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Sport: In ruhigen Bahnen

Franziska van Almsick bereitet sich vorsichtig auf Olympia vor

Gelsenkirchen. Die schlanke Frau im roten Trainingsanzug nimmt sich Zeit. Die meisten Konkurrentinnen sind längst bereit zum Sprung ins Wasser, da tritt Franziska van Almsick erst einmal an den Beckenrand. Sie nimmt sich eine Hand voll Chlorwasser, führt es an den Mund, reibt Lippen und Kinn damit ein. All das macht sie ganz langsam. Irgendwann ist der Geschmackstest vollzogen, und auch die berühmte Schwimmerin auf Bahn vier ist bereit.

Franziska van Almsick schwimmt in diesen Tagen im Zentralbad Gelsenkirchen bei den deutschen Kurzbahn-Meisterschaften mit. Und das sehr erfolgreich. Gestern siegte sie überlegen über 200 Meter Freistil. Van Almsick gewann das Finale in 1:56,38 Minuten. Doch trotz des Erfolges – wirklich Spaß macht ihr das in Gelsenkirchen nicht, das sieht man ihr an. „Sie schwimmt nun einmal besser, als sie wendet“, sagt Regina Eichhorn, die Managerin. „Aber hätte es Franziska nicht gewollt, wäre sie nicht gekommen.“ So wie im Sommer, als van Almsick, nicht in Form und von Schulterschmerzen geplagt, die WM in Barcelona verstreichen ließ, um sich unbehelligt auf das einzige Ziel vorzubereiten, das es in ihrer Sportlerkarriere noch gibt: den Olympiasieg über 200 Meter Freistil.

Der Weg nach Athen ist hart. Härter als die Vorbereitung auf die EM 2002 in Berlin, als sie das olympische Desaster von Sydney mit einem beeindruckenden Comeback verarbeitete. „Die Intensität wird gemäßigt höher sein als vor der EM", erzählt Norbert Warnatzsch, van Almsicks Trainer bei der SG Neukölln. Wobei die gemäßigte Vorbereitung mit der zwickenden Schulter seiner Schwimmerin zu tun hat. Warnatzsch sagt: „Die linke Schulter ist das Problem.“ Schon vor den nationalen Meisterschaften im Mai setzten die Schmerzen bei van Almsick ein. Sie sind bis heute nicht verschwunden.

Sportliche Misserfolge muss van Almsick wegen ihrer Verletzung nicht beklagen. Für die Kurzbahn-EM in zwei Wochen in Dublin qualifizierte sie sich mit Platz zwei über 100 m Freistil hinter ihrer Vereinskollegin Britta Steffen. „Ich bin zufrieden“, sagte van Almsick nach ihrem ersten von drei Starts in Gelsenkirchen. „Das war im Bereich dessen, was ich mir vorgenommen habe.“ Ihr Heimtrainer, der bei seiner Athletin vor allem das Krafttraining zurückschrauben musste, betont allerdings den verletzungsbedingten Trainingsrückstand bei der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele: „Diesen Ausfall kann man nicht mehr aufholen.“ Nun wird van Almsick versuchen, in Höhentrainingslagern in Südafrika (Februar) und in der Sierra Nevada (April) ihren Rückstand auf die Konkurrenz zu verringern.

Die Zeit für van Almsicks persönlichen Showdown über 200 Meter Freistil am 17. August 2004 in Athen läuft – und die Medien zählen die Tage bis dahin öffentlich mit. Das eher unspektakuläre Ereignis in Gelsenkirchen zog 120 Journalisten an, das ZDF übertrug live. Für zusätzliche Aufregung sorgte vor zwei Monaten die Begnadigung von Claudia Poll. 1996 in Atlanta hatte die Rivalin aus Costa Rica van Almsick die Goldmedaille über 200 Meter weggeschnappt. Im vergangenen Jahr war ihr bei einer Trainingskontrolle die Einnahme des Dopingmittels Norandrosteron nachgewiesen worden, der Weltverband sperrte Poll für vier Jahre. Nach Anpassung an den Code der Welt-Anti-Doping-Agentur wurde die Strafe auf zwei Jahre verkürzt. Poll dürfte in Athen also starten. Ein Unding, findet Ralf Beckmann, Sportdirektor des Deutschen Schwimmverbandes, die Begnadigung sei ein „falsches Signal“. Immerhin hat Beckmann bei seinem Besuch im Ruhrgebiet aber festgestellt: „Franzi muss das egal sein. Und es ist ihr egal.“

In Gelsenkirchen waren Franziska van Almsick viele Dinge egal.

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