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© dpa

Interview: “Es fehlt ein Verrückter”

In den 80er Jahren war Dieter Schatzschneider einer der gefährlichsten Stürmer Deutschlands. Einer, der auf und neben dem Platz gleichermaßen austeilte. Heute arbeitet er als Scout für Hannover 96. Mit dem Tagesspiegel spricht er über die Krise seines Heimatvereins.

Herr Schatzschneider, Sie sind in Hannover geboren, haben viele Jahre für 96 gespielt und arbeiten jetzt im Verein. Blutet Ihnen derzeit das Herz?


Meine Gemütslage ist schlecht, das stimmt, weil man eben auch sieht, dass es nicht besser wird, dass sich Woche für Woche nichts verändert.

Was genau meinen Sie?

Wir haben in Hannover jetzt schon den dritten Trainer in dieser Saison und man hofft immer, dass sich die Mannschaft mit einem neuen Trainer weiterentwickelt. Nur passiert das hier nicht. Das ist der gleiche Stiefel wie immer und man sieht ja auch, dass die Mannschaft mit der Leistung, die sie bisher geboten hat, da unten nicht rauskommen wird. Aber es ist auch keine Besserung in Sicht. Diese Stagnation, das ist es eigentlich, was mir Angst macht.

Wo sehen Sie die Gründe für den Absturz in dieser Saison?

Wir haben im Moment eine Menge Spieler, die entweder ständig verletzt sind oder nicht die Leistung bringen, die man von ihnen erwartet hatte. Der Hauptgrund für die jetzige Lage ist aber der Selbstmord Robert Enkes. In der vergangenen Saison hat diese Mannschaft noch erfolgreich gespielt. Aber sie ist eben nach Roberts Tod in eine Abwärtsspirale geraten.Da hat sich eine ganz gefährliche Eigendynamik entwickelt.

Ist Andreas Bergmann letztlich auch an diesem Schock gescheitert?

In gewissem Sinne schon. Bergmann war ja eigentlich auf einem guten Weg, genau bis zu dem Tag, als Robert sich das Leben genommen hat. Dann musste er plötzlich mit einer Mannschaft arbeiten, der ein bestimmender Faktor, ein herausragender Spieler genommen wurde. Denn das war Robert Enke ja in Hannover.

Bisher hat der Trainerwechsel wenig gebracht. Mirko Slomka wirkt bereits so ratlos, wie es Bergmann am Schluss war.

Es ist eine unglaublich schwere Aufgabe, die er hier zu bewältigen hat. Ich denke, dass es für jeden Trainer, ob der jetzt Bergmann, Slomka oder Hitzfeld heißt, schwer ist, mit so einer Mannschaft zu arbeiten.

Wie lange kann der Tod Robert Enkes noch als Entschuldigung für die Krise einzelner Spieler herhalten?

Es sollte bald aufhören. Und jeder, den man fragt, sagt ja auch, dass die Spieler darüber hinweg seien und dass Enkes Tod keine Rolle mehr spiele. Aber man weiß nicht, was in den Köpfen der Spieler passiert. Und Fakt ist doch, dass diese Mannschaft nach unten gezogen wurde und ihr die Niederlagenserie den Rest gegeben hat. Du spürst einfach, dass bei den Spielern etwas hängen geblieben ist. Und derzeit ist da niemand, der den Schalter wieder umlegt.

Sie gelten als enger Vertrauter Martin Kinds. Übernachten Sie in diesen Tagen öfter bei ihm?

Bei ihm übernachtet habe ich noch nicht, ich weiß auch gar nicht, ob der ein Gästezimmer hat.

Aber wir sprechen im Moment natürlich sehr viel. Erst heute wieder. Das sind dann auch nicht zwei, sondern bestimmt zwanzig oder dreißig Gespräche. Da stehen eben auch zehn Jahre Lebenswerk eines Mannes auf dem Spiel, der es, egal wie man zu ihm steht, meiner Meinung nach verdient hätte, mit Hannover irgendwann nach oben zu kommen.

Um nach oben zu kommen, hat Martin Kind hat in den vergangenen Jahren viel Geld in die Hand genommen. Und in Hannover hat man eigentlich immer mindestens mit einem Auge nach oben geschielt. Zahlt 96 aktuell nicht auch die Rechung für den Größenwahn der Vergangenheit?

Das würde ich so nicht sagen und ich würde das auch nicht als Größenwahn bezeichnen. Das Geld wurde eigentlich immer zur rechten Zeit investiert. Es wurden auch nicht die falschen Spieler geholt. Aber die Spieler, die geholt wurden, waren rückblickend überbezahlt. Da wurde teilweise einfach auch zuviel Ablöse gezahlt.

Und doch wirkt es so, als hätte sich der Verein überschätzt und verhoben. Hat man in Hannover die Realität aus den Augen verloren?

Das Hauptziel muss in Hannover eigentlich immer der Klassenerhalt sein. Irgendwann gab es aber eine Phase, in der sich der Verein stabilisiert hatte und der reine Ligaverbleib eben nicht mehr genug war. Da dachten viele, dass man jetzt bereit ist, sich nach oben zu orientieren.

Eine Fehleinschätzung.

Nicht unbedingt. Ich war auch einer, der euphorisch war nach der letzten Saison, ich habe auch gedacht, es geht aufwärts. Und eigentlich ist es ja legitim, wenn ein Verein wie Hannover 96 sich nach einem achten Platz in der Vorsaison nach oben orientiert.

Was ist dann falsch gelaufen?

Ich denke, dass eben diese Phase, in der sich der Verein gerade in der Liga etabliert hatte, unterschätzt wurde. Man kann eben solche Ziele wie den Europapokal nicht ausgeben, wenn man gar nicht die finanziellen Voraussetzungen hat, diese zu erreichen. Dadurch, dass Dieter Hecking in der Euphorie der letzten Saison verkündet hat, dass er mit 96 jetzt in die Europa League will, wurde eine gewisse Erwartungshaltung geschürt, der die Mannschaft so aber nie gerecht werden konnte.

Fehlt der jetzigen Mannschaft die Qualität für die Bundesliga?

Eigentlich haben wir Spieler mit Qualität. Die würde ich aber gerne mal fragen, warum sie es nicht schaffen, diese bei 96 zu zeigen. Das ist nämlich etwas, was ich nicht verstehe.

Müsste sich der Verein nach einem Abstieg in der Zweiten Liga komplett neu strukturieren?

Ja, das müsste er. Wir haben im Moment eine Menge Spieler, die sehr teuer sind und nicht die Leistung bringen, die man von ihnen erwartet hatte. Da hätte die Zweite Liga natürlich auch etwas Reinigendes.

Nun versucht der Verein aber erst einmal, den Super-Gau abzuwenden. Kurz vor Transferschluss wurden mit Elson und Koné noch einmal neue Spieler geholt. Wie beurteilen Sie die Last-Minute-Neuverpflichtungen?

Dass diese beiden Spieler geholt wurden, war absolut richtig. Auch, dass man zwei offensive Spieler geholt hat, weil es eben genau da gehakt hat. Ich hoffe, dass wir mit den Neuen die Wende doch noch herbeiführen können.

Sie haben die Offensive von 96 angesprochen. In den vergangenen Jahren wurden immer wieder neue Stürmer gekauft, trotzdem fehlt Hannover die Durschschlagskraft. Besonders Sie als ehemaliger Stürmer müssten darin einen weiteren Grund für die Misere sehen.

In jedem Fall. Der Sturm ist Hannovers größte Baustelle. Mit einem Mike Hanke, der sich zwar bemüht, aber seit Monaten nichts mehr trifft. Mit Jan Schlaudraff, der einfach mal ein halbes Jahr überhaupt nicht da ist. Oder mit den langzeitverletzten Forssell, den ich auch schon ewig nicht mehr auf dem Platz gesehen habe. Wenn dann auch noch Ya Konan ausfällt, gibt es eben ein Problem und deshalb war es wichtig, genau hier anzusetzen.

Mit 135 Toren sind Sie Hannovers Rekordtorschütze, waren aber auch ein Spieler, der keinem Zweikampf aus dem Weg gegangen ist. Fehlt Hannover heute da vorne einfach ein Schatz?

Ich denke schon. Aber nicht nur wegen der Tore, sondern auch wegen der Einstellung auf dem Platz. 96 braucht jetzt einen, der mal ein Zeichen setzt und sich nicht alles gefallen lässt, der so bekloppt ist, wie ich es früher war und deshalb auch in der Lage wäre, das Publikum mitzureißen. So einVerrückter fehlt mir hier.

Das klingt, als würde es der aktuellen Mannschaft an Persönlichkeit mangeln?

Es fehlt eher an Persönlichkeiten, die den Karren wieder flott machen könnten. Man muss nur mal schauen, wer sich aufbäumt, wenn es schlecht läuft, wer den Ball fordert, wenn 30.000 Zuschauer pfeifen. Da ist kaum jemand, der aufsteht und Verantwortung übernimmt. Der einzige, der jede Woche versucht, etwas zu bewegen, ist der alte Jiri Stajner. Der zerreißt sich, der ackert und rennt und riskiert auch mal was, egal ob ihm der Ball verspringt oder er hängen bleibt. Aber einer alleine ist ganz klar zu wenig.

Was müsste passieren?

Die Einstellung, dass wir den Klassenerhalt noch schaffen können, muss jetzt aus der Mannschaft heraus kommen, da sind die vier, fünf Spieler gefragt, die in der Hierarchie ganz oben stehen. Es ist doch klar, dass mir ein 20-jähriger Bengel wie der Rama nicht den Klassenerhalt bringen kann. Jetzt sind besonders die älteren Spieler, die Routniers gefragt. Die müssen versuchen, den Rest mitzuziehen.

Wen sehen Sie als mögliche Spieler, die diese Rolle ausfüllen können?

Eigentlich Arnold Bruggink oder Altin Lala. Den haben wir ja auch noch, über den redet bloß keiner mehr. Das ist so ein Spieler, der mit Herzblut für diesen Verein spielt. Unser Dilemma ist aber eben auch, dass Leute wie Lala oder Steven Cherundolo, die sich mit 96 zu 100 Prozent identifizieren und diese Rolle ausfüllen könnten, ständig ausfallen und deshalb nicht auf dem Platz stehen können.

Glauben Sie, dass Mirko Slomka den Abstieg noch abwenden kann?

Das ist der letzte Schuss, den wir haben. Wir haben einen neuen Trainer und zwei neue Spieler, die anders als der Rest der Mannschaft eben nicht diesen Ballast der Trauer, diese dunklen Gefühle mit sich herumtragen. Ich denke aber, wenn in Hoffenheim nicht wenigstens ein Punkt geholt wird, dann besteht die Gefahr, dass der Effekt des Trainerwechsels und der Neuverpflichtungen einfach verpufft.

Ist das Spiel gegen Hoffenheim Hannovers letzte Chance?

Es wird zumindest die Richtung anzeigen. Wir müssen nicht zwingend in Hoffenheim gewinnen. Wenn die Mannschaft am Samstag aber keine deutliche Leistungssteigerung zeigt, dann steigen wir ab.

Das Gespräch führte Lucas Vogelsang.

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