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Irakveteranin Melissa Stockwell: Im Kampf mit sich selbst

Kriegsversehrte wie Melissa Stockwell starten für die USA bei den Paralympics. Die Schwimmerin velor bei einem Einsatz im Irak ihr linkes Bein.

Sie ist erschöpft, als sie aus dem Becken kommt, aber sie strahlt. Eine Medaille hat Melissa Stockwell in der Pekinger Olympia-Schwimmhalle nicht geholt, aber in drei paralympischen Disziplinen gute Leistungen gezeigt. So wurde sie über 400 Meter Freistil der Frauen mit Amputationen Vierte. Aber auch ohne Medaille zieht die Amerikanerin die Objektive auf sich wie kaum eine andere Athletin. Einige unter den Zuschauern bezeichnen den Grund als zynisch, doch er wird zumindest in den Vereinigten Staaten publikumsträchtig vermarktet – von der US-Armee. Denn die 28-Jährige ist Kriegsveteranin aus dem Irak.

„Mein linkes Bein habe ich verloren, als ich mit einem Konvoi in Bagdad auf Routinefahrt unterwegs war, da ist eine Bombe explodiert“, erzählt die mehrfach von Regierung und Armee ausgezeichnete Athletin. Die Schwimmerin aus Colorado Springs ist eine von 16 Amerikanern, die schwer verletzt aus Kriegsgebieten zurückkamen und nun bei den Paralympics am Start sind. Scott Winkler etwa trat – weniger erfolgreich als Stockwell – unter anderem im Kugelstoßen an. Er war 2003 querschnittsgelähmt aus Tikrit zurückgekehrt, nachdem er bei einem Einsatz von einem Lastwagen gestürzt war. Oder Carlos Leon: Das frühere Mitglied im US-Marine-Corps wurde vor drei Jahren bei einem Tauchunfall verletzt – in Peking errang er nun in seiner Startklasse F53/54 im Kugelstoßen den vierten Platz. Ihre Schicksale aber bewegen die Zuschauer bei den Paralympics in Peking.

Linkes Bein nach Anschlag in Bagdad verloren

Uni-Absolventin Melissa Stockwell musste nach dem Anschlag ein ganzes Jahr in einem Medizinzentrum der Armee verbringen, sie hat zahlreiche Operationen hinter sich. „Das war eine extrem harte Zeit“, erinnert sie sich. Da hat sie gegen sich selbst gekämpft und um ihren Lebensmut gerungen. Beim Rehasport entdeckte sie ihre Leidenschaft fürs Leistungsschwimmen. „Ich bin schon in meiner Highschool-Zeit getaucht und habe das Wasser geliebt“, sagt sie. Als sie von der Möglichkeit hörte, an den Paralympics teilzunehmen, intensivierte sie ihr Training. „Es war mein oberstes Ziel, hierherzukommen, und das habe ich geschafft“, erzählt Stockwell unmittelbar nach einem Wettkampf.

Ihre Rennen über 100 Meter Freistil und Schmetterling sowie 400 Meter Freistil hat Stockwell mittlerweile hinter sich gebracht. Dennoch will das Presseteam der USA keine Zeit für längere Gespräche oder Interviews einräumen. Die Athletin sei Teil des Teams, sie müsse für ihre Mannschaftskameraden da sein, lautet die Begründung. Möglicherweise soll das Thema Kriegsverletzungen in Vorwahlkampfzeiten aus der Öffentlichkeit herausgehalten werden, mutmaßen europäische und amerikanische Journalisten.

In den militärischen Ruhestand verabschiedet

Melissa Stockwell ist inzwischen in den militärischen Ruhestand verabschiedet worden – dekoriert mit der Bronze-Star-Medaille und dem „Purple Heart“ sowie anderen „ruhmreichen Auszeichnungen der US-Armee“, wie es offiziell heißt. Und was erfüllt sie stärker mit Stolz: für ihr Land in den Krieg gezogen zu sein oder die USA bei den Spielen in Peking vertreten zu haben? „Im Irak habe ich mein Land verteidigt, hier in China repräsentiere ich es“, sagt Stockwell, die in Colorado Springs mit nichtbehinderten Sportlern trainiert. Neben ihrem Training absolviert sie eine Ausbildung in der Medizintechnikbranche, sie will Spezialistin in der Prothetik werden und anderen Amputierten helfen. Sie sei „einen sehr langen Weg gegangen, um es bis nach Peking zu schaffen und das Teamdress der Vereinigten Staaten zu tragen“, sagt sie mit dem Amerikanern eigenen Patriotismus. Sie strahlt dabei.

Für die nächsten Paralympics in London 2012 will sie noch härter trainieren. „Es macht mich so stolz, gemeinsam mit Weltklasseschwimmern wie Natalie du Toit anzutreten, und all meine Freunde und meine Familie können das miterleben“, sagt Melissa Stockwell, während oben auf den Rängen im Schwimmstadion die US-Flaggen geschwenkt werden. Auch ihr Mann habe ihr stets den Rücken gestärkt. „Wenn jemand ein Handicap hat, soll er seine Ziele nie verwerfen, nur weil er annimmt, das wird sowieso nichts“, sagt sie.

Ob sie eigentlich manchmal noch die Nerven im Bein spürt, der Unfall ihr noch Alpträume bereitet? Melissa Stockwells Antwort lautet: „Nein, das ist für mich abgeschlossen. Ich könnte nicht glücklicher sein, als ich es jetzt bin.“ Dann verabschiedet sie sich, lachend.

Annette Kögel[Peking]

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