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Sport: Instinktiv gut

Christian Müller wird bei Hertha BSC auch deshalb so hochgejubelt, weil es sonst nicht viel zu jubeln gibt

Berlin - In dem Moment, in dem Christian Müller, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, saß Detlef Wilde zu Hause vor dem Fernseher. Es war am vergangenen Sonntag. Der Fußball-Bundesligist Hertha BSC spielte beim Hamburger SV, und in der elften Minute erzielte der 20 Jahre alte Müller in seinem ersten Bundesligaspiel von Beginn an, in seinem zweiten überhaupt und bei seinem dritten Einsatz für die Profis von Hertha BSC das Tor zum 1:1. Detlef Wilde hat gleich versucht, Müllers Mutter anzurufen. Doch Sabine Müller saß gerade mit der A-Jugend von Tasmania Gropiusstadt im Bus, irgendwo zwischen Jena und Berlin. Der Empfang war schlecht. „Sie konnte mich leider nicht verstehen“, sagt Detlef Wilde, der Vorsitzende von Tasmania.

Sabine Müller ist trotzdem nicht lange unwissend geblieben: Mit seinem Tor in Hamburg hat ihr jüngster Sohn bereits eine Berühmtheit erlangt, die über das sonst übliche Maß hinausgeht. „Bald jagt ihn die ganze Liga“, hat die „BZ“ über den jungen Mittelfeldspieler geschrieben. „Man sollte das wirklich nicht überbewerten“, sagt Detlef Wilde, der Müller kennt, seitdem der in der F-Jugend bei Tasmania mit dem Fußballspielen angefangen hat. „Er hat einmal richtig gut gespielt.“

Dass Müller im Moment so hochgejubelt wird, hängt natürlich auch damit zusammen, dass es bei Hertha sonst nicht viel zu jubeln gibt. Nach sechs Saisonspielen ohne Sieg und dem Aus im Pokal ist die Gegenwart wieder einmal so herbstlich grau, dass jede Verheißung auf eine bessere Zukunft gierig aufgegriffen wird. Und Müller steht schon deshalb für die Zukunft, weil er jung ist. Trotzdem: „Junge Leute haben es bei Hertha immer schwer gehabt“, sagt Wilde. Sie werden schnell in die Höhe gehoben, und landen genauso schnell wieder auf dem Boden.

Im Moment erfahren das die jugendlichen Helden aus dem erfolgreichen Abstiegskampf der Vorsaison: Sofian Chahed, Dennis Cagara und Alexander Madlung spielen nur noch eine Nebenrolle. Thorben Marx muss bei den Amateuren aushelfen, und von Alexander Ludwig, der vor einem Jahr vom Boulevard bereits zum neuen Sebastian Deisler ausgerufen worden war, spricht niemand mehr. Ludwig ist im Regionalligateam untergetaucht, aus dem Müller gerade den Sprung zu den Profis geschafft hat.

Vielleicht ist Ludwig genauso begabt wie Müller, der Instinktfußballer aus Kreuzberg. Doch Müller besitzt etwas, das der zur Lethargie neigende Ludwig nicht hat: einen gewissen Selbstbehauptungswillen. „Er hat keine Angst“, sagt sein Berater Jörg Neubauer. „Und er hat sich immer wieder aufgerappelt.“ Das war schon bei Tasmania so. Detlef Wilde, damals noch Jugendleiter des Klubs, hat mit Müller viele Gespräche führen müssen. „In der D- und C-Jugend hatte er einen ziemlichen Hänger“, sagt Wilde. „Da war er ein bisschen kasperhaft, hat den Fußball nicht richtig ernst genommen.“ Später, als Müller in Herthas A-Jugend spielte, war es eine hartnäckige Verletzung an der Achillessehne, die seine Karriere fast verhindert hätte. Fünfmal musste er operiert werden. „Das war eine schwierige Geschichte“, sagt Jörg Neubauer. „Da war er ziemlich verzweifelt.“

Für jemanden, der nur Fußball im Kopf hat, gibt es auch nichts Schlimmeres als die Aussicht, vielleicht nie mehr Fußball spielen zu können. „Das ist ein Fußballverrückter“, sagt Mario Reichel, der Trainer von Tasmanias A-Jugend, bei der Müllers Mutter noch heute Betreuerin ist. „Der hat Tag und Nacht nur Fußball gespielt.“ Daran hat sich bis heute nichts geändert. Als Müller in dieser Woche wegen einer Prellung einen Tag nicht trainieren durfte, „musste ich ihn in der Kabine festbinden“, sagt Herthas Trainer Falko Götz.

Wenn Hertha heute in Kaiserslautern spielt, wird der 20-Jährige wieder in der Anfangself stehen. „Der Junge macht Freude“, sagt Manager Dieter Hoeneß. Damit das noch eine Weile so bleibt und Müller nicht abhebt, hat Hertha dem 20-Jährigen ein Interviewverbot erteilt. Sein Berater Jörg Neubauer findet das in Ordnung: „Er muss erst mal ein paar gute Spiele hintereinander machen.“

Die Gefahr, dass den Berlinern dann ein großes Talent verloren geht, ist allerdings gering. Müller hat zwar noch keinen Profivertrag, doch Hertha besitzt die Option, den Mittelfeldspieler bis 2007 an den Klub zu binden. „Natürlich wird Christian bei uns einen Profivertrag bekommen“, sagt Dieter Hoeneß. „Nur werde ich nicht nach einem Spiel reagieren.“ Sollte Müller aber so weitermachen wie bisher, „ist es durchaus denkbar, dass wir ihm ein Bonbon geben und sein Gehalt anheben“.

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