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Die 79-jährige Annemie Schneider gewann als Para-Sportlerin die erste deutsche Goldmedaille.

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Paralympics-Urgestein Annemie Schneider im Interview: „Ich war mit dem Skisport verheiratet“

Deutschlands erste Para-Wintersportlerin Annemie Schneider über die damalige Rivalität im Behindertensport, ihren ersten Sponsor und Freunde, die ihr heute fehlen.

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook. Dieser Text erschien zu unserem Weltfrauentag Spezial.

Frau Schneider, Sie haben bei den ersten Winter-Paralympics als erste Frau für Deutschland eine Goldmedaille gewonnen. Wie war das damals, als Sie von der Veranstaltung 1976 in Schweden erfahren haben?

Das hat uns gefallen, wir waren alle begeistert. Damit hat sich ein neuer Stamm aufgetan, die Kriegsversehrten waren fast nicht mehr dabei und die Konkurrenz ist immer größer geworden. Die Österreicher waren da noch ganz aktiv.

Wie waren die Reaktionen, als Sie damals, in den 70er Jahren als Frau zu den Paralympics reisten – und so erfolgreich waren?

Erst einmal war ich ein Neuling. Die waren aber natürlich überrascht, dass da auf einmal ein junges Mädchen ankam. Aber mir hat das auch gefallen. Ich hatte wieder eine Aufgabe.

Gab es viele Frauen im Para-Wintersport?

Ja. Ich bin viel mit den Österreichern zusammen gewesen. Wir haben heute noch eine gute Verbindung und telefonieren ein paar Mal in der Woche. Aber das sind auch nur noch zwei, drei Menschen.

Gab es ein Gemeinschaftsgefühl?

Ja, schon, bei uns war noch Kameradschaft da. Am Anfang bin ich auch immer mit den Kriegsveteranen mitgefahren, die haben mich zu den Rennen mitgenommen. Aber es gab auch eine gewisse Rivalität. Den anderen hat es nicht gepasst, dass da eine mit 17 oder 18 Jahren ankommt und gewinnt. Dadurch habe ich auch Feinde gekriegt.

Annmie Schneider gewann bei Paralympics insgesamt acht Medaillen. Drei Mal Gold war es bei den ersten Spielen 1976 in Örnsköldsvik.
Annmie Schneider gewann bei Paralympics insgesamt acht Medaillen. Drei Mal Gold war es bei den ersten Spielen 1976 in Örnsköldsvik.

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Erinnern Sie sich noch an ein solches Erlebnis?

Ich kann mich noch an ein Rennen erinnern. Ich war nicht so gut drauf an dem Tag. Dann kam eine Gegnerin vorbei und sagte kurz vor dem Start: Na, schau her, das Tor da unten, da musst du aufpassen. Ich fragte: Warum, was ist da? – Ich sehe dich da heute fliegen, antwortete sie. So wurde man behandelt. Da gab es keine Freundschaft mehr.

Wie hat sich das geändert?

Mit der Zusammenlegung unterschiedlicher Startklassen ist alles drauf gegangen, vor allem die Kameradschaft. Die gibt es jetzt gar nicht mehr, das lässt sich nicht mehr vergleichen. Und die Leute kennen sich nicht mehr aus. Es ist zu kompliziert geworden. Ich muss ehrlich sagen, ich habe gar keine Lust mehr, mir die Spiele anzuschauen.

Haben Sie damals die neuen Regeln kritisiert?

Ich habe einfach schon vor der Zusammenlegung aufgehört. Da hätte ich ja gar keine Chance mehr gehabt. Ich habe ja Slalom geliebt, die Stangen waren für mich mein Zuhause. Und dann sind die Kippstangen gekommen. Wie aber sollte ich mit meinen Krücken die Kippstangen wegschlagen? Ich habe mir dann einen Brustkorb geholt, einen ganz starken, der alles einwickelt. Dann habe ich die Stangen mit der Brust weggeschlagen. Mei, habe ich da ausgeschaut, grün und blau bin ich hinterher gewesen. Das wurde so ungerecht alles. Ich bin enttäuscht seit dieser Zusammenlegung und froh, nicht mehr dabei zu sein.

Welchen Herausforderungen sind Sie in Ihrer sportlichen Laufbahn noch begegnet?

Die Finanzierung war schwierig. Wenn ich finanziell nicht so gut dagestanden hätte, wäre das nie so gelaufen. Ich habe Ehrungen bekommen und habe Aufmerksamkeit bekommen. In Berchtesgaden, wo ich herkomme, haben sie das nicht gemacht, die wollten da keinen Leistungssport. Und wenn man dann nicht gesponsert wurde, hat man absolut keine Chancen gehabt.

Sie aber wurden unterstützt.

Ich habe das Glück gehabt, dass ich einen unwahrscheinlich guten Skisponsor hatte. Ich war mit der Firma Voelkl befreundet und es war zu 60 Prozent deren Verdienst, dass ich gut war. Das Material war das Nonplusultra.

Bei den Spielen 1980 in Geilo verteidigte Schneider ihre Titel im Slalom und Riesenslalom.
Bei den Spielen 1980 in Geilo verteidigte Schneider ihre Titel im Slalom und Riesenslalom.

© promo

War das eine Ausnahme damals?

Ja, alle waren ein bisschen neidisch. Die haben für mich wahnsinnig viel getan, sie haben die Ski hergerichtet und ich musste mich um nichts mehr kümmern. Das war mein Vorteil. Es ist nicht allein mein Können gewesen. 60 Prozent waren das Material und 40 Prozent mein Können.

Gab es denn Preisgelder oder Prämien?

Nein, überhaupt nicht. Aber das Wegfahren hat viel Geld gekostet. Irgendwann bin ich zu meiner Versehrtensportgruppe und habe gefragt, ob ich nicht auch hin und wieder mal einen Fahrtzuschuss bekommen könnte. Das wurde abgelehnt, denn die wollten ja keinen Leistungssport mehr. Dabei wollte ich auch nur meine Unkosten decken, das ist einfach zu viel geworden. Die Paralympics und Weltmeisterschaften wurden finanziert, aber um da teilzunehmen, mussten Skirennen gefahren werden. Wenn man sich das nicht leisten konnte, dann war man weg vom Fenster.

Wie haben Leistungssport und Arbeit damals zusammen funktioniert?

Ich habe einfach das Beste draus gemacht. Ich habe den Vorteil gehabt, einen Arbeitsplatz zu haben, der viel mit dem Sport zu tun hat. Ich war die Sekretärin vom Skigymnasium in Berchtesgaden. Nach der Arbeit sind alle anderen fortgegangen und ich konnte in die Turnhalle zum Trainieren gehen. Wenn die Nationalmannschaften und die Trainer gekommen sind, wurden wir zum Training mitgenommen. Und wenn die mal einen Durchhänger hatten, motivierten wir uns gegenseitig.

Hatten Sie denn dann noch ein Privatleben?

Ich habe mein Leben lang trainiert. Ich bin aber auch ein sehr gesellschaftlicher Mensch. Wenn andere zum Stammtisch gegangen sind oder fort waren, habe ich Konditionstraining gemacht. Das macht sich jetzt bemerkbar. Ich habe keinen Freundeskreis mehr. Ich bin alleine. Familie, Kind und Kegel sind auf der Strecke geblieben. Ich war mit dem Skisport verheiratet.

Bereuen Sie diese Entscheidung?

Ja, ich habe schon manchmal darüber nachgedacht. Aber ich bin zufrieden mit meinem Leben. Ich habe mein Soll erfüllt. Ich habe zwar privat viel aufgeben müssen, aber dafür hat mir der Sport alles gegeben. Ich habe als Siegerin aufgehört und damit hat sich die Sache erledigt.

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