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Sanfter Riese. Der 1,96 Meter große Petr Cech überragte gegen die Polen nicht nur Robert Lewandowski. Foto: Reuters

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Sport: In der Ruhe liegt Cechs Kraft

Er sei müde, sagte Petr Cech. Sehr müde.

Er sei müde, sagte Petr Cech. Sehr müde. Dabei wollte der Feldreporter des ZDF doch unbedingt Pathos aufsaugen, stolze Worte eines Helden, Grüße ans Heimatland, ein Siegerlächeln wenigstens. Cechs Mannschaft war schließlich soeben ins Viertelfinale eingezogen, mit 1:0 hatten die Tschechen die Polen besiegt. Wie fühlen Sie sich also, Herr Cech? Großartig, nicht wahr? Nun sagen Sie schon! Nein. Müde. Sehr müde.

Petr Cech hat mehr als 70 Saisonspiele in den Knochen, mit dem FC Chelsea ging er an die Grenze des Erreichbaren, hielt im Champions-League-Finale gegen den FC Bayern drei Elfmeter, gegen Robben, Olic, Schweini. Seit fast einem Jahrzehnt gehört er zur Weltspitze der Torhüter, er trägt bei dieser Europameisterschaft die Hoffnungen seiner Nation auf den Schultern. Und dann auch noch dieser Namen: Cech! Als würde Manuel Neuer Manuel Deutscher heißen. Unter dieser Last darf man schon mal müde werden. Sogar sehr müde.

Doch offenbar ist das bei Petr Cech gar kein akuter Zustand. Dieser Mann hat von Natur aus etwas Somnambules an sich. Was dazu führt, dass er abseits des Platzes wie ein nicht mehr ganz so junger Student wirkt, dem bei der Frühvorlesung die Augen wegklappen. Wenn er aber im Tor steht, wird genau das zu seiner großen Qualität. „Traumwandlerisch sicher“ – selten hat dieses alte Sportschau-Attribut einen Torwart besser beschreiben als ihn.

Anders als viele seiner aktionistischen Kollegen hat er so gar nichts Unruhiges an sich, er stromert nicht durch den Strafraum, brüllt nicht seine Vorderleute an, nie sieht man ihn Stirn an Stirn mit einem Gegner im Verbalduell. Was auch schwierig wäre: Selbst zum 1,84 Meter großen Robert Lewandowski hätte er sich 12 Zentimeter herabbeugen müssen. In der Ruhe liegt Cechs Kraft. Er ist der sanfte Riese im Tor der Tschechen.

Nicht von ungefähr also wurde bei der Europameisterschaft vor vier Jahren das Wiener Riesenrad zum Riesencech umgerüstet, einem 64-Meter-Giganten mit sechs Armen. Das Verblüffende: Wie eine Überhöhung sah die Installation nicht aus, vielmehr wie ein gerade groß genug geratenes Denkmal für einen der besten Torhüter seiner Zeit.

Dabei war Cech 2008 noch nicht einmal in Normalform. Anderthalb Jahre zuvor hatte er sich im Spiel gegen den FC Reading bei einem Zusammenprall mit Stephen Hunt einen Schädelbasisbruch zugezogen. Zwei Dinge waren nach seinem Comeback im Januar 2007 neu: Er trug einen Schutzhelm, der den nur langsam zusammenwachsenden Knochen schützte – und er machte Fehler. Was die Fans dieses Keepers, dem bis dahin der Ruf des Fehlerfreien vorauseilte, umso mehr schockierte. So ging auch das 2:2 in der Schlussphase des letzten Vorrundenspiels gegen die Türkei auf seine Kappe. Endstand 2:3, Tschechien war draußen.

Vier Jahre später jedoch ist Cech längst wieder der Alte. Er hat keine Flugshow gebraucht, um seinen Status als Weltkeeper zu erneuern, keine waghalsigen Robinsonaden außerhalb des Strafraums und keine testosterongetränkten Interviews. Er hat sich bloß wieder in sein Tor gestellt, hat seine Kommandos gerufen, nicht geschrien, und gehalten, was zu halten war. Und das ist bei ihm mehr als bei den meisten anderen.

Ein Riesenrad haben sie ihm in Breslau, anders als 2008, nicht gebaut. Aber dafür ist seine Mannschaft diesmal weitergekommen. Ins Viertelfinale.

Ein Spiel also noch, mindestens. Ein paar Reporterfragen, wie er sich denn fühle. Ob er jemanden grüßen wolle. So müde Petr Cech auch sein mag: Es dauert noch ein Weilchen, bis er endlich schlafen darf. Dirk Gieselmann

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