeben.

Verändern die Pfiffe Ihr Bild der Mainzer Fans? Die gelten ja als besonders friedlich und fair.

Früher dachte ich, dass ich nie ein schlechtes Wort über Mainz 05 und seine Anhänger verlieren würde, aber der Respekt der Mainzer Fans mir gegenüber ist geschrumpft, umgekehrt ist es natürlich genau so. Wissen Sie, es ist schon schade, wenn man quasi zum Teufel gejagt wird, bloß weil man sich selbst einen Kindheitstraum erfüllt.

Fans haben eben die Vereinsbrille auf.

Man wird das nie ganz aus den Köpfen der Fans bekommen. Sicher hat Mainz 05 viel für mich getan, umgekehrt war es aber genau so. Es war eine erfolgreiche Zeit am Bruchweg. Ich finde, dass man dann meine Entscheidung einfach akzeptieren sollte. Ich komme aus Frankfurt und ich wollte zu meinem Verein. Da hätte ich mir mehr Verständnis gewünscht, doch diese Stimmen kamen leider nur vereinzelt.

Sie sprechen von einem Kindheitstraum. Können Sie sich noch an Ihr erstes Spiel als Fan im Waldstadion erinnern?

Das ist schon lange her, daran kann ich mich leider nicht mehr genau erinnern. Sehr alt war ich damals jedenfalls nicht.

Wir sind erschüttert. Daran muss man sich doch erinnern. Wurde Ihr erster Schal denn wenigstens von der Oma gestrickt, knielang mit Laufmaschen?

Ich muss Sie wieder enttäuschen. Den Schal hatte ich mir gekauft.

Sie haben als junger Fan die große Zeit der Eintracht um Uwe Bein, Anthony Yeboah und Uwe Binz miterlebt.

Das war eine starke Truppe, die leider nie Deutscher Meister geworden ist. Ich kann mich noch ziemlich gut an die Katastrophe von 1992 erinnern. Die Eintracht spielte in Rostock und hätte nur gewinnen brauchen, um Meister zu werden. Ich hab das Spiel im Fernsehen bei einem Freund verfolgt. Die Eintracht bekam einen klaren Elfmeter nicht zugesprochen. Wir waren unglaublich frustriert.

Wenn Sie ins Stadion gingen, dann allein oder mit Freunden?

Wir waren immer eine große Gruppe, etwa 15 Leute. Die gehen übrigens noch alle zur Eintracht. Ich würde sogar sagen: jetzt erst recht.

Die Freunde werden sich aber nicht besonders gefreut haben, dass Sie ausgerechnet beim Konkurrenten Mainz anheuerten.

Na, die haben sich schon für mich gefreut. Die sind sogar auch mal nach Mainz gekommen, notgedrungen. Aber jetzt, da ich für die Eintracht spiele, sind sie natürlich noch enthusiastischer dabei. Wieso die Eintracht mich damals noch nicht geholt hat, ging ihnen allerdings nicht in den Kopf rein.

Haben Sie eine Erklärung?

Das kann ich ihnen auch nicht sagen. Aber ganz ehrlich: Das war mir auch egal. Ich war froh, irgendwo die Chance erhalten zu haben, in den Profibereich hineinzukommen. Es war zu der damaligen Zeit der richtige Weg für mich, nach Mainz zu gehen.

Wie angespannt ist die Situation eigentlich in der Region? Hassen sich Mainzer und Frankfurter auf gleichem Niveau wie Frankfurter und Offenbacher?

Sagen wir es so: Zwischen den Mainzern und Offenbachern gibt es überhaupt keine Probleme. Die ärgern sich lieber mit dem großen Verein, der Eintracht, rum. Momentan ist die Rivalität der Frankfurter zum direkten Ligakonkurrenten Mainz größer, man begegnet sich halt oft im Alltag. Aber jedes Freundschaftsspiel gegen die Kickers macht klar, dass dieses Spiel immer noch besondere Brisanz besitzt.

Haben Sie Ihren Wandel vom Fußballfan zum Fußballer bewusst miterlebt?

Es gab keinen Wandel. Ich habe mich nicht geändert. Überhaupt: Jeder Fußballer ist auch Fußballfan.

Nun ja, nicht jeder Fußballer steht im Fanblock und feuert lautstark seinen Lieblingsverein an.

Das mag sein. Aber natürlich habe ich mich auch entwickelt. Es war für uns damals ganz natürlich, ins Stadion zu fahren, die Eintracht anzufeuern und sich für das eigene Spiel etwas abzuschauen. Heute fahre ich immer noch zu anderen Vereinen und schaue meinen Freunden beim Spielen zu. Nicht, um auf den Rängen herumzubrüllen. Mir macht es einfach Spaß, Fußballspiele live zu sehen.

Verstehen Sie die Fans besser als andere Spieler?

Nein, glaube ich nicht. Es gibt kaum einen Bundesligaspieler, der nicht weiß, worauf es den Fans ankommt. Nämlich, dass die Mannschaft alles gibt und dann nach Möglichkeit erfolgreich spielt. Überhaupt habe ich bislang nur in Mannschaften gespielt, die selbstkritisch und realistisch genug waren, um die Fanstrapazen einschätzen und würdigen zu können.

Der gemeine Fußballprofi als sensibles Wesen?

Glauben Sie mir, wir wissen ganz genau, was Fans für ihren Verein in Kauf nehmen. Wir fahren oft mehrere Stunden mit dem Bus zu Auswärtsspielen. Uns macht eine stundenlange Rückfahrt nach einer Niederlage an einem Sonntagabend auch keinen Spaß.

Manche Fußballer rollen aber schon die Augen, wenn sie mit dem hundertsten Autogrammwunsch konfrontiert werden.

Für einen Fußballprofi gehört es einfach dazu, Autogramme zu schreiben und sich mit den Fans auseinanderzusetzen, gerade wenn sie frustriert sind.

Frustrierte Fans setzen sich gerne mal vor den Mannschaftsbus und hindern ihn an der Abfahrt.

So etwas machen Fans nur, um eine Chance zu bekommen, an die Spieler oder Funktionäre ranzukommen. Sollte so etwas passieren, muss man als Mannschaft sofort und mit dem kompletten Kader raus zu den Fans. Die Mannschaft muss sich dann deren Meinung anhören und gemeinsam die Situation erörtern. Dann findet man meiner Ansicht nach schnell einen gemeinsamen Nenner. Wartet man hingegen stoisch im Bus, wird man sich nach zwei Stunden wundern, dass die Leute immer noch da sitzen.

Die Stimmung in den Stadien hat sich durch die flächendeckende Einführung von Sitzplätzen verändert.

Ich bin froh, dass es bei Bundesligaspielen noch Stehplätze gibt. Im Uefa-Cup sind bekanntlich nur Sitzplätze erlaubt. Das merkt man auch auf dem Spielfeld. Die Stimmung ist einfach nicht so gut. Die Fans können sich nicht so frei bewegen, einhaken und rumhüpfen. Es stehen eben Stühle im Weg. In der Bundesliga springt unsere gesamte Stehtribüne. Großartig sieht das aus.

Also sind Sie ein Befürworter traditioneller Stadionmöblierung.

Man darf die Stehplatzfans zumindest nicht vor den Kopf stoßen. Sie sind sehr wichtig für den Verein, sie sorgen für Atmosphäre und Stimmung! Es muss weiter Stehplatzbereiche geben.

Spielen Sie denn lieber in den modernen WM-Arenen oder in kleinen, eher britischen Stadien, wie sie noch in Bochum, Mainz oder Bielefeld stehen?

Lieber in den neuen Stadien. Wenn man diese Stadien betritt, hat man automatisch das Gefühl, in einem ganz anderen Licht zu stehen. Alles wirkt größer und beeindruckender, mir macht das sehr viel Spaß. Aber auch die kleinen Arenen wie in Bochum machen Spaß. Weit mehr jedenfalls, als Spiele in Stuttgart, wo die Fans sehr weit weg sind.

Wenn Sie Spiele anschauen, stehen Sie dann oder klappen den Schalensitz herunter?

Ich muss gestehen, dass ich mittlerweile einen Sitzplatz vorziehe. Aber während eines Spiels springe ich so oft auf, dass ich den Sitzplatz in einen Kombiplatz umwandle.

Das Gespräch führte Robert Mucha

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