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Sport: Immer auf der Suche

Das Dilemma des Kapitäns: Spielt Michael Ballack in der Nationalelf offensiv, fehlt er hinten – und umgekehrt

Gegen Ende des Monats wird Michael Ballack 30 Jahre alt. Dann wird er in seiner neuen Heimat London bestimmt ein Häuschen gefunden haben. Das sind die Dinge, die den Menschen Michael Ballack derzeit beschäftigen. Als Fußballer aber wird er auch beim FC Chelsea auf der Suche bleiben. Es ist die Suche nach seiner Idealrolle. Ist er nun ein offensiver Mittelfeldspieler, ein Zehner, wie es in der klassischen Nummernordnung des Fußballs heißt, oder doch ein defensiver, ein Sechser? Denn die Frage ist immer auch: Als was sehen ihn der Trainer und die Fans, und wo ist er für die Mannschaft am wertvollsten?

„Wir wollen, dass Michel Ballack eine dominante Rolle spielt“, sagt Bundestrainer Joachim Löw. „Wichtig ist, dass die Mannschaft gut funktioniert.“ Und weil das noch kurz vor der WM nicht der Fall war, hatte Ballack die Frage ungewollt selbst beantwortet. Nachdem die Nationalmannschaft in den Vorbereitungsspielen zu viele Gegentore bekommen hatte, kritisierte er das Defensivverhalten des Teams im Allgemeinen und die Spielweise des Stammsechsers Torsten Frings im Speziellen. „Er muss einfach kapieren, dass er das Spiel defensiver auslegt“, hatte Ballack gesagt und Klinsmann mit seiner bisweilen abenteuerlichen Offensivliebe unter Zugzwang gesetzt. Das Ergebnis ist bekannt. Ballack selbst musste den Stabilisator spielen.

Es sind hypothetische Fragen, ob die deutsche Mannschaft ohne diese Rochade überhaupt ins Halbfinale gekommen wäre. Oder aber was gegen Italien passiert wäre, wenn Ballack weit mehr seine Torjägerqualitäten hätte einbringen können. Tatsache ist, dass mit der Systemumstellung seine Wege in des Gegners Strafraum länger geworden sind. Wo aber hat die Nationalelf seine Qualitäten am nötigsten? Schließen sich beide Rollen aus, oder ließe sich nicht eine Symbiose zwischen Offensive und Defensive finden? „Das ist nicht immer leicht“, sagt Ballack, denn das erfordere, das Ganze im Blick zu haben, die Rückwärtsbewegung des Teams und gleichzeitig Impulse zu geben und das Spiel anzukurbelt.

Vor langer Zeit schon hat sich Michael Ballack das Trikot mit der Rückennummer 13 gegriffen. Der Sachse sieht sich nämlich weder als Zehner noch als Sechser. „Ich sehe mich nicht auf einer festen Position. Ich finde sie automatisch auf dem Feld“, sagte Ballack vor dem Spiel gegen Irland am Wochenende. Diejenigen, die seine Art Fußball zu spielen, schon immer mochten, werden jetzt sagen: Wie der die Räume zugestellt hat, wie er dem Gegner in die Quere gelaufen ist, wie er dem Team Stabilität verliehen hat. Jene aber, die ihn als Spielmacher und Strategen für überschätzt halten, werden sagen: Seht doch, jetzt schießt er nicht mal mehr Tore.

Seine Vielseitigkeit ist Ballacks Handicap. Er hatte Trainer, die wollten von ihm sehen, dass er seine Torgefahr einbringt. Seine beidbeinige Schusstechnik und sein beispielloses Kopfballspiel prädestinieren ihn für eine offensive Rolle. Andere schätzen sein strategisches Geschick, das Gefühl für die Gefahr bei gegnerischen Angriffen und sein kluges Aufbauspiel – wie gemalt für einen Sechser.

Ballacks Problem ist, dass an beiden Betrachtungsweisen etwas dran ist. Ein Spieler mit solch umfangreichen Qualitäten könnte beide Rollen ausfüllen, wird aber dafür nicht mit normalen Maßstäben gemessen. In einer vertrauten Runde hat er einmal erzählt, dass ihm seine Torgefahr „zum Verhängnis geworden ist“, denn er wurde aus der defensiven Spielmacherposition herausgezogen, „obwohl ich das gut spielen kann“.

Für den früheren Teamchef Rudi Völler war Ballack dort am besten aufgehoben, wo er seine Torgefahr am besten ausspielen konnte. Bis zum Beginn der WM im eigenen Land war er mit 31 Toren der erfolgreichste deutsche Nationalspieler. Mittlerweile hat Miroslav Klose, der bei der WM Torschützenkönig wurde, ihn eingeholt. Sein letztes Tor erzielte Ballack Anfang Juni gegen Kolumbien. Bis dahin hatte er – rein statistisch gesehen – in jedem zweiten Länderspiel getroffen. Bei der Weltmeisterschaft ging er leer aus.

Löw macht dafür Ballacks körperlichen Zustand verantwortlich. Zu Beginn der WM war er verletzt, später angeschlagen. Tatsächlich hatte Ballack schwache Fitnesswerte. Er spielte dennoch und war präsent. „Wenn man sein wahres Leistungsvermögen sieht, hatte er noch Kapazitäten“, sagt Löw. Sein Konzept will der Bundestrainer nicht ändern. „Ich sehe ihn weiterhin defensiv neben Frings. Wenn wir im Ballbesitz sind, wollen wir einen der beiden deutlich nach vorne bringen, in der Regel Michael“, sagt Löw vor dem Spiel am Mittwoch in San Marino. Gegen diesen Gegner sollte ein halber Ballack ausreichen, um beides zu spielen – den Stabilisator und den Vollstrecker.

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