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Örjan Madsen

© dpa

Interview: "Gold geht nur über den Weltrekord"

Örjan Madsen, Cheftrainer der deutschen Schwimmer, über olympische Medaillenchancen, Weicheier im Wasser und seinen harten Führungsstil.

Herr Madsen, Britta Steffen hat am Wochenende einen neuen Europarekord über 100 Meter Freistil aufgestellt. Wie schätzen Sie ihre Chance für Olympia ein?

Sie ist eine Weltklasseathletin, und sie hat sich damit abgefunden, Mitfavoritin zu sein. Alles andere wäre ja auch Tiefstapelei. Aber in Peking geht Gold nur über den Weltrekord.

Was läuft denn bei der Olympiavorbereitung anders als vor der WM 2007, die für Deutschland enttäuschend endete?

Die Mannschaft ist viel länger zusammen, wächst Das hat mehrere Vorteile.als Team zusammen. wir lernen besser, wie wir miteinander umgehen.Wenn 26 Weltklasseathleten zusammen trainieren, kann das sehr motivierend sein. Plötzlich sind da starke Athleten oderTrainingspartner, die man zu Hause nicht hat.

Nach der WM 2007 haben Sie die deutschen Schwimmer auf einer „lodernden Plattform“ gesehen. Wie hoch lodern die Flammen denn jetzt?

Eine lodernde Plattform bedeutetim übertragenem Sinne nur, dass man sich an einem „Ort“ befindet, der sehr unangenehm ist und von dem man sich schleunigst wegbewegen sollte. Man muss die richtigen Dinge verändern. Wir haben schon einiges aus der WM 2007 gelernt, vor allem im mentalen Bereich. Ich habe danach eindringlich erklärt, wie wichtig es ist, dass jeder zu Hause mit einemdie Zusammenarbeit mit Mentaltrainern gefordert, wir haben drei Psychologen in das Team integriert. Die arbeiten zusammen und lösen sich ab.Auch das Krafttraining haben wir verändert und wir habenmehr Wettkämpfe bestritten, dazu intensiveres Training, daswurde intensiver, aber das war schon lange geplant. Wenn man sich unsere Wettkampfergebnisse seit dem letzten Herbst anschaut, dann sieht man, dass wir alle, Athleten, Trainer und Betreuer, eindeutige Fortschritte gemacht haben.

Die Konkurrenz allerdings auch. In diesem Jahr wurden fast 50 Weltrekorde aufgestellt. Ist die Weltklasse jetzt eher noch weiter weg als 2007?

Das Niveau ist in den letzten sechs, sieben Monaten überdurchschnittlich gestiegen. Selbst für ein Olympiajahr ist diese Steigerung ungewöhnlich. Das Niveau in Peking wird höher sein als wir vor einem Jahr noch erwartet haben. Deshalb ist es ungeheuer wichtig, dass wir unsere Möglichkeiten in Peking realistisch einschätzen.

Das heißt: Man sollte Abschied nehmen von einigen Medaillenerwartungen?

Als ich 2006 meinen Job angetreten habe, war mein Ziel: mehr Medaillen als bei den Olympischen Spielen 2004, also mehr als fünf. Aber jetzt muss ich erkennen, dass es unwahrscheinlich schwierig wird, dieses Ziel zu erreichen. Wenn wir die aktuelle bereinigte Weltrangliste für 2008, mit nur zwei Athleten pro Nation, studieren, dann können wir realistisch einschätzen, wer in den Endlauf kommen kann und wer überhaupt die Chance hat, eine Medaille zu gewinnen. Und da müssen wir ganz nüchtern feststellen, dass wir nur ganz wenige Medaillenchancen haben.

Bei welcher Bilanz würden Sie denn Ihre Mission als erfüllt ansehen?

Natürlich ist die Anzahl der Medaillen ein Maßstab, aber für mich ist es genauso wichtig, wie viel Prozent der Athleten persönliche Bestzeiten schwimmt. Dafür muss die Vorbereitung stimmen und wir müssen in Peking dem Druck standhalten. Ich werde vor allem auf die Zahl der persönlichen Bestzeiten achten. Wie weit wir damit kommen, ist eine andere Frage.

Der Druck ist ein sensibles Thema. Sie haben drei Psychologen bei der Mannschaft,Einige Athleten haben die EM in Eindhoven im Frühjahr trotz der psychologischen Betreuung ausgelassen. Die hätten Angst vor einer Niederlage, haben Sie beklagt. Sind Ihre Athleten einfachpsychisch nicht hart genug?

„Angst vor einer Niederlage“ waren sicherlich nicht meine Worte, aber wie weit die Athleten sich auf diesem Gebiet verbessert haben, das wissen wir erst nach Peking. Die Arbeit mit einem Psychologen verläuft ähnlich wie mit einem Trainer: Das ist ein langer Prozess, der im Grunde nie endet – man kann sich immer verbessern. Wichtiger als das Verhalten zur EM war für mich deshalb das Auftreten und die Leistungen bei den Deutschen Meisterschaften im April. Da haben sehr viele sehr gute Leistungen unter einem sehr hohenDruck geliefert. Ein gutesZeichen, dass das physische und mentale Training Wirkung zeigt.

Thomas Rupprath, der Kurzbahn-Welt- und Europameister, sagt, schlicht,Beckenschwimmer seien einfachverwöhnt. Wenn sie über die falsche Wassertemperatur jammerten, sei das Zeichen ihrer Verunsicherung. Die echten Kerle seien die Freiwasserschwimmer. Trainieren Sie hier Weicheier?

Neindas sehe ich nicht so, Das ist ja immer eine Balance.ich bin für die Trainingsmöglichkeiten undRahmenbedingungen verantwortlich. Die Athleten sollen ja im Training „weltklassemäßig“ verhalten,und im WettkampfWeltklassezeiten schwimmen. Wenn wir den Athleten zu viel abnehmen, kann das aber auch kontraproduktiv sein. Wenn die Schwimmer keine optimalen Bedingungen mehrhaben, dannsind sie vielleicht frustriert und lassen sich aus der Ruhe bringenoder werden verunsichert. Vielleicht ist es gar nicht schlecht, ein paar Überraschungen einzubauen, um zu sehen, wie sie damit umgehen.

Sie können die Beckenschwimmer ja mal mit zu einem Freiwasser-Weltcup nehmen. Sie selber waren in Dubai dabei. Übernachtung in Sechs-Bettzimmern, 150 Kilometer Busfahrt bei extremer Hitze, eingequetscht zwischen Massagebänken und Verpflegungsbeuteln. Wäre das für manche mal eine ganz sinnvolle Erfahrung?

Ich will nicht ausschließen, dass das für den einen oder anderen lehrreich sein würde, zu erfahren, unter welchen Bedingungen andere, auch in anderen Sportarten, trainieren oder Wettkämpfe bestreiten. Das müssen ja nicht bloß Freiwasserschwimmer sein. Bei Wintersportlern ist es ja auch nicht immer lustig.Das könnte die Perspektive etwas verändern. Auf der anderen Seite muss man nicht von einem Extrem ins andere fallen.

Sie haben nach der WM 2007 Selbstkritik geübt. Ihr Ton sei zu schroff gewesen, Ihr Stil zu autoritär. Haben Sie das Gefühl, dass Sie sich gebessert haben?

Jeder hat seine Persönlichkeit und seinen Führungsstil, ich werde mich nicht verbiegen. , in dem ich versuche, anders zu sein als ich bin.Aber ich muss natürlich versuchen, Botschaften so rüberzubringen, dass sie den Effekt haben, den ich mir wünsche. Ich denke, dass ich das gemacht habe und immer noch mache. Das bedeutet dass ich jeden Tag bemüht bin meinen Job so gut zu machen wie ich kann.Wie gut das dann ist, müssen andere Trainer und vor allem die Sportler beurteilen.Das werden sie bestimmt machen, wenn die Olympischen Spiele vorbei sind.

Ein paar urteilen jetzt schon, zum Beispiel bei der Personalie Manfred Thiesmann. Sie nehmen den langjährigen Bundestrainer nicht mit nach Peking, weil er Ihrer Ansicht nach illoyal ist. Wir haben mit einer Ausnahme niemanden im Schwimmer-Lagergetroffen, weder Trainer noch Athlet, der diesen Vorwurf nachvollziehen kann. Räumen Sie einfach nur einen kritischen Geist aus dem Weg?

Nein, das ist auf keinen Fall der Grund. Ich habe schlicht jene Betreuer als Team zusammengestellt, von denen ich überzeugt bin, dass sie gut zusammenarbeiten.Darüber hinaus müssen die Olympiatrainer müssen natürlich fachlich sehr gut sein, internationale Erfahrung haben und die Fähigkeit besitzensich gegenseitig unterstützen – oder wie ich es formuliere: gut zu machen. oder wie ich es formuliere – gut zu machen. Diese Mission Olympia ist Teamwork. Wir werden alle nur so gut funktionieren, wie wir alle gemeinsam zusammen arbeiten können und wollen.Und wir haben nur eine begrenzte Zahl an Trainerplätzen zur Verfügung, ich muss die aussuchen, die meiner Meinung nach am besten zusammenpassen.

Thiesmann ist seit 28 Jahren Bundestrainer. Ist er kein Teamplayer?

Er ist schon ein Teamplayer, aber andere passen besser in mein Team.

Dann passt also einer wie der junge, aber schon sehr erfolgreiche Henning Lamberz weniger rein als Eva Herbst, die bloß ihren Sohn Stefan als Heimtrainerin betreut?

Früher galt als Kriterium vor allem: Wie viele Sportler habe ich in der Olympiamannschaft? Aber bei mir gelten einfachauch andere Kriterien: , das habe ich den Toptrainern schon Ende 2007 mitgeteilt. Das sindTeamfähigkeit, Anzahl und Niveau der Athleten und internationale Erfahrung. Teamfähigkeit bedeutet für mich: Die Fähigkeit andere gut zu machen,andere gut zu machen, Zusammengehörigkeit zu erzeugen – ein „Wirgefühl“–, die Fähigkeit mit anderen zusammenzuarbeiten, unddie Fähigkeitdie Trainingsgruppe und die Mannschaft konfliktfrei zu halten. Um teamfähig zu sein, muss man unter anderem respektvoll, offen, flexibel, lösungsorientiert, stressresistent und fair sein.

Wann ist ein Trainer ein optimaler Teamplayer?

Wenn er andere gut machen kann. Wenn er sich nicht bloß um seine kleine Trainingsgruppe kümmert, sondern die ganze Mannschaft sieht. Er muss sich überlegen, wie er dazu beitragen kann, dass seine Kollegen noch besser arbeiten. Damit sorgt er dafür, dass die Mannschaft noch besser betreut wird.

Henning Lamberz geht es auch um Stilfragen. Er ist verärgert, weil er ohne Vorwarnung in einer Teamsitzung erfahren habe, dass er nicht in Peking dabei ist.

Stilfragen sind immer eine subjektive Einschätzung. Die Nominierung von Olympiatrainern – wann und wie man es macht – gehört zu den schwierigsten Aufgaben, die man als Teamchef hat. Ich habe sehr lange mit mir gerungen, bis ich die fünf entscheidenden Namen auf dem Block hatte. Deshalb standen die Namen erst ganz zum Schluss fest. Diese habe ich natürlich informiert. und über die Verantwortung und Aufgaben aufgeklärt bevor sie zugesagt haben. Es waren dann weitere 15 Heimtrainer die Athleten ins Olympiateam gebracht haben.Die Zeit hat einfach nicht gereicht, um auch die erfolgreichen anderen vorher zu informieren, dass sie dieses Mal nicht nominiert sind.

Sie haben nach der WM 2007 auch den Konkurrenzkampf der Trainer beklagt. Der verbrauche zu viel Energie.Haben die Hahnenkämpfe nachgelassen?

Die Trainer sind natürlich Konkurrenten, das war immer so, das soll auch so sein. Nach der Nominierung ist es aber wichtig zu sehen, dass die Konkurrenten nicht mehr im eigenen Team sitzen. Wir müssen jetzt im Wettstreit mit den führenden Schwimmnationen der Welt bestehen. Und das geht nur als Gemeinschaft.

Das Gespräch führte Frank Bachner

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