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© firo Sportphoto

Interview: Rainer Adrion: „Ich will zu keinem Lager gehören“

U-21-Nationaltrainer Rainer Adrion spricht im Interview über sein schwieriges Erbe sowie sein Verhältnis zu Joachim Löw und Matthias Sammer. Hier die ausführlichere Online-Version.

Herr Adrion, haben Sie eigentlich eine gute Nackenmuskulatur?


Ich fürchte nicht. Für die Formel 1 würde es wohl nicht reichen. Warum fragen Sie?

Weil demnächst von zwei Seiten an Ihnen gezerrt werden könnte: von Joachim Löw auf der einen und Matthias Sammer auf der anderen.

Das fürchte ich nicht. Ich halte diese Diskussion zudem für schädlich. Der DFB ist doch ein Verband, wir sitzen alle in einem Boot. Das heißt nicht, dass wir uns alle auf eine Seite begeben müssen – sonst kippt das Boot um.

Für die Öffentlichkeit sind Sie der U-21-Trainer, den Joachim Löw Matthias Sammer aufgezwungen hat.

So habe ich das nie empfunden. Ich will auch zu keinem Lager gehören. Mit Matthias Sammer habe ich schon frühzeitig vor meiner Berufung wichtige Gespräche geführt. Es war ein gemeinsamer Entschluss, dass ich jetzt beim DFB an der Schnittstelle zwischen Jugend und Profis arbeite, so wie ich es zehn Jahre lang in Stuttgart getan habe.

Im Grunde sind Sie der perfekte Moderator: Sie waren Kotrainer unter Löw und haben die U 23 trainiert, als Sammer Cheftrainer beim VfB war.

Wenn Sie das so interpretieren wollen. Aber ich glaube nicht, dass ein Moderator vonnöten ist. Mein Verhältnis zu Joachim Löw ist gut. Ich komme aber auch blendend mit Matthias Sammer aus. Wir können wunderbar über Fußball diskutieren, und bei unseren Ideen gibt es viele Übereinstimmungen. Er macht mir nicht den Eindruck, dass er mich nicht unterstützen möchte. Das Gleiche gilt für Horst Hrubesch.

Aber Löw und Sammer haben sehr konträre Ansichten vom Fußball.

Ich sehe da nichts Konträres. Ich wehre mich auch gegen diese Polarisierung Löw-Sammer. Die gibt’s nicht.

Sammer verlangt von den Nachwuchsteams des DFB eine klare Erfolgsorientierung. Fühlen Sie sich dadurch unter Druck gesetzt?

Das gehört doch dazu. Ich will ja nicht nur ausbilden; ich will ausbilden und Erfolg haben. Das war immer mein Ziel. Ich bin für die Eliteförderung. Es findet da inzwischen auch ein Umdenken statt. Ich erinnere mich noch, dass man vor einiger Zeit darüber diskutiert hat, ob der Wettbewerbsgedanke ein Kind nicht zu sehr unter Druck setzt. Man macht doch Sport, um zu gewinnen. Ein Kind weint, weil es einen Elfmeter verschossen hat, und muss von seiner Mutter getröstet werden – wenn man das richtig aufarbeitet, bringt einen das doch auch weiter.

Wie gehen Sie mit Ihren Spielern um?

Ein Boxer hat mal gesagt: Meine beste Waffe ist mein Auge. Man muss bestimmte Dinge erkennen. Aber man braucht auch pädagogisches Geschick, wenn man an den Spieler rankommen und ihm verständlich machen will, was ihm noch fehlt. Er hat ja genügend Berater und Freunde in seinem Umfeld, die das möglicherweise anders sehen.

Der Übergang vom Nachwuchs zu den Profis ist der vielleicht schwierigste überhaupt. In Ihrer Zeit beim VfB Stuttgart haben etliche Spieler, Kuranyi, Hinkel, Gomez oder Khedira, diesen Übergang geschafft. Haben Sie ein Rezept?

Wir haben beim VfB dafür gekämpft, dass wir die Mittel bekommen, die auch uns als Übergangsmannschaft ein vollprofimäßiges Training ermöglichen. Es bringt nichts, wenn ein Spieler erst mit 21 anfängt, zweimal am Tag zu trainieren. Unterforderte Talente brauchen einfach länger als Talente, die in jedem Spiel und in jedem Training an ihre Leistungsgrenze gehen müssen. Dieses Prinzip gilt überall. Deshalb will ich auch beim DFB schon jüngere Spieler in die U21 einbauen, die das entsprechende Potenzial haben.

Aber die entscheidende Arbeit wird immer noch in den Vereinen geleistet.

Die Vereine und der DFB arbeiten am selben Projekt: junge Spieler zu fördern und weiter zu bringen. Deshalb habe ich als allererstes versucht, eine enge Kommunikation mit den Bundesligatrainern aufzubauen. Die kennen ihre Spieler schließlich am besten.

Wie sieht die Kommunikation aus?

Das läuft über den persönlichen Kontakt. Ich war in der Sommerpause in Österreich, da konnte ich in kurzer Zeit zehn Mannschaften in deren Trainingslager abarbeiten. Und ich hatte das Gefühl, dass ich auf offene Ohren stoße. Aber das müssen wir jetzt weiter pflegen.

Sehen die Vereinstrainer das nicht als Einmischung in ihre Angelegenheiten?

Es kommt immer darauf an, wie man etwas sagt. Wir können den Klubs nichts vorschreiben. Sonst wird jeder Trainer sagen: Ich trainiere meine Spieler selbst. Man muss schon ein bisschen auftreten wie das diplomatische Corps.

Während der U21-EM sind Sie schon für den DFB im Einsatz gewesen. Wie nah waren Sie da an der Mannschaft?

Ich fand es toll, dass Horst Hrubesch gesagt hat, ich soll acht Tage als Beobachter nach Schweden kommen. Ich war im Mannschaftshotel, habe mich aber vollkommen zurückgehalten. Ich habe keine Gespräche mit Spielern geführt. Nur geguckt.

Was haben Sie gesehen?

Es war sensationell, welche Initiative aus der Mannschaft selbst gekommen ist. Mir fallen da Boateng, Khedira oder Beck ein – das sind richtig starke Persönlichkeiten, die von sich aus Einfluss auf die Mannschaft und damit auf den Erfolg genommen haben. Diese Selbstreinigungskräfte sind sehr wichtig. Wenn es die gibt, funktioniert eine Mannschaft.

Hat Ihnen Ihr Vorgänger Hrubesch zum Amtsantritt etwas mitgegeben?

Er hat im Scherz zu mir gesagt: Mit den neuen Spielern, die jetzt nachkommen, hätte ich es viel einfacher als er. Die nächste Generation sei unschlagbar. Beckenbauer lässt grüßen.

Franz Beckenbauer hat seinem Nachfolger Berti Vogts 1990 die Prophezeiung hinterlassen, die Nationalmannschaft sei auf Jahre hin unschlagbar.

Ja, aber bei uns kommt niemand dazu wie 1990 die Spieler aus der DDR. Bei uns sind nur sechs Europameister übrig geblieben. Das Niveau zu halten wird immer schwieriger. Wir haben viele Spieler dabei, die in ihren Klubs nicht regelmäßig spielen. Daraus ergeben sich möglicherweise konditionelle Probleme, ein Spiel über 90 Minuten zu bestehen oder sogar zwei Spiele in drei Tagen. Wir haben wirklich viele Talente, aber die werden jetzt an Leistungsgrenzen stoßen, die sie überschreiten müssen. Das steht ihnen demnächst bevor.

Welchen Eindruck haben Sie bisher?

Wir haben jetzt wieder eine Fluktuation von zehn, elf Spielern im Vergleich zum Lehrgang vor drei Wochen. Und beim nächsten wird es noch mal genauso sein. Kurzfristig haben wir das Ziel, innerhalb von zwei Lehrgängen eine Mannschaft so stabil zu machen, dass sie am Dienstag einen starken Gegner wie Tschechien schlagen kann. Das ist eine spannende Aufgabe. Langfristig wollen wir eine Mannschaft entwickeln, die immer stabiler wird, je länger die Qualifikation läuft, die zu den Play-offs gut drauf ist und in zwei Jahren bei der EM-Endrunde in Dänemark ihre Topverfassung hat.

Können Sie das Potenzial Ihres Kaders schon verlässlich einschätzen?

Machen Sie sich mal die Mühe und blättern Sie zwei Jahre zurück. Gucken Sie mal, wo die Spieler, die im Sommer Europameister geworden sind, damals waren: Die haben auch noch nicht alle in der Ersten Liga gespielt. Ich bin bereit, alles zu sichten, was vorhanden ist, um die Talente zu finden, die das spannendste Entwicklungspotenzial haben und sie innerhalb von zwei Jahren auf das Niveau bringen, auf dem unsere Europameister im Sommer waren.

Anfang der Woche waren Sie mit der U 21 zwei Tage mit der A-Nationalmannschaft in Köln zusammen. Was soll das bringen?

Das war eine klasse Veranstaltung. Meine Spieler hatten sozusagen ihre Idole vor Augen, das Ziel, das sie selbst erreichen wollen. Der Weg in die A-Nationalmannschaft geht nur über die U 21. Aber bei dieser Gelegenheit kann man auch mal darauf hinweisen, dass dafür eine Menge Arbeit notwendig ist.

Interview: Stefan Hermanns.

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