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Nachfolger und Vorgänger. Theo Zwanziger (rechts) gratuliert dem neuen DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach zu seiner Wahl. Foto: dapd

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Sport: Im Land der aufgehenden Herzen

Vor reichlich Fußball-Prominenz wird Wolfgang Niersbach ohne Gegenstimme zum neuen DFB-Präsidenten gewählt.

Wolfgang Niersbach wird an diesem Mittag eine besondere Ehre zuteil, und natürlich weiß das kaum jemand besser als er. „Ich kriege Gänsehaut“, sagt er an dem Tag, an dem er vom Generalsekretär des Deutschen Fußball-Bundes zu dessen Präsidenten aufsteigen wird. Unter den Gästen des Außerordentlichen Bundestages in Frankfurt am Main sind zwei Weltmeister von 1954: Horst Eckel und Hans Schäfer, der seit Jahren eine eigentlich unöffentliche Person ist und jeden Kontakt zum DFB abgebrochen hat. „Wir sollten uns geehrt fühlen, dass sie wirklich und tatsächlich hier sind“, sagt Niersbach, der nach eigener Aussage als Junge das Buch „3:2“ von Fritz Walter über die WM 1954 „fast auswendig gelernt“ hat.

Niersbach wird später erklären, dass es ihm im neuen Amt um „die Einheit des Fußballs, die Einheit von Spitze und Breite, von Profis und Amateuren“ gehe. Aber eigentlich muss er nicht sagen, welche Schwerpunkte er als Präsident setzen will; man muss nur ins Publikum schauen, in die ersten beiden Reihen, wo die Helden seiner Kindheit und Jugend sitzen, Welt- und Europameister, Wolfgang Overath neben Günter Netzer, dahinter Rudi Völler und Karl-Heinz Rummenigge. „Mir persönlich geht das Herz auf“, sagt Niersbach.

Der künftige Präsident, der in seinem Auftreten so locker flockig wirkt, macht am Tag seiner Wahl einen leicht angespannten Eindruck, „ein Stück weit mulmig“ sei ihm, später stockt ihm sogar die Stimme. „Ein großer Moment für mich“, sagt der 61-Jährige, „hätte ich nie für möglich gehalten.“ Ohne Gegenstimme haben die 260 Delegierten ihn zum elften Präsidenten des größten Einzelsportverbandes der Welt gewählt. Im ersten Moment lässt sich Niersbach die Rührung nicht anmerken, er presst die Lippen aufeinander und scheint kurz mit der Schulter zu zucken. Theo Zwanziger kommt aufs Podium, umarmt seinen Nachfolger. Noch während der neue Amtsträger die Worte spricht, dass er die Wahl annehme, wird an seinem Platz das Namensschild ausgetauscht: Präsident steht jetzt unter Niersbachs Namen. Er rückt einen Platz nach links, genau in die Mitte des Präsidiumstisches. Seinen Platz als Generalsekretär nimmt Helmut Sandrock ein.

„Fußball lässt Träume wahr werden“, hat Niersbach in seiner Vorstellungsrede gesagt. Er hat dabei nicht an sich gedacht, aber in gewisser Weise trifft das auch auf ihn, den bekennenden Fußballmaniac zu, der als Agenturjournalist angefangen hat, Pressesprecher beim DFB war, die WM 2006 mitorganisiert hat, als Generalsekretär schließlich das ranghöchste Hauptamt im Verband bekleidet hat – und der jetzt 6,7 Millionen organisierten Fußballern vorsteht. „Ja, ich traue mir das zu“, sagt er. „Ich bin bereit, diese Spielführerbinde überzustreifen.“

Am Ende seiner Rede hält Niersbach eine leicht verblichene Eintrittskarte in die Kameras. Er hat sie vor 40 Jahren gekauft, für 150 Belgische Francs, umgerechnet elf Mark. Wolfgang Niersbach stand als Fan in der Kurve des Brüsseler Heyselstadions, als die Deutschen mit Günter Netzer und Franz Beckenbauer 1972 zum ersten Mal den EM-Titel gewannen. „Was können wir Funktionäre machen, wenn es die Aktiven nicht gäbe?“, sagt er.

„Schwerpunkt ist der Fußball“, sagt Niersbach. Diese Haltung unterscheidet ihn schon jetzt von seinem Vorgänger Theo Zwanziger, 66, der seine Rolle in den knapp acht Jahren an der Spitze des Verbandes immer sehr stark gesellschaftspolitisch interpretiert hat. Reinhard Rauball, der Präsident der Deutschen Fußball-Liga, bezeichnet Zwanziger als „heimlichen Integrationsminister in Deutschland“. Auch in seiner Abschiedsrede hebt der scheidende DFB-Präsident noch einmal hervor, wie wichtig ihm „der Einsatz für Integration, der Kampf gegen Diskriminierung“ immer gewesen sind. Es ist der Moment, in dem Zwanziger seinen pastoralen Ton verliert, fast ins Mikrofon schreit, weil ihn das Thema innerlich berührt. „Natürlich haben wir unser Kerngeschäft“, sagt er, „aber der Fußball darf nie wegschauen.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel lobt in einer Videobotschaft neben Zwanzigers Kompetenz auch seine „Standfestigkeit im Sturm manch öffentlicher Debatten“, Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich verleiht ihm das Große Verdienstkreuz, und Niersbach gibt bekannt, dass die Kulturstiftung des DFB künftig seinen Namen tragen wird. „Ich bin ein zufriedener und glücklicher Mensch“, sagt Zwanziger. Nach knapp 20 Minuten spricht er die letzten Worte als Präsident: „Danke für alles.“ Die Delegierten klatschen und erheben sich. Theo Zwanziger räumt seinen Platz in der ersten Reihe auf dem Podium und begibt sich in die Ebene neben seine Frau und seine beiden Söhne. Er sagt, er freue sich auf morgen.

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