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Mario Gomez

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Interview mit Mario Gomez: "Ich habe mich nicht feiern lassen"

Nationalstürmer Mario Gomez im Tagesspiegel-Gespräch über Titel, seine persönliche Stärke und die Schwäche des VfB Stuttgart.

Herr Gomez, wen hätten Sie eigentlich zum Fußballer des Jahres gewählt?

Ich werde Ihnen eine kleine Geschichte erzählen. Als der Chefredakteur vom "Kicker" mich angerufen hat, hat er gesagt, es geht um die Wahl zum Fußballer des Jahres. Im ersten Augenblick habe ich gedacht, jetzt muss ich einen wählen und bin ein paar Namen durchgegangen. Dann er mir gesagt, dass ich zum Fußballer des Jahres gewählt worden bin.

Ihnen ist auch kein Besserer eingefallen?

Ehrlich, spontan ist mir niemand eingefallen. Aber sicher kommen immer ein paar Spieler infrage. Ich denke an Diego und Bernd Schneider, die ja knapp hinter mir gelandet sind.

Wenn Sie einen der beiden Titel hergeben müssten, welcher wäre es: der des Deutschen Meisters oder der des Fußballer des Jahres?

Ich gebe keine Titel her. Das ist zwar Vergangenheit, aber es waren super schöne Erfolge, die mich stolz machen. Ich weiß jetzt wie schön es ist, wenn man Meister und wenn man Spieler des Jahres wird. Das gehört jetzt zu mir.

Sie sind 22, Fußballer des Jahres, Deutscher Meister und Nationalspieler. Macht Ihnen das keine Angst?

Nein, Angst nicht. Aber Zeit, darüber nachzudenken, hatte ich bisher noch nicht. Unser Geschäft ist super schnell. Jetzt stehen zwei Länderspiele an. Daheim beim VfB Stuttgart haben wir derzeit Probleme. Wir haben keinen guten Saisonstart hingelegt. Es darf uns nicht passieren, dass wir uns an die Erfolge der vergangenen Saison erinnern. Wir müssen schauen, was ist und nicht, was wir erreicht haben.

Was hat Sie denn geritten zu sagen: Ich gehe nicht zu Juventus Turin und verdiene in den nächsten fünf Jahren keine 20 Millionen Euro netto?

Natürlich hat mich die Anfrage sehr stolz gemacht. Es war ein konkretes, ernstes Angebot. Aber ich glaube, dass ich mich am besten beim VfB entwickeln kann. Vielleicht bin ich schon so weit, aber wenn ich bei der EM dabei sein will, kann es von Vorteil sein, im Land zu bleiben. Ich denke einfach, dass es im Moment für mich das Richtige ist, beim VfB zu bleiben. Ich habe dem VfB viel zu verdanken, und der VfB hat mir viel zu verdanken. Ich glaube aber, dass ich mich in Turin genau so durchgesetzt hätte. Das hätte ich mir auch zugetraut.

Ist es angesichts Ihres Alters und Ihres schnellen Erfolgs von Vorteil, noch in der Nähe Ihrer Eltern zu bleiben?

Nein, so etwas kann man im Voraus nicht sagen. Bei manchen Spielern klappt die Umgewöhnung von Anfang an, bei anderen klappt sie nie. Die werden nie zurecht kommen im Ausland. Ich habe noch viel Zeit, ich kann immer noch ins Ausland wechseln, und das bleibt auch mein Wunsch. Aber nicht jetzt.

Sie haben beim VfB bis 2012 unterschrieben. Schließen Sie aus, dass Sie nicht jedes Jahr neu überlegen?

2012 bin ich 27. Das ist für einen Wechsel sicher nicht zu spät. Aber im Fußball kann man nie sagen, was kommt.

Fühlen Sie sich eigentlich noch als Deutscher Meister?

Wir sind es ja noch.

Haben Sie den Eindruck, dass Teile der Stuttgarter Mannschaft noch auf diesem Meisterschaftstrip sind?

Ach, wir reden ja über unsere Probleme. Wir Spieler wissen doch selbst, dass die ersten vier Spiele nix waren.

Warum klappt beim VfB nicht, was in der Nationalmannschaft klappt? Nach der erfolgreichen Weltmeisterschaft hat es keinen Einbruch gegeben, die Mannschaft ist sogar noch besser geworden.

Beim VfB ist das eingetreten, was wir in der vergangenen Saison erwartet haben. Wir waren immer darauf vorbereitet, dass wir mal ein Spiel verlieren und dann vielleicht gleich das zweite hinterher. Aber das gab es nicht. Wir haben nicht einmal zwei Spiele hintereinander verloren. Wir haben darauf gewartet, aber es kam nicht. Und jetzt ist sie da, diese Situation.

Sie haben vielleicht zu lange beim VfB darauf gewartet.

Oh nein. Es war ja nicht so, dass wir in der Kabine sitzen und uns sagen, so, jetzt verlieren wir mal zwei Spiele. Unser Trainer Armin Veh hat uns oft davor gewarnt. In der vergangenen Saison haben wir bestimmte Spiele einfach durch Euphorie gewonnen. Wir hatten eine unglaublich positive Einstellung. Wir haben gespürt, heute gehen wir raus und hauen die anderen weg. Wir waren sehr nervenstark, und wir haben Spiele, bei denen wir in Rückstand geraten waren, oft umgedreht.

Warum glauben Sie denn, dass es in der Nationalmannschaft so gut klappt?

Es läuft ja nicht erst seit der WM so gut. Dieser Prozess hat praktisch mit dem Ende der EM 2004 begonnen. Da ist etwas gereift. Die Richtung stimmte von Beginn an, obwohl die Ergebnisse noch zu Beginn des WM-Jahres nicht so gut waren. Danach hat sich die Mannschaft gefunden, sie hat sich eingespielt, so dass auch immer mal wieder junge Spieler hinzukommen können, ohne dass sie an Stabilität verliert. Beim VfB dauert der Prozess erst ein Jahr. Vielleicht ging das alles auch ein bisschen zu schnell, wir haben etwas erreicht, was man uns erst in drei Jahren zugetraut hat. Nationalspieler wie Lehmann, Ballack, Schneider oder Frings verfügen über ganz andere Erfahrungen. Sie spielen schon länger auf diesem Niveau. Ein solches Gerüst fehlt dem VfB.

Sie sind ja von außen gekommen, nach der WM. Wie viel WM 2006 steckt noch in dieser Mannschaft?

Ich kann nur sagen, dass sehr viel Euphorie, Begeisterung und Klasse in der Mannschaft steckt.

Wann hatten Sie zum ersten Mal das Gefühl, dass Sie eine realistische Chance haben, in diese Mannschaft zu kommen?

Ich habe mir darüber keine Gedanken gemacht. Als es so weit war, habe ich mich riesig gefreut, aber dann war es halt so. Ich habe mich auch nicht mit der greifbaren Meisterschaft beschäftigt. Erst nach dem Spiel gegen Bochum war das ein Thema.

Wie haben Sie eigentlich das Sommermärchen erlebt?

Ich war einmal beim Public Viewing in München. Ich habe mir eine Perücke aufgesetzt und eine Brille und war mittendrin bei den Fans. Gegen Schweden. Meine ganzen Kumpels sind dahin, und meine Freundin. Ich habe gesagt, dann gehe ich mit. Ich wollte ungestört sein. Ich glaube, jeder hat sich dafür begeistert, oder?

Ist Ihnen aufgefallen, dass die deutschen Nationalstürmer, ob Klose, Podolski, Kuranyi, Asamoah, Neuville oder eben Sie, eine fremdländische Wurzel haben?

Ja, aber das ist heute allgegenwärtig, nicht nur im Fußball. Es gibt immer mehr Multikulti und dadurch eben auch Kinder wie mich, die ein Elternteil aus Deutschland haben und das andere Elternteil aus einem anderen Land. Das ist kein Phänomen und schon gar kein Problem.

Was an Ihnen als Fußballer ist schwäbisch und was spanisch?

Gegenfrage: Was ist schwäbischer Fußball und was spanischer?

Ihr Temperament zum Beispiel könnte spanisch sein. Sie haben mal vor Wut über eine Verletzung gegen eine Metallkiste geschlagen und sich dabei die Hand gebrochen ...

Das wird mir bestimmt nicht noch einmal passieren wird. Sie müssen sich die Situation so vorstellen: Ich hatte gerade meine erste bombastische Saison, es lief super, und es zeichnet sich ab, dass wir um die Meisterschaft mitspielen. In dieser Situation verletze ich mich. Ich liege am Spielfeldrand, und unser Arzt schiebt mein Knie hin und her wie eine Schublade. Ich stand unter Schock. So ist es zu meiner Reaktion gekommen. Das war ein Reflex. Ich hätte ja nichts dagegen gehabt, wenn die Kiste nicht dagestanden hätte.

Wie sieht denn Ihre persönliche Rangfolge der Nationalstürmer aus?

Die werde ich nicht aufstellen. Das ist die Aufgabe des Trainers. Ich habe großen Respekt vor meinen Kollegen im Sturm. Deutschland kann sich glücklich schätzen, so viele so gute zu haben.

Der Nationalmannschaft muss es in der Tat ziemlich gut gehen, wenn man nicht mal sicher sein kann, als Fußballer des Jahres gesetzt zu sein.

Ja, aber es ist auch fördernd für meine Leistung. Niemand kann sich sicher sein, dass er spielt. Also weiß ich, dass ich jeden Tag im Training Leistung zeigen muss, um zu spielen. Und das will ich auch gar nicht anders haben. Der Miro ist ein Weltklassestürmer, aber dahinter muss man schauen. Ich versuche, meine Spiele zu bekommen.

Können Sie sich wenigstens abgrenzen von Ihren Mitbewerbern?

Jeder ist von seiner Spielweise unterschiedlich. Ich bin sicherlich dem Kevin Kuranyi vom Spielertypus her sehr ähnlich, auch wegen unserer Größe.

Kevin Kuranyi, der anfangs eine ganz ähnliche Entwicklung nahm wie Sie, musste erleben, wie schnell man draußen ist. Über viele Monate hat er Tore erzielt, vor der WM wurde er aussortiert.

Ich kann das ganz gut einschätzen. Hinter mir liegen auch ein paar Monate, in denen viele ankamen und sagten, wie toll ich bin. Und diese Leute werden, wenn es mal nicht so läuft, das Gegenteil behaupten. Ich habe mich nicht feiern lassen, bin nicht abgehoben, und ich werde auch nicht durchdrehen, wenn es Gegenwind gibt.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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